Wind und Worte in Chiapas
Das Independent Media Centre Chiapas
Ein unscheinbares Haus in der Straße Ejercito Nacional Nummer 17 in San Cristóbal de las Casas, Chiapas: Man muss die Adresse kennen, denn von außen weist nichts auf das Independent Media Centre (IMC) hin. Das Zentrum ist in einer Jugendherberge für politische AktivistInnen untergekommen. Simon aus Kalifornien ist einer derjenigen, die sich im IMC engagieren. Eigentlich ist er nach Chiapas gekommen, um in der zapatistischen Gemeinde Morelia in einer Fahrradwerkstatt mitzuarbeiten. Doch jetzt ist er, wie viele politikinteressierte Reisende im Süden Mexikos, erstmal in San Cristóbal hängen geblieben. Die Ausstattung des IMC ist karg. Acht Computer stehen hier und viele Videos und CDs. An der Wand hängt eine große Tafel mit den Öffnungszeiten. Über die Woche verteilt halten sechs bis zehn Personen das Büro geöffnet.
Indymedia global
Das IMC Chiapas versteht sich als Teil des Netzwerkes Indymedia, das 1999 in Seattle anlässlich der Proteste gegen die WTO entstand. Damals versuchten diverse große Fernsehsender der Weltöffentlichkeit ein ruhiges, friedliches Bild zu vermitteln von der Stadt, in der die Polizei stark repressiv gegen globalisierungskritische DemonstrantInnen vorging. Indymedia gelang es via Internet Bilder von der Repression zu publizieren, die die Mainstreammedien einer krassen Lüge überführten. Das war der Start für eine weltweite Vernetzung von IMCs, zu dem sich 2001 IMC Chiapas gesellte.
Solidarität Zapatista
Anlass war die Ankündigung der Zapatistas nach Mexiko-Stadt zu marschieren. Im siebten Jahr des Kampfes gegen die mexikanische Armee, die Paramilitärs und gegen das Vergessen riefen die Zapatistas damals die mexikanische Zivilgesellschaft auf, sich zu organisieren und zu informieren. In dem Kommuniqué vom 1.1.2001 bezeichneten sich die Zapatistas selbst als Kommunikation. „Wir sind das Wort, nicht der Mund, der es ausspricht,“ verkündeten sie. Ein Wort, das ausgesprochen werden muss. Ein Wort, das in Bewegung bleibt: „Wir sind Schritte, nicht die Füße, die sie antreiben. Wir sind Pfad. Weder der Punkt der Ankunft noch des Aufbruchs.“
Die Indymedia-Homepage berichtete umfassend über den langen Marsch der Zapatistas. Drei Monate vor dem Marsch wurden Workshops organisiert, in denen Freiwillige lernten, selbst erstellte Informationen in Form von Radio, Film und Text im Internet zu veröffentlichen. Circa 150 MitarbeiterInnen von Indymedia begleiteten schließlich den Marsch „der indigenen Würde und der Farben der Erde“ nach Mexiko-Stadt.
Freie Information
Ana und Paco von Indymedia Chiapas erzählen, wie die Webseite funktioniert. „Wir versuchen hier in nicht hierarchischen Strukturen zu arbeiten. Das ist nicht immer einfach, denn wer mehr Verantwortung übernimmt, hat meistens auch mehr Macht“, bemerkt Paco selbstkritisch. „Freie Meinungsäußerung ist ein Grundsatz von Indymedia. Jeder kann auf der Homepage veröffentlichen. Allerdings haben wir uns das Recht vorbehalten, Beiträge von der Homepage zu entfernen, wenn sie etwa rassistisch oder sexistisch sind“, erklärt Ana. Die Bevölkerung habe ein Recht auf gute Information, aber in vielen Dörfern im Umkreis von San Cristóbal gäbe es keine Internetzugänge, berichtet die junge Frau. Daher haben die AktivistInnen Workshops organisiert, in dem Wandzeitungen erstellt und dann in den Dörfern an die Bäume gepinnt werden. Außerdem produziert IMC Chiapas ein Radioprogramm, das man in weiten Teilen von Chiapas empfangen kann.
Cancún und zurück
Als im Herbst 2003 die WTO in Cancún tagte, organisierte Indymedia ein eigenes Medienzentrum und akkreditierte zahlreiche internationale JournalistInnen. „Das schönste an der WTO-Konferenz war die Woche davor“, erzählen Ana und Paco. „Es war eine tolle Erfahrung, uns mit anderen Leuten von Indymedia aus der ganzen Welt auszutauschen und inhaltlich zu arbeiten.“
Neue Alphabetisierung
Für JournalistInnen in Chiapas sind insbesondere die Zapatistas von Interesse. Wenn diese eine lokale Aktion ankündigen oder ein Jubiläum ansteht, füllt sich das kleine IMC Büro mit internationalen JournalistInnen, die die Infrastruktur nutzen. So war es zum Beispiel 2003 bei der Gründung der zapatistischen Parlamente, den so genannten Caracoles.
Der Bundesstaat Chiapas ist stark durch Migration geprägt. Er grenzt an Guatemala und bildet somit die Südgrenze der Nordamerikanischen Freihandelszone. Viele Menschen kommen auf dem Weg in den Norden hier durch. Thema bei Indymedia Chiapas ist daher auch die Repression gegen MigrantInnen aus Zentralamerika.
Ihre wichtigste Aufgabe sehen Ana und Paco allerdings in der Zusammenarbeit mit den BewohnerInnen von Chiapas. Sie streben eine neue Art der Alphabetisierung an: den Umgang mit dem Internet. Insbesondere durch den Tourismus nimmt für viele EinwohnerInnen von Chiapas das Internet an Bedeutung zu. KunsthandwerkerInnen etwa bekommen von TouristInnen und HändlerInnen das Angebot, per E-Mail in Kontakt zu bleiben und Exportgeschäfte aufzubauen. Dafür müssen aber erst einmal Internet-Fertigkeiten erlernt werden. Keine Selbstverständlichkeit an einem Ort, wo nur ein verschwindend geringer Teil der Bevölkerung über Zugang zum Internet verfügt.
So arbeitet das IMC Chiapas mit zivilen und staatlichen Organisationen zusammen, um Ausbildungskurse durchzuführen. Eines der Probleme des IMC wird jedoch bei dieser Arbeit deutlich: „Es wäre schön, wenn das Angebot und die Infrastruktur von Indymedia mehr von der einheimischen Bevölkerung angenommen würden,“ kommentiert Paco. „Zur Zeit arbeiten hier immer noch hauptsächlich Ausländer.“