Editorial | Nummer 475 - Januar 2014

Das Erbe von Chico Mendes

LN-Redaktion

Es war am späten Abend. Er wollte sich waschen. Dort, zehn Meter hinter seinem Haus, wo er selbst eine behelfsmäßige Dusche gebaut hatte. Kaum hatte er die Hintertür geöffnet, als die Kugeln ihn in die Brust trafen. 25 Jahre sind seither vergangen. Am 22. Dezember 1988 wurde Chico Mendes vor seinem Haus in Xapuri im amazonischen Bundesstaat Acre kaltblütig ermordet. Der Täter war der Sohn eines Großgrundbesitzers, in dessen Auftrag er handelte.

Chico Mendes hatte schon viele Morddrohungen erhalten. Von den fazendeiros, Großgrundbesitzer_innen, Holzfirmen, Viehfarmer_innen, Militärs. Zuerst störte sie die Unruhe, die er in der Gegend stiftete, da er die seringueiros, die Kautschukzapfer_innen, gewerkschaftlich organisierte. Dann erzürnte sie, dass er und seine Kolleg_innen die Urbarmachung des Waldes verhinderten mit ihren mittlerweile so erfolgreichen empates – Menschenketten, die gewaltfrei das Vordringen der Bulldozer verhinderten. Die Holzfirmen schäumten vor Wut, als er sogar nach Washington reiste und die Interamerikanische Entwicklungsbank davon überzeugte, keine Kredite mehr für Rodungsprojekte in Amazonien zu bewilligen. Sie warfen ihm vor, den „Fortschritt des Landes“ zu behindern. Als er die vormals verfeindeten Gruppen der seringueiros und Indigenen miteinander versöhnte, weil sie erkannten, dass der Kampf um den Wald ihre gemeinsame Herausforderung ist, da schrillten bei den traditionell Mächtigen der Region alle Alarmglocken. Und es störte sie seine Forderung nach neu zu schaffenden Schutzgebieten, den reservas extrativistas. Deren nachhaltige Waldnutzung durch die traditionellen Gruppen sollte den Wald erhalten – und den seringueiros, Babaçanuss-Sammler_innen und den Indigenen ihr Auskommen sichern.

Chico Mendes verband Umweltschutz und die sozialen Bewegungen, ohne es geplant zu haben. Er soll gesagt haben, er hätte gar nicht gewusst, dass das Umweltschutz sei, was er tue. Ihm sei es um den Kampf der sozialen Bewegungen der Sammler_innen gegangen und wenn das dann „Umweltschutz“ sei, dann sei das auch in Ordnung.

25 Jahre sind seit der Ermordung von Chico Mendes vergangen. Doch sein Name ist in Brasilien und in der Welt noch immer bekannt. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde in Brasília das Gesetz über die von ihm geforderten Sammelschutzgebiete verabschiedet. Gegenwärtig gibt es allein in Amazonien 59 dieser Territorien mit einer Fläche von 19,1 Millionen Hektar. Das Instituto Chico Mendes zur Betreuung dieser Gebiete trägt seit 2007 seinen Namen. Die Entwaldungsraten Amazoniens von heute lassen sich nicht mit denen der 80er und 90er Jahre vergleichen. Ist Chico Mendes´ Erbe also eine Erfolgsgeschichte?

Nur zum Teil. Die seringueiros von heute werden weniger, da es noch immer deutlich lukrativer ist, den Wald illegal zu roden oder Viehzucht zu betreiben. Zudem rollt die Walze des Agrobusiness in Amazonien weiter voran. Ob Soja- oder Rinderfarmen, ob Bergbau oder Staudamm: Es geht noch immer um die Inwertsetzung von Land – und nicht in erster Linie um die nachhaltige Nutzung des Landes, wie es die seringueiros oder Indigenen betreiben. Und neben der erschreckenden Agenda des brasilianischen Kongresses bezüglich der Rücknahme demarkierter indigener Territorien oder der Ausdehnung des Bergbaus auch auf Schutzgebiete stehen nun auch die Sammelgebiete selbst unter Druck, diesmal im Namen „grünen Wirtschaftens“. Angetrieben von internationalen Geldgeber_innen legen sich derzeit die Landesregierungen vor allem von Acre, Amazonas und Pará mächtig ins Zeug, den Wald in Wert zu setzen. Diese wollen den seringueiros ein paar hundert Reais im Monat als „grünes Stipendium“ dafür zahlen, dass sie ihre so lang gepriesene Mischnutzung – Kleinackerbau und Viehwirtschaft in Subsistenz bei nachhaltiger Nutzung des Waldes – beenden und den Wald erst gar nicht mehr betreten. Der Regenwald als Park – das ist nicht im Sinne von Chico Mendes.

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