Die Schikane wird europäisiert
Carlos Benavides Caldas hatte keinen Grund zur Sorge, als sich die Maschine der British Airways aus London am 21. Februar Berlin näherte. Im Paß des peruanischen Wissenschaftlers, der seit Jahren für den DED sowie als Berater für den Parlamentsabgeordneten Rolando Breña von der Vereinigten Linken tätig ist, befand sich ein gültiges Visum für die Unterzeichnerstaaten des Schengen-Abkommens. Vor ihm lagen, so meinte Benavides, Vorträge, unter anderem beim Bundestreffen der Peru-Gruppen in Nürnberg und bei der PDS Berlin, ein Besuch bei seinen Kindern in Frankreich und das Wiedersehen mit alten Freunden.
Wenige Stunden später saß Carlos Benavides wieder in London, zurückgewiesen am Flughafen Berlin-Tegel vom Bundesgrenzschutz wegen nicht näher bestimmter “Sicherheitsbedenken”. Die spätere Begründung von Seiten des Bundeskriminalamtes: Nach Informationen eines “befreundeten Dienstes” gelte Benavides als Unterstützer einer terroristischen Vereinigung. Belege für diesen Verdacht wurden nie erbracht. Nach zwei Wochen schließlich konnte die Berliner Anwältin Imeke de Weldige die Einreiseerlaubnis für Benavides per Beschluß des Verwaltungsgerichtes Berlin erzwingen.
Bis heute ist nicht klar, wer der “befreundete Dienst” ist, von dem das BKA seine Informationen bekommen haben will. Es scheint sich nicht um den peruanischen Geheimdienst zu handeln. Der peruanische Botschafter in London zumindest erhielt vom Außenministerium aus Lima die Weisung, sich darum zu kümmern, das Recht von Carlos Benavides, in Europa zu reisen, nach Möglichkeit durchzusetzen, in Peru liege nichts gegen ihn vor.
Wo immer auch die “Information” herkam, das BKA hielt sie für relevant genug, um Benavides unter Terrorismusverdacht auf die schwarze Liste zu setzen. So bekam Benavides gleich mehrfach die konkreten Folgen der Schengen-Regelungen zu spüren. Mit dem Abkommen haben bekanntlich sieben EU-Staaten, nämlich Deutschland, Frankreich, Spanien, Portugal und die Beneluxländer, die Vorreiterrolle dabei übernommen, das EU-Europa auch für Besucher von außen Schritt für Schritt zu einer Einheit werden zu lassen – einheitlich bürokratisch, abgeschottet und abweisend.
Das Problem fängt schon vor der Ausreise aus Peru an. Noch bis April 1996 konnten peruanische Staatsbürger für drei Monate nach Deutschland reisen, das Touristenvisum bekamen sie unbürokratisch bei der Einreise. Jetzt ist infolge des Abkommens für jeden noch so kurzen Besuch eine Einladung zu präsentieren, ggfs. finanzielle Solvenz nachzuweisen und Wartezeit einzukalkulieren. Eine Reise nach Europa in den Schengen-Bereich zu planen, wird so zu einem bürokratischen Hürdenlauf.
Die Visapflicht reicht den EU-Behörden jedoch nicht. Benavides hatte ein gültiges Visum, das in Berlin-Tegel kurzerhand annulliert wurde. Schon eine halbe Stunde später schickte der BGS ihn nach London zurück. Keine weiteren Angaben über die Gründe, keine Information über mögliche rechtliche Schritte, kein Aufschub des Rückfluges nach London. Von dort aus wäre er höchstwahrscheinlich umgehend nach Lima zurückgeschickt worden, hätten nicht Europaparlamentarier und der peruanische Konsul in London interveniert.
Eine naheliegende Möglichkeit für Benavides wäre gewesen, direkt nach Paris zu fliegen, nachdem ihm die Einreise nach Deutschland verweigert worden war. Er hätte so den Besuch bei seinen Kindern vorziehen und von Frankreich aus die Einreise nach Deutschland regeln können. Aber Frankreich ist, anders als Großbritannien, Schengen-Staat, die mysteriöse Geheimdienstinformation lag auch den französischen Behörden vor, und Benavides hätte in Paris ebenso abgewiesen werden müssen wie in Berlin. Schengen wirkt, die Schikane wird europäisiert.
Zurück zu den deutschen Behörden: Anwältin de Weldige bekam auf Anweisung des Bundesinnenministeriums ebensowenig vollständige Akteneinsicht wie das mit dem Fall befaßte Gericht. Der Akteninhalt wurde vom BKA teilweise geschwärzt, um, so die Begründung, die Identität des “befreundeten Dienstes” nicht preiszugeben. Aber damit noch nicht genug: Nach der für Benavides positiven Entscheidung des Gerichtes weigerten sich Grenzschutzpräsidium Ost in Berlin und Bundesinnenministerium noch stundenlang, den Gerichtsbeschluß zu vollziehen und Benavides somit noch am gleichen Abend die Reise nach Berlin zu ermöglichen. Ist eine hartnäkkige Anwältin nötig, um deutsche Behörden davon zu überzeugen, daß ein Gerichtsbeschluß nicht nur eine beliebige Empfehlung ist? Wenn das BMI und seine nachgeordneten Instanzen Gerichtsbeschlüsse nicht respektieren, dann fehlt es in diesem Land an Grundlagen rechtsstaatlicher Sicherheit.
Gern präsentiert sich das offizielle Deutschland als weltoffener Rechtsstaat und Vorbild für andere. Die Geschehnisse um die Einreise von Carlos Benavides Caldas in den letzten Wochen zeigen demgegenüber eine Realität, die in den letzten Jahren mit dem Schengen-Abkommen politisch gewollt und bewußt so geschaffen worden ist. Deutsche Behörden haben vorgeführt, wie Abschottung auf der Ebene von Verwaltungsvorgängen funktioniert. Es sind die gleichen Mechanismen, die das Klischee sonst gerne lateinamerikanischen Bürokratien zuschreibt: Schikane, Willkür und Arroganz der Macht. Daß wenigstens die Richter in Berlin in diesem Fall Augenmaß bewiesen haben, ist dabei nur ein schwacher Trost.