Editorial | Nummer 396 - Juni 2007

Jetzt erst recht!

Um acht Uhr morgens stand die Polizei im Hof des Mehringhofs, wo auch die Lateinamerika-Nachrichten ihr Büro haben. Bundesweit filzte die Polizei an diesem 9. Mai über 40 linke Projekte und Privatwohnungen. Der Vorwurf: Bildung einer terroristischen Vereinigung nach §129a. Mit dem Ziel, den G8-Gipfel zu stören, der Anfang Juni an der deutschen Ostseeküste stattfindet.

Die Gruppe der acht – Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien, Japan, Russland, Kanada und die USA – trifft sich vom 6.bis 8. Juni im mecklenburgischen Heiligendamm. Unschöne Bilder von DemonstrantInnen und martialischen Sicherheitsvorkehrungen sollen das Spektakel nicht stören. Ein fester Zaun von 13 Kilometer Länge schirmt Heiligendamm weiträumig ab. Eine Sondereinheit der Polizei hat bereits genehmigte Demonstrationen verboten, durch die Razzien am 9. Mai sollten mögliche Protestierende schon im voraus abgeschreckt werden. Die G8 scheinen sich mächtig unter Druck zu fühlen.

Dazu haben sie auch allen Grund. Denn auch wenn sich die G8-Staaten gern als mächtige und weitsichtige global players geben – in Wirklichkeit sieht sich die G8 in zweifacher Hinsicht bedroht.

Die westlichen Staaten, die die G8 bilden, haben in den letzten Jahren an Einfluss verloren. Aufsteigende Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien setzen nicht nur die Volkswirtschaften der G8 unter Druck – sie üben auch zunehmend politischen Druck aus. Die großen Finanzinstitutionen, lange Zeit mächtige Instrumente der G8, haben an Einfluss verloren. Nach der vorzeitigen Schuldentilgung mehrerer Staaten steckt der Internationale Währungsfonds (IWF) selbst in finanziellen Nöten. Nicht ohne Grund hat Tony Blair bereits vor zwei Jahren vorgeschlagen, die G8 um fünf Staaten zu erweitern: China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika sollten ihm zufolge Mitglied im illustren Club werden. Statt zwölf Prozent der Menschen auf der Erde würde die Gruppe dann über 50 Prozent der Weltbevölkerung vertreten. Die Kritik an der Institution G8 würde eine solche Erweiterung indes kaum mindern: Denn die gilt nicht nur der Tatsache, dass sich acht anmaßen, über das Los von Milliarden Menschen zu entscheiden. Die Kritik gilt auch dem Wirtschaftssystem, das die G8 wie kaum eine andere Institution vertreten. Und das dient im Norden wie im Süden den Eliten.

Gegründet 1975 als Interessenvertretung der großen westlichen Staaten, hat sich die Gruppe mit den Jahren immer mehr als Forum für globale Fragen verstanden. Immer mit demselben Ziel: die Macht der Herrschenden sichern, durch Fakten wie durch Symbolik. Seit den 1980ern haben die G8 ihre eigenen Staaten im Sinne der neoliberalen Ideologie umgebaut – und die Staaten des globalen Südens über Strukturanpassungsprogramme und wirtschaftliche Abhängigkeiten dazu gezwungen. Doch das Modell, das die G8 propagieren, steckt in der Krise. Dies zeigt sich gerade in Lateinamerika: 1994 legten die Zapatistas mit ihrem Aufstand den Grundstein für die globalisierungskritische Bewegung. In Bolivien kämpften die Menschen auf der Straße gegen Privatisierung und Ausverkauf öffentlicher Güter. In Argentinien, in Ecuador, in Venezuela – überall versuchen Menschen, andere Wege zu gehen, Alternativen zur herrschenden Politik, zum herrschenden Wirtschaftsmodell auszuprobieren.

Die Kritik bleibt nicht auf den globalen Süden beschränkt. Die G8-Mobilisierung zeigt, dass auch in Deutschland und in Europa, immer mehr Menschen glauben, dass eine andere Politik nötig und möglich ist. Kein Zaun der Welt kann die G8 vor dieser Kritik schützen. Wenn die Sicherheitsbehörden legitime Kritik als Terrorismus brandmarken, Demonstrationen verbieten und Protest als Angriff „das Bild Deutschlands vor der Welt“ empfinden – dann zeigt das nur, wie dringend sie der Bilder bedürfen, die sie als legitime VertreterInnen des herrschenden Systems zeigen. Und dass ihnen alle Mittel recht sind, diese Bilder zu bekommen.

Erreicht wurde mit der bundesweiten Aktion vom 9. Mai wohl eher das genaue Gegenteil: Wer jetzt noch nicht mobilisiert ist, der oder dem ist auch nicht mehr zu helfen.

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