Editorial | Nummer 408 - Juni 2008

// Sollen sie doch Kuchen essen

Da ist sie wieder, die Katastrophe: Hunderte Millionen von Menschen könnten ins Elend abrutschen, warnt Weltbank-Chef Robert Zoellick. Zu Kriegen könne es kommen, meint auch IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn auf der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank im April, Unruhen könnten ausbrechen, die Menschen ihre Regierungen stürzen.
Nein, dieses Mal ist es nicht der Klimawandel, vor dem da gewarnt wird, sondern ein, könnte man sagen, ganz altes Problem: Hunger. Keine Katastrophe, die erst kommen müsste, sondern die längst Alltag ist für die rund 900 Millionen Menschen, die täglich ins Bett gehen, ohne satt geworden zu sein. Über die letzten drei Jahre sind die Preise für Lebensmittel im Schnitt um 83 Prozent gestiegen. Diese Entwicklung hat die Lage der Ärmsten verschärft und in über 40 Ländern zu Protesten geführt. Dass genau an jenem Tag, an dem IWF und Weltbank in Washington zusammen kamen, die Regierung in Haiti stürzte, mag die internationalen Institutionen zusätzlich aufgeschreckt haben.
IWF und Weltbank haben nun die reichen Länder dazu aufgerufen, kurzfristig 320 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, um den Notleidenden zu helfen. Wer nun aber auf eine Trendwende bei den internationalen Finanzinstitutionen hofft, tut dies vergebens. Zwar haben IWF und Weltbank die Nahrungsmittelkrise als willkommenen Anlass erkannt, sich selbst als wichtige Instanzen, gar als „Retterinnen“ des Weltmarkts zu inszenieren. Waren sie doch in den letzten Jahren durch die vorzeitige Rückzahlung von Krediten aus den Schwellenländern selbst in finanzielle Schwierigkeiten geraten und hatten viel an Einfluss verspielt. An ihrem neoliberalen Credo jedoch halten IWF und Weltbank, aber auch die Regierungen der Industriestaaten ungebrochen fest: So warnte Strauss-Kahn sofort, der „Versuchung des Protektionismus“ nachzugeben. Statt dessen sei der Krise durch eine „Ausweitung des internationalen Handels“ beizukommen. Und natürlich, die Agrarproduktion müsse steigen – eine Forderung, in die die BefürworterInnen von Gentechnik und industrieller Landwirtschaft nur zu gern mit einstimmen.
Beide Forderungen sind vollkommen falsch. Denn erstens ist gerade die Existenz eines Weltmarkts für Grundnahrungsmittel ein entscheidender Grund für die aktuelle Krise. Ohne Spekulation, ohne internationalen Handel und internationale Konkurrenz, ohne Abhängigkeit von Importen ist das Problem in seinem aktuellen Ausmaß nämlich nicht vorstellbar. Es waren IWF und Weltbank selbst, die zahlreiche Länder des globalen Südens in den letzten Jahrzehnten über Strukturanpassungsmaßnahmen gezwungen haben, billige Importe ins Land zu lassen, statt die eigene Landwirtschaft zu fördern.
Und zweitens handelt es sich eben nicht um eine Lebensmittelkrise, sondern um eine Verteilungskrise. Es gibt weltweit genug Lebensmittel, aber die Menschen können sie nicht bezahlen. Und das hat auch damit zu tun, dass sich weltweit die Schere zwischen Arm und Reich weiter auftut, im Süden und auch im Norden. Viele der Länder, in denen es jetzt zu Hungerprotesten kam, konnten im letzten Jahr ein hohes Wirtschaftswachstum aufzuweisen – zugleich ist in diesen Ländern die Zahl der Armen gewachsen.
So mögen Strauss-Kahn und seine KollegInnen vor allem in einer Sache recht haben: Das die Proteste, die schon nach zwei Wochen aus den Schlagzeilen verschwunden waren, sicherlich nicht die letzten sind. Die globalen Eliten verschanzen sich in einer Parallelwelt und reden weiter von Wachstum, von freien Märkten und „Entwicklung“. Sie merken nicht, dass ihnen – im Süden, aber zunehmend auch im Norden – kaum noch jemand glaubt. Ein System, das sagenhaften Reichtum produziert und in dem zugleich Menschen nicht genug zu essen haben, besitzt keine Legitimität. Es kann nur mit Gewalt aufrecht erhalten werden, und auch das garantiert keineswegs Stabilität. Vielleicht sollte Strauss-Kahn, der Franzose, sich an die Geschichte seines eigenen Landes erinnern. In der Woche vor der Französischen Revolution, heißt es, sei der Brotpreis hoch gewesen wie nie zuvor.

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