Editorial Ausgabe 241/242 – Juli/August 1994
Nur eineinhalb Tage nach seiner Rückkehr ins heimatliche kolumbianische Medellín war er tot: Andrés Escobar, Fußball-Nationalspieler, Schütze des Eigentores zum 0:1 im Spiel gegen die USA, starb auf dem Weg ins Krankenhaus, von 12 Kugeln tödlich getroffen. Sein Treffer, unhaltbar für den eigenen Torhüter ins Netz gegrätscht, war wohl die Schlüsselszene, an der Kolumbien im WM-Turnier zerbrach. Danach lief nichts mehr, Kolumbien verlor mit 1:2 und mußte trotz eines Erfolges gegen die Schweiz nach Hause fliegen.
Das hätten die Spieler besser nicht tun sollen. Denn schon vor dem Spiel gegen die USA hatten sowohl der Trainer Francisco Maturana als auch der Mittelfeldspieler Gabriel Jaime Gómez via Telefax Drohungen ins Hotel erhalten. Für den Fall, daß Gómez nicht durch Herman Gaviria ersetzt würde, wurden Bombenattentate auf die Häuser ihrer Familien in Kolumbien angekündigt. Prompt spielte Gaviria, Gómez flog mit mulmigen Gefühlen nach Hause. Vielleicht hat ihm die Entscheidung des Trainers das Leben gerettet.
Gewalt zieht sich indes wie ein roter Faden durch die Geschichte Kolumbiens. Hunderttausend fielen dem Bürgerkrieg von 1899 bis 1903 zum Opfer. Zweihunderttausend starben bei der violencia, dem zehnjährigen Bürgerkrieg von 1948 bis 1958. Seit den 60er Jahren herrscht Krieg zwischen dem Militär und verschiedenen Guerillabewegungen. In die Tausende gehen die Morde an Bauern und GewerkschafterInnen durch von Großgrundbesitzern angeheuerte Todesschwadronen. In den letzten Jahren spielte sich die Mafia in den Vordergrund.
Gerade wird dem scheidenden Präsidenten Gaviria, der sich auf seinen Amtsantritt als frisch gebackener OAS-Vorsitzender vorbereitet, die Mitschuld an Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, da gerät auch der neue Präsident Samper in den Verdacht einer direkten Verbindung zum Drogenkartell von Cali. Niemand der herrschenden Politikerkaste, so scheint es, ist frei von Verbindungen zur Kriminalität.
Organisierte Kriminalität scheint auch den Hintergrund für das Attentat abzugeben. So mehren sich die Zeichen, daß der Mord an Andrés Escobar eine gezielte Racheaktion des Medellíner Drogenkartells ist. Dieses hat Unsummen an Wettgeldern auf einen Sieg der kolumbianischen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft gesetzt. Das verfeindete Kartell in Cali ob der günstigen Quoten dagegen. Andrés Escobar war der Lieblingsspieler des Nationaltrainers Maturana. Ehemals Trainer von Nacional Medellín, war er nach einem Abstecher nach Europa, zum verfeindeten America Cali gewechselt und für das Medellín Kartell zum Verräter geworden. Ihm und dem Cali-Kartell war das Attentat laut Bekenneranrufen gewidmet.
Andrés Escobar also doch nur ein alltägliches Opfer der Drogenmafia, und nicht eines enttäuschten Fußballfanatikers? Es wäre weit weniger spektakulär und nicht mehr als eine Nachricht wert, oder wer kennt schon Omar Canas, hoffnungsvolles Stürmertalent, der 1993 seine öffentliche Kritik an der Drogenmafia mit dem Leben bezahlte.