Perón-Chávez
Am 8. Oktober 1945 ließen die argentinischen Militärs den damaligen Kriegsminister und Vizepräsidenten der Nation, General Juan Domingo Perón, festnehmen und auf die Insel Martín García im Río de la Plata schaffen. Er war einer von ihnen, aber zu radikal und zu ehrgeizig, also musste er weg. Was daraufhin geschah, ist längst Legende: Aufgestachelt von einer als Schauspielerin zweitklassigen, als Volkstribunin aber konkurrenzlosen jungen Frau namens Eva Duarte zogen am 17. Oktober Hunderttausende Menschen aus den ärmlichen Randbezirken in die noble Innenstadt von Buenos Aires und kühlten ihre brennenden Füße in den Marmorspringbrunnen. Als sie sich schließlich vor dem Präsidentenpalast versammelten, um die Wiedereinsetzung ihres Helden in alle Ämter zu fordern, leisteten die hilflosen Putschisten keinen Widerstand mehr. Eilends ließen sie den Gefangenen zurückholen und vom Balkon der Casa Rosada zu den DemonstrantInnen sprechen. Bei den Präsidentenwahlen vier Monate später schlug Perón den von sämtlichen Altparteien, von den Konservativen bis zu den Kommunisten, unterstützten Gegenkandidaten. Der Peronismus war geboren.
Die jüngsten Ereignisse in Venezuela haben das Zeug dazu, einen ähnlichen Mythos zu begründen. In Caracas putschten in der Nacht zum 12. April Teile der Generalität, die sich mit dem alten politischen und wirtschaftlichen Establishment verbündet hatten, gegen Präsident Hugo Chávez: Auch er ein gestandener Militär, auch er wie einst Perón mit charismatischen Qualitäten gesegnet, auch er überaus radikal und ehrgeizig. Wie seinerzeit Perón wurde nun Chávez auf einer Insel vor der Küste gefangen gehalten – und auch ihn holte sein Volk zurück. Während in Maracay ein Fallschirmjägerbataillon, das einst unter Chávez’ persönlichem Befehl gestanden hatte, den Aufrührern den Gehorsam verweigerte und damit eine Solidarisierungsbewegung in den Reihen der Armee auslöste, zogen in Caracas Tausende AnhängerInnen des Präsidenten aus ihren ranchos in die Stadt hinunter und nahmen praktisch kampflos den Miraflores-Palast ein. Per Hubschrauber flog Hugo Chávez ein und übernahm wieder die Macht. Nach 48 Stunden war der Spuk vorbei.
Noch manche andere Parallele ließe sich aufzeigen zwischen dem Argentinier Perón und dem Venezolaner Chávez. Beiden gemein ist die Bewunderung für Gesellschaftssysteme, die im Rest der Welt eher als Auslaufmodelle galten beziehungsweise gelten: Der Rechtspopulist Perón machte aus seiner Vorliebe für das soeben untergegangene faschistische Italien keinen Hehl, der Linkspopulist Chávez bekennt bei jeder Gelegenheit seine Sympathien für das spätsozialistische Kuba. Beider Namen stehen für einen starken Staatssektor in der Wirtschaft, für eine Politik, die den Hegemonialgelüsten der jeweiligen Weltmächte Großbritannien beziehungsweise USA zuwiderläuft. Ebenso wie heute Chávez stützte sich Perón auf marginalisierte Sektoren der Bevölkerung, die es leid waren, von den angestammten politischen Eliten ignoriert zu werden. Und schließlich: Der eine wie der andere haben ein bemerkenswertes Talent bewiesen, sich innerhalb kürzester Zeit jede Menge Feinde zu schaffen.
Von den – natürlich mindestens ebenso zahlreichen – Unterschieden zwischen Perón und Chávez sei hier nur einer hervorgehoben. Begünstigt von einem wirtschaftlichen Boom, setzte Perón in seinem Land eine lange Reihe von sozialen Reformen in Gang, ehe er 1955 durch einen euphemistisch als „Revolución Libertadora“ bezeichneten Umsturz ins Exil getrieben wurde. Diese Reformen erwiesen sich als so tief greifend, dass ihre Spuren noch heute, ein halbes Jahrhundert später, überall in Argentinien sichtbar sind. Ob Chávez in Zeiten von Wirtschaftskrise, Verschuldung und neoliberaler Globalisierung ein ähnlicher Erfolg beschieden sein kann, ist offen. Seine „bolivarianische Revolution“ ist bisher vor allem ein Versprechen, für dessen Erfüllung ihm – trotz seines jüngsten Comebacks – die Zeit davonläuft.