Editorial | Nummer 274 - April 1997

Die Schikane wird europäisiert

Carlos Benavides Caldas hatte keinen Grund zur Sorge, als sich die Maschine der British Airways aus London am 21. Februar Berlin näherte. Im Paß des peruanischen Wis­senschaftlers, der seit Jahren für den DED sowie als Berater für den Parlamentsabge­ordneten Rolando Breña von der Vereinigten Linken tätig ist, befand sich ein gültiges Visum für die Unterzeichnerstaaten des Schengen-Abkommens. Vor ihm lagen, so meinte Bena­vides, Vorträge, unter anderem beim Bun­destreffen der Peru-Gruppen in Nürnberg und bei der PDS Berlin, ein Besuch bei seinen Kindern in Frankreich und das Wiedersehen mit alten Freunden.
Wenige Stunden spä­ter saß Carlos Be­navi­des wieder in Lon­don, zurückge­wiesen am Flugha­fen Berlin-Tegel vom Bun­desgrenz­schutz wegen nicht näher be­stimmter “Si­cher­heits­bedenken”. Die spä­tere Begrün­dung von Seiten des Bun­des­kriminalamtes: Nach Informationen ei­nes “befreundeten Dien­stes” gelte Be­na­vides als Unter­stüt­zer ei­ner ter­ro­ri­sti­schen Ver­ei­ni­gung. Be­le­ge für die­sen Ver­dacht wurden nie erbracht. Nach zwei Wo­chen schließlich konnte die Ber­li­ner An­wäl­tin Imeke de Weldige die Ein­reise­er­laubnis für Benavides per Beschluß des Ver­walt­ungs­ge­richtes Berlin erzwingen.
Bis heute ist nicht klar, wer der “befreundete Dienst” ist, von dem das BKA seine Informationen bekommen haben will. Es scheint sich nicht um den peruanischen Ge­heimdienst zu handeln. Der peruanische Bot­schafter in London zumindest erhielt vom Au­ßenministerium aus Lima die Weisung, sich darum zu kümmern, das Recht von Carlos Be­navides, in Europa zu reisen, nach Möglich­keit durchzusetzen, in Peru liege nichts gegen ihn vor.
Wo immer auch die “Information” herkam, das BKA hielt sie für relevant genug, um Be­navides unter Terrorismusverdacht auf die schwarze Liste zu setzen. So bekam Benavides gleich mehrfach die konkreten Folgen der Schengen-Regelungen zu spüren. Mit dem Ab­kommen haben bekanntlich sieben EU-Staa­ten, nämlich Deutschland, Frankreich, Spa­nien, Portugal und die Beneluxländer, die Vor­reiterrolle dabei über­nommen, das EU-Europa auch für Be­sucher von außen Schritt für Schritt zu einer Ein­heit werden zu las­sen – ein­heit­lich bü­rokratisch, ab­ge­schottet und ab­wei­send.
Das Problem fängt schon vor der Aus­reise aus Peru an. Noch bis April 1996 konnten pe­ru­a­ni­sche Staatsbürger für drei Monate nach Deutsch­land reisen, das Touristenvisum be­kamen sie un­bü­ro­kra­tisch bei der Ein­rei­se. Jetzt ist infolge des Ab­kommens für je­den noch so kurzen Be­such eine Einladung zu prä­sentieren, ggfs. fi­nan­ziel­le Solvenz nachzuwei­sen und Warte­zeit einzukalkulieren. Eine Reise nach Europa in den Schengen-Bereich zu planen, wird so zu ei­nem bürokratischen Hürdenlauf.
Die Visapflicht reicht den EU-Behörden je­doch nicht. Benavides hatte ein gültiges Vi­sum, das in Berlin-Tegel kurzerhand annul­liert wurde. Schon eine halbe Stunde später schickte der BGS ihn nach London zurück. Keine weiteren Angaben über die Gründe, keine Information über mögliche rechtliche Schritte, kein Aufschub des Rückfluges nach London. Von dort aus wäre er höchstwahr­scheinlich umgehend nach Lima zurückge­schickt worden, hätten nicht Europaparla­mentarier und der peruanische Konsul in London interveniert.
Eine naheliegende Möglichkeit für Benavi­des wäre gewesen, direkt nach Paris zu flie­gen, nachdem ihm die Einreise nach Deutschland verweigert worden war. Er hätte so den Besuch bei seinen Kindern vorziehen und von Frankreich aus die Einreise nach Deutschland regeln können. Aber Frankreich ist, anders als Großbritannien, Schengen-Staat, die mysteriöse Geheimdienstinforma­tion lag auch den französischen Behörden vor, und Benavides hätte in Paris ebenso abgewie­sen werden müssen wie in Berlin. Schengen wirkt, die Schikane wird europäisiert.
Zurück zu den deutschen Behörden: An­wältin de Weldige bekam auf Anweisung des Bundesinnenministeriums ebensowenig voll­stän­dige Akteneinsicht wie das mit dem Fall be­faßte Gericht. Der Akteninhalt wurde vom BKA teilweise geschwärzt, um, so die Begrün­dung, die Identität des “befreundeten Dien­stes” nicht preiszugeben. Aber damit noch nicht genug: Nach der für Benavides po­sitiven Entscheidung des Gerichtes weigerten sich Grenzschutzpräsidium Ost in Berlin und Bundesinnenministerium noch stundenlang, den Gerichtsbeschluß zu vollziehen und Bena­vides somit noch am gleichen Abend die Reise nach Berlin zu ermöglichen. Ist eine hartnäk­kige Anwältin nötig, um deutsche Behörden davon zu überzeugen, daß ein Gerichtsbe­schluß nicht nur eine beliebige Empfehlung ist? Wenn das BMI und seine nachgeordneten Instanzen Gerichtsbeschlüsse nicht respektie­ren, dann fehlt es in diesem Land an Grundla­gen rechtsstaatlicher Sicherheit.
Gern präsentiert sich das offizielle Deutschland als weltoffener Rechtsstaat und Vorbild für andere. Die Geschehnisse um die Einreise von Carlos Benavides Caldas in den letzten Wochen zeigen demgegenüber eine Realität, die in den letzten Jahren mit dem Schengen-Abkommen politisch gewollt und bewußt so geschaffen worden ist. Deutsche Behörden haben vorgeführt, wie Abschottung auf der Ebene von Verwaltungsvorgängen funktioniert. Es sind die gleichen Mechanis­men, die das Klischee sonst gerne lateiname­rikanischen Bürokratien zuschreibt: Schikane, Willkür und Arroganz der Macht. Daß wenig­stens die Richter in Berlin in diesem Fall Au­genmaß bewiesen haben, ist dabei nur ein schwacher Trost.


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