Editorial | Nummer 363/364 - Sept./Okt. 2004

30 Jahre FDCL – ipresente!

Im Sommer 1974 wurde in Berlin das Fußball-WM-Spiel zwischen Chile und Australien durch auf das Feld stürmende DemonstrantInnen unterbrochen. Bilder der großen Transparente gegen die chilenische Militärdiktatur fanden ihren Weg bis nach Chile. Es war eine der ersten größeren Aktionen des Chile-Komitees, aus dessen Umfeld sich noch im selben Jahr das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika, das FDCL, gründete.

Nachdem die Lateinamerika Nachrichten bereits letztes Jahr ihr 30jähriges Bestehen feiern konnten, gibt es diesen Herbst erneut Grund zum Feiern: „30 Jahre FDCL“! Anfangs war das Motto klar: “Wir brauchen Regale”. Die (damals noch) Chile-Nachrichten wollten ihre umfangreichen Materialien ordnen und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das FDCL wurde mit dem Ziel gegründet, Räume anzumieten und ein politisches Informations- und Kommunikationszentrum zu schaffen, in dem sich Interessierte über Lateinamerika informieren oder sich zu bestimmten Themen engagieren konnten. Das umfangreiche Archiv des FDCL stellt bis heute historische und aktuelle Informationen zur Verfügung und ist mittlerweile zum größten unabhängigen, nicht-staatlichen Lateinamerika-Archiv im deutschsprachigen Raum herangewachsen. Soziale, wirtschaftliche und politische Entwicklungen in Lateinamerika werden hier, größtenteils aus einer Sicht der „Geschichte von unten“, gesammelt und dokumentiert.

Bereits nach kurzer Zeit wurde deutlich: Das FDCL war ein Selbstläufer. Forschung und Dokumentation nicht nur zu Chile, sondern zu ganz Lateinamerika, das sprach damals viele Menschen an. Dennoch war immer klar, dass Solidaritätsarbeit zwischen Lateinamerika und Deutschland nie mit wissenschaftlichen Forschungszielen betrieben werden durfte. Vielmehr war und ist sie der Versuch, politisch etwas zu bewegen: man wollte nicht Lateinamerika verändern, sondern hier in Deutschland eine Gegenöffentlichkeit schaffen und Erinnerungsarbeit leisten.

In all den Jahren haben die MitarbeiterInnen und FreundInnen des FDCL immer „große Ideen” gehabt und das Unmögliche zumindest versucht: Die Lateinamerika-Tage, die zwischen 1980 und 1991 fünfmal durchgeführt wurden, und die Chile-Tage 1983 und 1989 waren Anziehungspunkte, die teilweise in einer überfüllten Berliner Eissporthalle oder dem Audimax der Technischen Universität mit jeweils tausenden Gästen stattfanden. Zwar konnten später nie mehr so viele Begeisterte mobilisiert werden, aber auch die Gegenaktivitäten zur offiziellen 500-Jahr-Feier des „V. Centenario“, die Kampagne zu „500 Jahre Brasilien – Wem gehört das Land?“ oder die Öffentlichkeitsarbeit zur zapatistischen Bewegung in Mexiko fanden in den neunziger Jahren ihren Platz in der bundesdeutschen Solidaritätsszene.

Neben der Durchführung kleiner und großer Veranstaltungen wurden MigrantInnen beraten, Demonstrationen, Mahnwachen und Briefkampagnen organisiert und Informationsarbeit zu bürgerlich-politischen und sozialen Menschenrechten in Lateinamerika geleistet. Dabei versteht sich das FDCL bis heute als Referenz- und Knotenpunkt für Solidaritätsgruppen, Länderkomitees und Interessierte, die hier ein offenes Projekt nutzen und sich engagieren können.

Seit Anbeginn in zyklischem Auf-und-Ab durchlebte das FDCL Anfang der achtziger und vor allem Mitte der neunziger Jahre inhaltliche, aber noch weitaus schärfere finanzielle Krisen. Man fragte sich: „Macht es noch Sinn?“ Dennoch ist es immer weiter gegangen. Ohne das Engagement vieler ehrenamtlicher MitarbeiterInnen und FreundInnen wäre das allerdings nicht möglich gewesen.

Angesichts der fortbestehenden Ungerechtigkeiten in Lateinamerika und der Notwendigkeit, im Austausch zwischen Lateinamerika und Deutschland hierzulande kritische Fragen zu stellen und politische Arbeit zu leisten, ist für die kommenden Jahre auch weiterhin klar: „Preguntando caminamos” – hoffentlich noch viele weitere Jahre! In diesem Sinne gratuliert die Redaktion der Lateinamerika Nachrichten zu 30 Jahren FDCL – ¡presente!


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