Kuba | Nummer 586 - April 2023

Zusammen kommen wir weiter

In Havanna sorgt die Gemeinschaft Mujeres en Espiral für feministische Entwicklung von unten

In Kuba hat die Bevölkerung seit 2020 unter vielen zusätzlichen Belastungen zu leiden. Die Frauen der Mujeres en Espiral (Frauen in der Spirale) in Havanna kämpfen mit ihrem Projekt für mehr soziale Gerechtigkeit in ihrem Land, für die Gleichstellung der Geschlechter und für die Verbreitung solidarischer Volkswirtschaft.

Von Jana Salcedo Strausfeld

Das Viertel umgestalten, feministische Kämpfe von unten führen Sitz der Mujeres en Espiral in Havanna (Foto: Jana Salcedo Strausfeld)

In einem bunt angemalten Gebäude warten die Mujeres en Espiral mit zuckrigen Getränken und selbstgebackenen Keksen in der kubanischen Hauptstadt auf uns. Ihr Hauptsitz ist ein liebevoll gestaltetes Haus im Kolonialstil und befindet sich in Marianao, einem ökonomisch schwachem Randbezirk Havannas. Dort versammeln sie sich wöchentlich, um Frauen aus ihrer Gemeinschaft Workshops und psychologische Beratung anzubieten, die ihnen bei ihrer Emanzipation helfen soll. Oftmals wenden sich Frauen an sie, die psychische, physische und emotionale Gewalt erfahren und sich in Abhängigkeitsdynamiken mit ihren Ehemännern befinden.

Tanja, América und ihre Kolleginnen empfangen uns während unseres dreimonatigen Aufenthaltes im Herbst 2022 in Kuba, in dem wir ein soziales Kleinprojekt zum Thema Ressourcenmanagement und Wasser durchführen. Krise nach Krise verschärft die bereits bestehenden Konflikte des Inselstaates: Auf die Corona-Pandemie folgt der Angriffskrieg auf die Ukraine, im September 2022 der verheerende Hurrikan Ian. Bereits 2020 war Kuba mit einer Nahrungsmittel- und Gesundheitskrise konfrontiert. Fehlende Ressourcen, Stromausfälle, Verhaftungen von jungen Protestierenden im Juli 2020 sowie das Jahrzehnte andauernde Handelsembargo und die deutlich verschlechterten Beziehungen zu den USA unter Trump (2017 bis 2021) belasten die Kubaner*innen enorm (siehe LN-Dossier 19).

Im Jahr 2022 nahm die (irreguläre) Abwanderung von der Insel stark zu – nie seit der Revolution 1959 war sie höher. Mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen von umgerechnet 25 bis 30 Euro hat der Großteil der kubanischen Bevölkerung kaum Perspektiven auf ein würdevolles Leben.

Die Mujeres en Espiral kämpfen mit ihrem Projekt für mehr soziale Gerechtigkeit in Kuba, für die Gleichstellung der Geschlechter und für die Verbreitung solidarischer Volkswirtschaft. Sie verstehen sich als Bewegung, die aus feministischen, sich selbst ermächtigenden Unternehmer*innen besteht und in ihrem Viertel für soziale Verantwortung, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Aktivismus bekannt ist. Die Gruppe vereint auf freiwilliger Basis Frauen aus verschiedenen Gemeinden, sozialen Sektoren, Ethnien und Religionen Havannas, die mit sozio-produktiven Erfahrungen, Dienstleistungen und Workshops für die ganzheitliche Umgestaltung des Viertels kämpfen und dabei die Rolle der Frau stärken. Unter dem Motto Solas vamos más rápido, juntas llegamos más lejos (Allein kommen wir schneller voran, gemeinsam kommen wir weiter voran) und Juntas aprendemos, juntas producimos, juntas decidimos (Gemeinsam lernen, produzieren und entscheiden wir) führen sie Workshops durch, in denen sie mit den stereotypischen Rollenbildern der patriarchalen Gesellschaftsstruktur brechen. Sie bieten Frauen eine Ausbildung in diversen Berufen an und ermöglichen ihnen durch Fortbildungen den Einstieg in den Arbeitsmarkt.

Die Mujeres en Espiral sind eine Gemeinschaft von 75 Frauen und haben bereits zur Entstehung von 15 Kleinunternehmen beigetragen, die sich dem Kunsthandwerk oder der Herstellung von Bio-Lebensmitteln, Brot oder Süßigkeiten widmen. Auch ein Friseursalon und eine Wäscherei sind entstanden sowie zwei Gemeindeberatungen für Frauen und Familien in Gewaltsituationen, die sich aus Fachleuten für Gemeindearbeit und Pädagog*innen zusammensetzen.

Nähateliers, Kunstwerkstätten, Friseursalons Aus dem Projekt Mujeres en Espiral sind bereits 15 Kleinunternehmen entstanden (Foto: Jana Salcedo Strausfeld)

Nach dem interessanten und lehrreichen Gespräch mit den Gründerinnen der Mujeres en Espiral besuchen wir Frauen in der Nachbarschaft, die bereits an den Workshops teilgenommen und ihr eigenes kleines Unternehmen gegründet haben. Darunter ist Alina Saborit in ihrem Näh-Atelier Atrévete, eres más (Traue dich, du bist mehr wert) und Paula Margarita Montalvo Jorrín sowie ihre Nichte Maritza vom Recycle- und Kunstprojekt La Muñeca Negra (Die Schwarze Puppe). Alina Saborit nimmt in ihrem Nähstudio vor allem junge Frauen aus problematischen Umfeldern auf, die dort nähen lernen und sich so berufliche Aussichten verschaffen. Sie spezialisieren sich auf die Herstellung von Konfektionskleidung, auf Reparatur und Upcycling. In Pandemiezeiten nahmen sie Aufträge zur Stoffmaskenherstellung an und nähten zudem aufgrund eines Lieferengpasses Schuluniformen. Ihnen bietet der Job eine erste kleine Einnahmequelle und die Hoffnung, in Zukunft selbst ein Kleinunternehmen zu starten.

Von den zehn Frauen, die bereits bei Alina ausgebildet wurden, haben vier bereits eigene Unternehmen gegründet und Mitarbeiter*innen angestellt. Auf eine lange Geschichte blickt das Recycle- und Kunstprojekt La Muñeca Negra zurück. Es wurde bereits 1980 von Paula Margarita gegründet und besteht derzeit aus einer Gemeinschaft älterer Frauen, die aus recycelten Materialien und Naturprodukten Kunst herstellen. Ihre Kunst zeichnet sich durch die Repräsentanz der Schwarzen Frau sowie farbenfrohe Muster und Stoffe aus. Das Projekt hat bereits kubanische und spanische Auszeichnungen erhalten.

Paula Margarita ist studierte Künstlerin und bietet seit 40 Jahren Wochenendkurse für Kinder an, die bei ihr diverse Recycle- Kunsttechniken lernen können und dadurch ein kostenloses Freizeitprogramm erhalten. Die Mütter schicken ihre Kinder dankend zu den Kursen von Paula Margarita und Maritza, die Mitglieder der Mujeres en Espiral sind. Sie haben selbst Workshops zur Stärkung der Frauen mitgemacht und implementieren das erworbene Wissen in den Wochenendkursen mit den Kindern. Zudem ist den beiden bewusst, dass ihr Projekt den älteren Frauen eine Einnahmequelle sowie ein soziales Umfeld bieten. Auf Handwerksmärkten und Veranstaltungen verkaufen sie ihre Kunst und auch im Ausland und bei Tourist*innen treffen sie auf Interesse. Bei meinem letzten Besuch bei Maritza bereitete sie sich für einen Besuch der Mujeres en Espiral auf einer feministischen Messe in Mexiko vor, mit dem Titel Expo Mujer: Generando comunidad entre Mujeres (Ausstellung Frau: Gemeinschaft zwischen Frauen schaffen). Es war bereits ihre zweite Auslandsreise, die ihr das feministische Netzwerk ermöglichte.

Eine weitere erwähnenswerte Initiative ist eine Seminarreihe zu toxischer Männlichkeit in Kuba. Das Konzept haben Ania und ihr Team von zwölf Frauen erstellt und möchten es im August 2023 mithilfe der gemeinnützigen Organisation Centro Félix Varela implementieren. Die Seminare sollen einen Raum für den Austausch von männlich gelesenen Personen bieten, in dem eine offene Kommunikation stattfindet und Emotionen ausgedrückt werden dürfen. Sie richten sich an Schul- und Universitätsgruppen, aber auch an allgemein Interessierte aus Havanna und Umgebung. Dafür haben sie 60 diverse Freiwillige angefragt, die als Mentor*innen trainiert werden und die ihre persönlichen Erfahrungen zu toxischer Männlichkeit mit den Teilnehmenden teilen wollen. Mit diesem Konzept möchten sie den Jugendlichen und Männern einen Raum und einen Zugang zu ihren Emotionen geben sowie Offenheit und Akzeptanz diverser Sexualitäten und fluider Geschlechtsidentitäten fördern.

Die Frauen schaffen eine in Krisen bestmögliche Realität

Das Streben nach Gleichberechtigung und Unabhängigkeit, die feministische Solidarität und der Unternehmer*innengeist, die die kubanischen Frauen in ihrem Kampf für Geschlechtergleichstellung antreibt, bereichern ihre Gemeinschaft und bringt eine neue Perspektive in das Leben der Beteiligten. Ihr Aktivismus und ihr weites Netzwerk sind bewundernswerte Beispiele für einen lebendigen, kubanischen Feminismus. Diese inspirierenden Aktivist*innen machen Frauen ihre Handlungsfähigkeit bewusst gzeigen, dass gemeinschaftliches Wirken die Lebensrealität von Vielen verbessern kann, ganz nach ihrem oben genannten Slogan. Kein Ideologiekrieg und kein autoritäres System können diese Art von sozialem Handeln und Fühlen kritisieren oder unterdrücken. Auf ihre sprudelnde und solidarische Weise kämpfen sie für Gerechtigkeit und erschaffen die beste Realität, die sie inmitten von vielen Krisen erschaffen können.

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