Nummer 283 - Januar 1998 | Solidarität

Bedrohte Studien

Zur Lage des Lateinamerika-Instituts in Berlin

Das Lateinamerika-Institut in Berlin hat einen schweren Stand: Es ist mit seinem wirtschaftlich nicht gut verwertbaren Forschungsgegenstand Lateinamerika besonders schwer von den Sparmaßnahmen betroffen. Schon bis zum Jahr 2003 werden nur noch die Hälfte der derzeitig vorhandenen ProfessorInnen übrig bleiben, da die Stellen ihrer in Pension gehenden KollegInnen ersatzlos gestrichen werden.

Petra Kader

Über dem bundesweit einzig-
artigen Konzept des Lateinamerika-Instituts, das als Zentralinstitut mehrere Disziplinen in sich vereint, schwebt das dreifache Damoklesschwert Entwicklungs- und Planungskommission (EPK), Akademischer Senat und Universitätsleitung. Diese Drei drängen es nämlich dazu, die als exotisch geltenden Studiengänge Lateinamerikanistik und Altamerikanistik aufzugeben und stattdessen die sogenannte “Regionalwissenschaft” einzuführen.
Momentan existieren am Institut die Studienbereiche Geschichte, Lateinamerikanistik, Soziologie, Politologie, Wirtschaftswissenschaften und Altamerikanistik nebeneinander und miteinander und bieten den Studierenden die Möglichkeit, interdisziplinär zu arbeiten. Die Studierenden werden methodisch tiefgehend in ihrer Mutterdisziplin ausgebildet (zum Beispiel in der Literaturwissenschaft bei Lateinamerikanistik) und erhalten trotzdem ein umfassendes Wissen über Lateinamerika. Mit der Einführung des Regionalwissenschaftkonzepts würde sich diese Situation grundlegend ändern. Sein Vorbild stammt aus den USA, wo es seit 35 Jahren Area Studies gibt: Ein breit angelegtes interdisziplinäres Studium mit einem regionalen Schwerpunkt (zum Beispiel Lateinamerika). Parallel dazu gibt es Pläne, das John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerika-Studien, das Osteuropa-Institut und das Lateinamerika-Institut zu einem Fachbereich “Regionalwissenschaften” zusammenzufassen.

Die Regionalwissenschaft
Ein interdisziplinäres Studium, durch das die Studierenden methodisch in Politologie, Geschichts- Wirtschafts-, Rechts- und Literaturwissenschaft, ausgebildet werden – immer mit Bezug zu Lateinamerika -, mag im ersten Augenblick ganz ähnlich klingen. Doch die Gefahr ist schnell entdeckt. Den Studierenden wäre bei einer solchen Umstrukturierung die Mutterdisziplin genommen. Der oder die einzelne StudentIn müßte sich einer Fülle von Disziplinen widmen, könnte diese höchstens nur anreißen und ist am Ende des Studiums methodisch in keiner kompetent. Aus diesen Gründen gelten die Area Studies in den USA als veraltet, sind die ähnlich angelegten Osteuropastudien in Berlin als “Volkshochschulstudien” verschrien, und es gab 1996 bei 1000 eingeschriebenen StudentInnen der Regionalwissenschaft Lateinamerika in Köln nur 20 diplomierte Studienabgänger. Das Zauberwort “Interdisziplinarität” scheint die Idee der Regionalwissenschaften trotz allem in den Köpfen der Oberen zu halten – vielleicht ist ihnen der wahre Inhalt des Wortes entgangen. Konkret ist aber noch nichts festgelegt worden, so daß Studierende und Lehrende des Lateinamerika-Instituts in der Schwebe hängen.

Keine Perspektive in Sicht
Im Rahmen der deutschlandweiten Streikwelle der StudentInnen wurde auch das Lateinamerika-Institut im Dezember bestreikt. Es gab schon mehrere Streiks in der Geschichte des Instituts. Von dort ging 1988/89 ein zweimonatiger Streik der gesamten Freien Universität aus, während dem das Gebäude lange Zeit besetzt wurde. Doch diesmal war von Besetzung weit und breit nichts zu spüren, gähnend leere Räume statt Aktionen bildeten die Substanz eines Streiks, der diesen Namen nicht verdiente. Auch von den ProfessorInnen des Lateinamerika-Instituts ist in naher Zukunft keine Initiative zur Veränderung der Situation zu erwarten, denn wie hypnotisiert warten sie auf neue Beschlüsse der EPK und verharren in Tatenlosigkeit. Das zukünftige Schicksal des Instituts bleibt ungewiß.
Petra Kader

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