Costa Rica | Nummer 197 - November 1990

Wir sind Fremde im eigenen Land!

Von den rund 400.000 Indígenas, die vor der spanischen Eroberung auf dem Gebiet Costa Ricas lebten, sind heute noch 20.-25.000 geblieben, mit weniger als 1% der Bevölkerung eine verschwindend kleine Minderheit und – CostaricanerInnen zweiter Klasse. So zogen 101 Jahre nach der Gründung der vielbeschworenen costaricanischen Demokratie Guaymíes, Bribris und Cabécares aus dem Süden des Landes nach San José, um für das zu protestieren, was allen CostaricanerInnen als selbstverständliches Grundrecht zusteht: die Cédula de Identidad, der “Personalausweis”, ohne den sie
– nicht wählen
– nicht die Betriebs- und Schulkantinen benutzen
– keine Gesundheitsversorgung des Staats in Anspruch nehmen und
– keine finanzielle oder andere Unterstützung von Banken oder staatlichen Institutionen erhalten
können.

Michael Sturm

Währenddessen und seit Jahren werden die seit 1977 gültigen Indígena-Gesetze, die jegliche äußere Eingriffe in die Reservate gegen den Willen der Indígenas oder ihrer Vereinigungen verbieten, unterlaufen durch die Minengesetze. Diese gestatten es Privatpersonen und Unternehmen, in den Reservaten willkürlich Landansprüche abzustecken.
Insbesondere Straßenbau- oder Staudammprojekte verdeutlichen schlaglichtartig die Ignoranz aller bisherigen Regierungen gegenüber indianischen Interessen. So plant zum Beispiel das costaricanische Elektrizitätsunternehmen ICE ein Staudammprojekt in der Cordillera de Talamanca, der unwegsamen Gebirgskette mit den letzten großen zusammenhängenden Regenwaldgebieten im Süden des Landes: Mit Kosten von 684 Mio US-$ und für die Perspektive von 416 Megawatt ab dem Jahr 2005 soll eine 200m hohe Staumauer die tiefe Schlucht des Río Pacuare in einen langgestreckten Stausee verwandeln. 1.200 ha Nationalpark und Reservatsland der Cabécares werden dabei überflutet (s. Karte, #9), 60 Cabécar-Familien müßten ihr traditionelles Stammesgebiet verlassen.
Zu BündnispartnerInnen der bedrohten Indígenas schwangen sich in dieser Situation die “White Water Rafting”-Unternehmen auf, die – nicht schlecht – davon leben, zivilisationsgelangweilte Touristen in kleinen Kanus durch das tobende “weiße” Wasser tropischer Gebirgsbäche paddeln zu lassen. Ausgerechnet das ICE nun führte als Argument ins Feld der öffentlichen Debatte, daß diese Tourismus-Unternehmen allein am Erhalt der Stromschnellen interessiert seien und ihnen die Interessen der Indígenas nebensächlich wären… Zum (vorläufigen) Ende der Diskussion wurde eine Einigung erzielt, die dem ICE die Erstellung einer Umweltverträglichkeitsstudie auferlegt. Unter den UnterzeichnerInnen sind das ICE und Vertreter der White-Water-Rafting-Companies, jedoch kein Vertreter der Indígenas.
Und was hat Saddam Hussein mit all dem zu tun? Der Ölpreis steigt für Costa Rica von kanppen 30 auf über 40 US-$ pro Barrel, und prompt werden alte Ideen ausgegraben, die Abhängigkeit von importiertem Erdöl durch die Ausbeutung eigener (bis jetzt nie gefundener!) Vorkommen zu mindern. Präsident Calderón spricht bereits von einem nationalen Suchprogramm, das Talamanca-Gebirge eingeschlossen.
Und die Cédula, deren nach San José getragene Einforderung im Mai zum – wie die Zeitung La Nación meldete – “ersten Konflikt der neuen Regierung” Calderón wurde? Bis auf die Guaymies, die nach Ansicht der Regierung bereits im Besitz einer panamaischen Cédula sind, und denjenigen Indígenas, die ihre Geburt auf costaricanischer Erde nicht nachweisen können, sind inzwischen fast alle Indígenas versorgt. Zu ihrer realen Gleichberechtigung in der costaricanischen Gesellschaft ist es jedoch noch ein langer Weg.

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