El Salvador | Nummer 457/458 - Juli/August 2012

„FMLN, keine falschen Versprechen mehr“

Die Rechte hat nach dem Krieg geschafft, was sie während des Krieges nicht schaffte: die revolutionäre soziale Bewegung zu demontieren

Die Symbiose zwischen sozialen Bewegungen und der Partei Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) hat in den vergangenen Monaten tiefe Risse gezeigt. Gerardo Arbaiza sprach für die salvadorianische Internetzeitung Contrapunto mit dem Ökologen Ángel Ibarra über die Entwicklung der Partei in Regierungsverantwortung und die Linke allgemein in El Salvador.

Gerardo Arbaiza, Übersetzung: Lutz Kliche

Wie schätzen Sie die gegenwärtige Situation der Linken in El Salvador und ihre Beziehung zu den sozialen Bewegungen ein?
Ich glaube, dass die Linke in El Salvador – die unterschiedlich ist, sodass wir besser von „den Linken“, den linken Strömungen sprechen sollten – die Krise der Zivilisation, in der wir alle leben, nicht richtig versteht. Ich denke, wir haben nicht nur eine globale und strukturelle Krise des kapitalistischen Systems oder des neoliberalen Modells, sondern eine zivilisatorische Krise, in der das gesamte Modell unseres Lebens bedroht ist. Als Linker sehe ich diese Realität unter dem Blickwinkel einer politischen Ökologie. In diesem Sinne müssen wir, wenn wir das klassische marxistische Instrumentarium anwenden, in die traditionelle Klassenanalyse die Kämpfe integrieren, die feministische Genoss_innen führen. Außerdem die Kämpfe für Umwelt und Ökologie und die für die Anerkennung der indigenen Völker, die in den Mittelpunkt das Paradigma eines „guten Lebens“ stellen. Ich denke also, dass all diese Elemente von den salvadorianischen Linken noch bearbeitet werden müssen.

Welche Faktoren hindern die salvadorianischen Linken daran, eine adäquate Interpretation des aktuellen Zusammenhangs vorzunehmen?
Die salvadorianische Linke durchlebte einen starken, einheitlichen Prozess in den schlimmsten Zeiten der Repression, die zum revolutionären Volkskrieg führte und in das Friedensabkommen von 1992 mündete. Ich denke, dass wir, die wir die unterschiedlichen Linken bilden, nicht verstehen, dass mit dem Ende des Krieges die fortschrittliche revolutionäre Bewegung eine strategische Niederlage erlitt.
Ich sehe das so: Die Linke ging gut aus dem Friedensabkommen hervor, doch den rechten Kräften, sowohl denjenigen, die von den USA unterstützt wurden als auch der Finanzoligarchie, gelang es, der revolutionären Bewegung eine strategische Niederlage zuzufügen, indem sie mit der Einführung des Neoliberalismus einen totalen gesellschaftlichen Wandel herbeiführten.
Der Neoliberalismus in El Salvador ist eine Art Revolution von oben, und ich glaube, die Auswirkung dieser Konterrevolution durch die rücksichtslose Durchsetzung dieses Modells während der drei ersten Regierungen der Republikanisch Nationalistischen Allianz (ARENA) hat die salvadorianische Linke in ernste Schwierigkeiten gebracht.

Heißt das, die Rechte zwang dem Feld der sozialen Kämpfe nach dem Krieg ihre Bedingungen auf?
Ja, denn wir haben die Auswirkungen der Einführung des Neoliberalismus nicht in ihrer ganzen Dimension begriffen. Der Neoliberalismus ist ja nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein soziales, politisches und sogar kulturelles Projekt. Er hat Gegenreformen durchgesetzt, die nur noch schwer rückgängig zu machen sind. Mit der Demontage des Staats und der Politik arbeitsrechtlicher Flexibilisierungen nach dem Krieg ist der gewerkschaftliche Kampf geschwächt und die Situation der Arbeiter_innen stark verschlechtert worden. Unter dem Neoliberalismus müssen die Menschen, die einen geregelten Arbeitsplatz haben, aufpassen, dass sie ihn nicht verlieren. Sie dürfen nicht protestieren, denn die Alternative ist für sie informelle Arbeit. Doch hat diese Konterrevolution nicht nur die Linke als soziale Bewegung in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch die Linke als Partei, denn man kann kaum die Absetzbewegung der vielen Intellektuellen erklären, die während der Jahre des Krieges bei der Linken waren und jetzt ganz problemlos mit der Führung der Privatwirtschaft zusammenarbeiten.

Die Linke war also auf diese Konterrevolution, so, wie sie sich konkret zeigte, nicht vorbereitet?
Mir scheint, dass die Linke nicht nur militärisch die Waffen niederlegte, sondern auch politisch und ideologisch. Es ist zum Beispiel kein Zufall, dass die wichtigsten Kader der FMLN Fortbildungen im unternehmerischen Ausbildungsinstitut INCAE erhielten. INCAE gilt als eine Kaderschmiede der Privatwirtschaft. Ich glaube, wir haben dieses Phänomen ideologischer Abwanderung unter dem Einfluss des Neoliberalismus, der sich als „Alternative ohne Alternative“ präsentiert, nicht ausreichend untersucht. Es ist auch kein Zufall, dass die Privatisierungen und der Prozess der Verkleinerung des Staates ohne größeren Widerstand aus der Bevölkerung von statten gegangen ist, es ergab sich nämlich ein Zusammentreffen politischer, sozialer, kultureller und stimmungsbezogener Faktoren. Meine These ist, dass die rechten Kräfte nach dem Krieg erreichten, was sie während des Krieges nicht erreicht hatten, nämlich die Niederlage der sozialrevolutionären Bewegung.

Waren sich denn die sozialen Bewegungen, die die Kandidatur von Mauricio Funes unterstützten, darüber im Klaren, auf welcher Basis sie dies taten, und wie ist die Situation heute, drei Jahre nach dieser Kampagne?
2009 wurde vieles richtig und vieles falsch gemacht. Wir als Umweltaktivisten mit einer Philosophie, die stärker auf einer politischen Ökologie aufbaut, unterstützten die FMLN und ihren Kandidaten mit dem klaren politischen Ziel, die Herrschaft der Rechten zu beenden, die die Möglichkeiten, eine andere Gesellschaft aufzubauen, blockierte.
Allerdings herrschte bei diesem politischen Kampf, der in die Wahlauseinandersetzung mündete, keine Klarheit über Programm und Verpflichtungen, sodass schließlich auf einer linken Plattform eine Regierung gewählt wurde, die die Politik der Rechten fortführte. Diese Regierung ähnelt der vorigen ARENA-Regierung von Tony Saca mehr als wir je für möglich gehalten hätten, einiges macht sie besser, anderes aber viel schlechter als Tony Saca. So ist die Regierung von Mauricio Funes, was die Haushaltspolitik angeht, nicht besser als die Saca-Regierung. Und man muss sagen, dass Funes im Bezug auf die öffentliche Sicherheit schlechter abschneidet als Saca; so hat er nicht nur die Polizei militarisiert, sondern auch offen sein Scheitern gezeigt, denn die Sicherheit der Bürger hängt inzwischen nicht mehr vom Handeln der Polizei ab, sondern vom Abkommen, das mit den zwei gefährlichsten Straßenbanden von El Salvador geschlossen wurde.

Während der früheren ARENA-Regierungen gingen die sozialen Bewegungen wegen unerfüllter Forderungen auf die Straße und hofften dabei auf die Unterstützung eines politischen Instruments namens FMLN. Jetzt, wo diese an der Regierung ist, besteht das Dilemma, dass die Forderungen der Bewegungen, die diese Regierung an die Macht gebracht haben, nicht erfüllt werden.
Die soziale Bewegung ist ja nicht einheitlich, monolithisch. Zwar gibt es da Bewegungen, die wie Anhängsel der Partei funktionieren. Doch entsteht gleichzeitig auch eine soziale Bewegung mit größerer Autonomie: die feministische Bewegung; die Umweltbewegung, mit all ihren Schwächen; die Verteidiger der Menschenrechte und diejenigen, die im Interesse der Opfer des bewaffneten Konflikts arbeiten haben alle große Autonomie gegenüber der FMLN.
Es kam ja auch dazu, dass viele Personen, die in Opposition zu ARENA standen, von der neuen Regierung eingestellt wurden und jetzt als Angestellte des öffentlichen Dienstes die Position des Präsidenten vertreten oder zumindest respektieren müssen. Das war der Fall im Bezug auf die sozialen Bewegungen, die von der FMLN abhängen, also bei den autonomen Bewegungen. Außerdem gibt es Führer der Campesino-Bewegung und Führer der Gemeindebewegung, die in der Regierung sind und Mitarbeiter nationaler und internationaler Nicht-Regierungsorganisationen.

Hattet ihr erwartet, dass die FMLN versuchen würde, die autonomen sozialen Bewegungen zum Schweigen zu bringen, wie das in jüngster Zeit passiert ist, indem sie als rechte Initiativen bezeichnet wurden?
Mir kommt es wie ein Science-Fiction-Film vor, dass ARENA und ihr angeschlossene Organisationen wie der Unternehmerverband ANEP, die Stiftung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung FUSADES und die Handelskammer in diesem Land vom Kampf gegen die Korruption, der Verteidigung der Demokratie und Gewaltenteilung sprechen. Das zeigt, dass die Rechte bankrott ist, dass ihre Ideologen gescheitert sind und dass das neoliberale Modell überall auf der Welt Leck geschlagen ist.
Weil die Rechte keine eigenen politischen Inhalte besitzt, versucht sie in dieser Situation, Felder und Themen zu besetzen, die vorher nur der Linken gehörten. Das Schlimme ist, dass diese oligarchischen und korrupten rechten Sektoren heute links von der FMLN und bestimmten sozialen Bewegungen auftauchen. Das ist dramatisch für die Rechte und für uns selbst, weshalb sich auch die FMLN darum kümmern muss und nicht nur darum, ob die Magistratswahlen im April oder im Juli abgehalten werden. Dies zeigt, dass wir, die inner- und außerparteiliche Linke, nicht die Wirklichkeit analysieren, in der wir leben. Dass Sektoren der Linken die FMLN angreifen und umgekehrt, ist das Schlimmste, was uns passieren kann, denn dieses Land ist nah an dem, was Rosa Luxemburg auf die Tagesordnung gesetzt hat: „Sozialismus oder Barbarei“.

Und was ist dann die Herausforderung, der sich die Linke in den nächsten Präsidentschaftswahlen stellen muss?
Diejenigen, die wir der Linken angehören, sowohl der nicht-parteilich organisierten wie die der FMLN und anderen parteipolitischer Initiativen wie die, an deren Spitze Dagoberto Gutiérrez steht, dürfen den Graben nicht weiter vertiefen, der zwischen uns besteht. Sie müssen vielmehrdamit beginnen, die politische und soziale Kraft aufzubauen, die bei den Wahlen 2014 nicht nur in der Lage ist, die Rechte zu schlagen, sondern mit einem linken Konzept ein linkes Programm durchzusetzen. Die FMLN darf nicht hinter berühmten Leuten her sein, damit sie als Kandidaten antreten, es stellt eine Schwäche dar, wenn die FMLN nicht auf ihre eigene Stärke vertraut.
Wir müssen eine vereinigte linke Front bilden, nicht gegen die FMLN, sondern mit ihr, um so dem Land die Hoffnung im Bezug auf die Glaubwürdigkeit der Linken zurück zu geben. Was die Linke in Europa und Südamerika mit neuem Leben füllt, ist, dass sie sich als unterschiedlich anerkennt und in gemeinsamen Punkten Übereinstimmung sucht.

Leicht gekürztes Interview der Internetzeitung Contrapunto, El Salvador.

Kasten:

Ángel María Ibarra Turcios ist Mitbegründer der FMLN und war bis zum Jahr 1994 Mitglied der nach dem Bürgerkrieg zur Partei gewandelten Ex-Guerilla. Heute ist er Professor für Umweltpolitik, Umweltaktivist und Direktor der ökologischen Dachorganisation „Unidad Ecológica Salvadoreña (UNES)“.

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