Nummer 308 - Februar 2000 | Sachbuch

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Surfen nach Lateinamerika

Internet für HistorikerInnen, für JournalistInnen, für WirtschaftswissenschaftlerInnen und für PhilosophInnen; es gibt sie mittlerweile zahlreich: Einführende Ratgeber, damit auch die vermeintlich hinterher hinkenden GeisteswissenschaftlerInnen endlich im Virtuellen recherchieren können. Anfang 1999 erschien auch für Lateinamerika-Interessierte ein entsprechendes Werk. Um den Gebrauchswert solcher Bücher und die aktuellen Möglichkeiten im Netz etwas über beziehungsweise aus Lateinamerika zu finden, soll es im Folgenden gehen.

Andreas Kühler

Kolumbus alias Gerard Depardieu watet durchs Wasser auf die neue Welt zu, die Sychronstimme von Jean-Luc Picard, Käpitan der neuen Enterprice, spricht bedeutungsschwer zu den bewegenden Bildern aus dem off: „Deutschland geht t-online!“ Der Werbespot der Deutschen Telekom suggeriert Goldgräberstimmung.
Alle, die immer noch nicht online sind, haben angesichts von Internetkursen für SeniorInnen an Volkshochschulen nur noch die Wahl zwischen letzteren oder einem Selbststudium. Gab es vor zehn Jahren nur circa 10.000 Server, die weltweit Informationen im Netz anboten, so dürften es mittlerweile etwa vier Millionen sein, Tendenz steigend. Behörden, Institutionen, Universitäten, Konzerne und Nichtregierungsorganisationen sämtlicher lateinamerikanischen Staaten sind seit einiger Zeit flächendeckend im Netz präsent. Die Region zählt hinsichtlich AnbieterInnen und NutzerInnen im Moment zu den am schnellsten wachsenden der Welt. Ohne Internet auch keine Informationen. Doch vor den Überlebenstips fürs Netz zunächst ein kurzer Blick zurück in die Geschichte.
Wie vieles Gute und Nützliche auf der Erde ist auch das Internet ursprünglich eine Erfindung des Militärs, nämlich des US-amerikanischen: Für den Fall eines atomaren Krieges wurde eine dezentrale Kommunikationsstruktur benötigt, die nicht mit einem Schlag vernichtet werden konnte. Entsprechend dieser Herkunft mußte die Linke dieses System logischerweise zunächst einmal gut zehn Jahre boykottieren, um in den letzten zwei, drei Jahren zögerlich – und anfangs heimlich – eine Kontaktaufnahme zu wagen. Im April 1997 wurden in der ila die wichtigsten Internet-Vokabeln, wie z.B. Brett, Newsgruppe, Link und Smiley erklärt. Natürlich wiesen alle Artikel zur Absicherung der korrekten politischen Linie auf die Gefahren des Internet hin. Das macht das Heft auch heute noch lesenswert, zumal von den neuen Abhängigkeiten, der sozialen Vereinsamung, der ökonomischen Kontrolle und Herrschaft und andererseits den Kampfstrategien der unterdrückten Massen mit Hilfe des Netzes hier gerade nicht die Rede sein soll.
Der Historiker Joachim Gartz von der iberischen und lateinamerikanischen Abteilung der Kölner Universität ging einen Schritt weiter und legte im letzten Jahr gleich ein ganzes Buch „Lateinamerika Online“ vor. Darin findet sich eine gute Zusammenfassung der wichtigsten Suchmöglichkeiten und Orientierungshilfen, Newsgruppen und Datenbanken bezüglich Lateinamerika mit einer Fülle von Zugangspunkten zur individuellen Recherche. Nebenbei werden noch die wichtigsten Internetdienste, der sinnvolle Gebrauch von Suchmaschinen, das Recherchieren in Universitätsbibliotheken, das Abonnieren von Mailinglisten und die Kontaktaufnahme zu Newsgruppen erklärt. So weit so nützlich.

amig@

Eifrig mache ich mich an die konkrete Erkundung des „virtuellen Eldorados“. Obwohl ich noch zu den Wordperfect-Sozialisierten gehöre, die ihr ganzes Studium mit der Schreibmaschine bestritten haben und erst zum Examen einen Computer benutzen lernten, klappte das Ganze erstaunlich gut. Für unsere jüngeren LeserInnen: In grauer Vorzeit lief die Textverarbeitung über Funktionstasten, eine Maus existierte noch nicht. Computer waren sehr teuer und aus politischen Gründen, nämlich der drohenden Vernichtung von Arbeitsplätzen, hatte man so ein Gerät damals nicht. [Oja, was war das Anfang der 90er in der LN-Redaktion für eine, aus heutiger Sicht, aberwitzige Diskussion über den Kauf von unseren ersten Computern, der Säzzer.]
Für Menschen mit ähnlicher Sozialisation kann folglich das erwähnte Buch unter Umständen nützlich sein; auch vor dem Hintergrund, daß wir zu Allem und jedem Thema gerne zuerst ein Buch in die Hand nehmen.
Für alle jüngeren Menschen – sagen wir mal unter 35 – lohnt ein solches Werk hingegen nicht. Dabei spielt zum einen die schnelle Fortentwicklung des Internet eine wichtige Rolle. Knapp ein Jahr nach Erscheinen des Buches sind einzelne Angaben schon wieder überholt und ortsbezogene aber vor allem auch bundesweite Recherchemöglichkeiten, z.B. in sämtlichen Hochschulbibliotheken, sind viel weiter gediehen als im Buch beschrieben. Zum anderen ist es heute – insbesondere für Studierende – selbstverständlich, mit diesen Techniken umzugehen, und zwar in ziemlicher Perfektion. Bücher sind da eher hinderlich und werden vielfach als Behinderung empfunden.
Die einfachste Möglichkeit, überhaupt irgendetwas im Internet zu finden, funktioniert über Suchmaschinen. Neben den bekannteren wie AltaVista, Dino, Web.de oder Yahoo empfehlen sich so genannte Meta-Suchmaschinen besonders dazu, sämtliche zuvor genannten auf einmal zu durchforsten. Wenn allerdings das Thema bei der Stichwortsuche zu wenig eingegrenzt wird, droht ein sehr umfangreiches Suchergebnis. Ruck zuck hat man mehrere Tausend Treffer. Dann geht die Suche erneut los.
Den besseren Einstieg in die Lateinamerika-Recherche bietet wohl die Universität von Texas. Hier kann beispielsweise nach Ländern, Wirtschaft, Bildung, Medien, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft sowie nachhaltiger Entwicklung weiter geforscht werden. Wahrscheinlich finden sich nirgendwo sonst so viele Links zum Verhältnis von USA und Mexiko. In der Bundesrepublik stammt die größte Zusammenstellung von Links zu Lateinamerika von den RegionalwissenschaftlerInnen der Uni Köln. Länderspezifisch können Universitäten und Medien abgefragt werden. Darüber hinaus finden sich zahlreiche Links zu Geschichte, Politik und Wirtschaft und – wichtig, wichtig – landestypische Kochrezepte.
Empfehlenswert ist auch der „Internet-Lesesaal“ des Instituts für Iberoamerika-Kunde in Hamburg und neuerdings die Homepage der Zeitschrift ila. Über letztere wird man in naher Zukunft auch Termine und Tips für Rundfunk und Fernsehen bekommen können – löblich, löblich. Zu guter letzt: Ebenfalls noch ziemlich neu ist die Online-Recherchemöglichkeit im Ibero-Amerikanischen Institut in Berlin. Es besitzt die wohl größte Sammlung von Medien aus Mittel- und Südamerika in der Bundesrepublik. Der Bestand von 1994 bis heute ist derzeit im Netz einzusehen. Wer weiter suchet, der findet noch mehr.

Joachim Gartz: Lateinamerika Online – Theorie und Praxis effizienter Internet-Recherche im virtuellen Eldorado, Verlag Alexander Mönch, Köln 1999, 155 Seiten.

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