Brasilien | Nummer 390 - Dezember 2006

Widerwilliger Wahlkampf

Brasiliens Präsident ist im Amt bestätigt worden

Luis Inácio Lula da Silva ist wie erwartet am 29. Oktober wiedergewählt worden. Im zweiten Wahlgang erhielt er leicht die absolute Mehrheit.

Thilo F. Papacek

Von nun an ist der Gegner die soziale Ungerechtigkeit. Alle müssen nun zusammenrücken, um Brasiliens Wachstum in Gang zu bekommen“, sagte Luis Inácio Lula da Silva auf seiner ersten Rede, nachdem seine Wiederwahl bestätigt worden war. Auf der Avenida Paulista im Geschäftszentrum von São Paulo nahm Lula am 29. Oktober an einer Parade teil, um seinen Wahlsieg zu feiern. Dabei trug er ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Gewonnen hat Brasilien.“
Es war eine große Erleichterung für die Arbeiterpartei PT, jetzt endlich den sicher geglaubten Sieg eingefahren zu haben. Mit über sechzig Prozent der gültigen Stimmen errang Lula leicht die notwendige absolute Mehrheit.
Monatelang führte Lula in den Umfragen deutlich, es sah klar nach einem Sieg im ersten Wahlgang aus. Doch dann kam der Skandal um das „Dossier“. Parteikollegen von Lula hatten versucht, ein Dokument zu kaufen und den Medien zuzuspielen, das Lulas Gegenkandidaten Geraldo Alckmin der Korruption bezichtigt. In den letzten Tagen vor der Wahl war das Dossier das dominierende Thema in den Medien.
Zusammen mit den Korruptionsskandalen um die Regierung Lula aus dem letzten Jahr bot dies genügend Stoff für die Kampagne der rechts-sozialdemokratischen PSDB und ihren Kandidaten Geraldo Alckmin. Viel gewannen siedadurch an den Urnen nicht, doch reichte es, um Lulas Sieg im ersten Wahlgang zu verhindern.
Nachdem der erste Wahlgang vorüber war, ging Lula doch widerwillig in den Wahlkampf. Zuvor hielt er sich eher zurück. Warum auch nicht? Schließlich beschieden ihm die Umfragen eine überwältigende Mehrheit, und wer nichts sagt, kann auch nichts Falsches sagen.
So besuchte er keine der vier Fernsehdebatten der Kandidaten, die vor dem ersten Wahlgang stattfanden. Die anwesenden PräsidentschaftsanwärterInnen hatten ausführlich Zeit und Raum, die Regierung zu kritisieren. Besonders Lula hielten sie seine Arroganz vor, nicht an den Debatten teilzunehmen. Der Präsident würde sich vor den WählerInnen verstecken, so war das einhellige Urteil Lulas Kontrahenten.
Im zweiten Wahlgang konnte sich Lula diese „Ich bin ja schon gewählt“-Haltung nicht mehr erlauben. Mit sichtbaren Unbehagen stellte er sich der Debatte mit dem einzig übriggebliebenen Gegenkandidaten, Geraldo Alckmin.
In wirtschaftlichen und sozialen Fragen hatte der konservative Kandidat an Lula wenig auszusetzen. Dies ist auch kein Wunder: In der Wirtschaftspolitik setzt Lula auf Währungsstabilität und einen hohen Haushaltsüberschuss vor Bedienung der Schulden (sogenannter primärer Haushaltsüberschuss). Damit unterscheidet sie sich fast gar nicht von der Politik seines Amtsvorgängers und Parteikollegen von Alckmin, Fernando Henrique Cardoso.
Die Sozialpolitk Lulas zu kritisieren wäre allerdings einem politischen Selbstmord Alckmins gleichgekommen. Schließlich beruht Lulas Popularität auf den Sozialprogrammen, die er in seiner Regierung ausgearbeitet hat. Alckmin konnte nur beteuern, dass er an den Hilfsprogrammen nichts ändern würde.
So blieb Alckmin in den Fernsehdebatten als Thema nur die Korruption. Er verlangte Aufklärung der bisweilen komplizierten Fälle und schalt die moralische Verkommenheit der Regierung.

Angst vor Privatisierung

Lula dagegen machte Stimmung gegen eine mögliche Regierung der PSDB, indem er an die Privatisierungswelle in den neunziger Jahren erinnerte. Fernando Henrique Cardoso hatte etliche Staatsbetriebe verkauft, darunter die Compania do Vale do Rio Doce (CVRD). Damals stand das staatliche Bergbau- und Stahlunternehmen kurz vor dem Bankrott. Inzwischen floriert das Unternehmen aufgrund der hohen Nachfrage nach Stahl im asiatischen Raum. Lula argumentierte in den Fernsehdebatten, dass dem brasilianischen Staat durch den Verkauf von CVRD enorme Einnahmen entgangen seien. „Wenn Alckmin Präsident wird, weiß niemand, ob er nicht auch Petrobras privatisieren würde“, sagte er auf einer Fernsehdebatte. Durch den hohen Ölpreis der letzten Jahre macht das staatliche Erdölunternehmen enorme Gewinne.
Alckmin versicherte zwar immer wieder, dass er nicht daran denke, Petrobras zum Verkauf stellen, doch ohne Erfolg. Etliche Analysten in den brasilianischen Medien glauben, dass Lulas Kampagne gegen die angeblich bevorstehende Privatisierung von Petrobras viele schwankende WählerInnen überzeugt hätte. Genauso wie es die CVRD war, ist Petrobras ein nationales Symbol für die industrielle Entwicklung Brasiliens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Beide Unternehmen wurden immer zu Garanten der Unabhängigkeit Brasiliens stilisiert.
Lulas Popularität beruht aber nicht nur auf den Sozialprogrammen. Für die Wahl entscheidend war ebenfalls die Reglementierung der Preise von Grundnahrungsmitteln. In seiner Regierungszeit halbierte sich der Preis eines fünf-Kilo-Sacks Reis von elf Reais auf vier Reais (von etwa vier Euro auf etwa 1,50 Euro). In einem Land, in dem die Bevölkerungsmehrheit weniger als drei Mindestlöhne (etwa 250 Euro) pro Monat verdient, ist dies ein überzeugender Grund, für Lula zu stimmen.

Der Mittelsmann

Doch trotz seiner Popularität wird es Lula in seiner zweiten Legislaturperiode nicht leicht haben. Immer noch untersucht die Bundespolizei Korruptionsvorwürfe gegen Mitglieder der PT. Und zudem ging Lula Wahlbündnisse mit konservativen Politikern der PMDB ein. Da diese Partei die größte Fraktion im neuen Parlament stellen wird, muss sich Lula mit ihren Interessen noch stärker arrangieren als zuvor.
Die Zeiten sind vorbei, als die brasilianische Linke noch weitgehende Veränderungen von einer Regierung der Arbeiterpartei PT erhoffte. Nach vier Jahren ist die Ernüchterung eingekehrt. Lula denkt nicht daran, große Unternehmen zu verprellen. Was er an sozialen Programmen durchführt, wird sich immer am engen Handlungsrahmen orientieren, den die Volkswirtschaft vorgibt. Viele linke AktivistInnen sind deshalb von Lula enttäuscht. Nicht wenige traten deshalb zur neuen linken Partei P-SOL über.
So versuchte Lula erst gar nicht, seinen jubelnden AnhängerInnen das Blaue vom Himmel zu versprechen. „Meine Genossen von den Gewerkschaften werden einfordern, was sie nur können. Aber wir werden nur das geben, was die Verantwortung gebietet“, sagte Lula während der Siegesparade auf der Avenida Paulista. Letztlich ist Lula nur der Mittelsmann von Kapitalinteressen und der armen Bevölkerung.

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