Kolumbien | Nummer 414 - Dezember 2008

Zeugen unerwünscht

Der Streik der ZuckerrohrarbeiterInnen in der kolumbianischen Provinz Valle del Cauca wird von Polizei und Militär massiv unterdrückt

Man ist dieses Vorgehen leider schon gewohnt: Mit dem Verweis auf angebliche Verbindungen zur Guerilla wird die ArbeiterInnenbewegung in Kolumbien kriminalisiert. MenschenrechtsbeobachterInnen sind dabei nicht gern gesehen. Präsident Álvaro Uribe würde sie am liebsten im Gefängnis sehen

Kristofer Lengert

Am 15. September 2008 waren über 12.000 ErntearbeiterInnen der großen Zuckerrohrplantagen in der kolumbianischen Provinz Valle del Cauca im Südwesten des Landes in den Streik getreten. Doch weder die Arbeitgeberseite noch das kolumbianische Sozialministerium, das in diesem Fall hätte vermitteln sollen, zeigten Gesprächsbereitschaft. Monatelang hatten die Gewerkschaften erfolglos versucht, die Zustände auf den Plantagen zu thematisieren und Verhandlungen durchzusetzen. Die meisten ErntearbeiterInnen haben keine Arbeitsverträge mit den Unternehmen, sondern sind unter prekären Beschäftigungsverhältnissen in sogenannten Arbeitskooperativen organisiert – ein Modell, für das arbeitsrechtliche Ausnahmebestimmungen gelten. Weder Sozialleistungen, noch der staatliche Mindestlohn sind garantiert. Die ArbeiterInnen müssen Lohnnebenkosten und das Risiko von Arbeitsausfall und Krankheit selbst tragen. Sie werden nach erbrachter Leistung bezahlt. Transportkosten, Arbeitsmaterial, Service und Verwaltungskosten werden vom Lohn abgezogen. Vielen bleibt nach einem Monat schwerer Arbeit und Arbeitstagen von 14 Stunden und mehr deutlich weniger als der Mindestlohn von umgerechnet circa 150 Euro. Die Forderungen der streikenden ArbeiterInnen klingen nicht radikal: Sie möchten vor allem ihre Direktanstellung durchsetzen, damit ihnen der Mindestlohn und Sozialleistungen garantiert sind. Da sie formell keine ArbeiterInnen sondern Kooperativenmitglieder sind, haben sie kein Streikrecht. Die staatlichen Autoritäten reagierten vom ersten Tag des Streiks an außerordentlich nervös und angespannt auf die neue Lage. Der Arbeitskampf wurde von einer deutlichen Mehrheit der etwa 19.000 PlantagenarbeiterInnen getragen, stoppte nahezu den gesamten Zuckerrohrschlag der Region und beeinträchtigte effektiv die Bio-Ethanol-Produktion. Doch weil ArbeitgeberInnen und Regierung Gespräche mit den Streikenden verweigerten, war eine Lösung des Konflikts nicht absehbar. Der Streik wurde für illegal erklärt und als Angriff auf die Nationale Sicherheit bewertet. SprecherInnen des Unternehmerverbandes der Zuckerproduzenten ASOCAÑA und VertreterInnen des Sozialministeriums unterstellten den Streikkomitees, sie seien von Aufrührern der Guerilla gesteuert. Polizei und Militär wurden auf die Plantagen geschickt.
Vor Ort waren auch MenschenrechtsaktivistInnen und internationale BeobachterInnen des Solidaritätsnetzwerkes Red de Hermandad, die als ZeugInnen die Menschenrechtssituation und das Vorgehen der Aufstandsbekämpfungseinheiten und des privaten Sicherheitsdienstes dokumentierten. Damit trafen sie einen empfindlichen Nerv der Regierung. In der nationalen Presselandschaft wurde der Streik einhellig abgelehnt, als Werk der Guerilla diffamiert und kriminalisiert. Internationale Aufmerksamkeit, die das repressive Vorgehen der Staatsmacht kritisieren und den berechtigten Forderungen der ErntearbeiterInnen Nachdruck verleihen könnte, war in diesem Kontext ausdrücklich nicht gewünscht. Polizei und Geheimdienst suchten gezielt nach internationalen BeobachterInnen, um sie zu verhaften und vom Geschehen fern zu halten. Am ersten Oktober wurde die Menschenrechtlerin und Aktivistin der Berliner Kolumbienkampagne, Friederike Müller, in Cali von Agenten der staatlichen Sicherheitsbehörde DAS verhaftet, wenige Stunden später zum Flughafen gebracht und unter dem Vorwurf der „politischen Betätigung und Einmischung in innere Angelegenheiten“ des Landes verwiesen (siehe Interview in dieser Ausgabe). Nachdem dieser Vorfall ab dem 2. Oktober öffentlich gemacht und internationale Protestaktionen gegen die Ausweisung in die Wege geleitet wurden, erhielten die Netzwerkgruppen des Red de Hermandad am 6. Oktober per Email eine Drohung der paramilitärischen Todesschwadronen Aguilas Negras. In dem Schreiben heißt es: „Schweigt – oder wir bringen euch zum Schweigen“ und: „Wir erklären euch zum militärischen Ziel der Aguilas Negras“.
Zunächst entschieden die BegleiterInnen des Red de Hermandad ihre Arbeit im Südwesten des Landes fortzusetzen. Am 13. Oktober wurde ein französisches Video-Dokumentationsteam auf der Zuckerrohrplantage Tumaco bei Palmira wieder von Beamten der Sicherheitsbehörde DAS aufgegriffen, als sie an einem Bericht zur dortigen Blockade arbeiteten. Julien Dubois und Joris Prot wurden mit der gleichen Argumentation wie Müller am folgenden Tag ausgewiesen, während der Journalist Damien Fellous nach einer Intervention der französischen Botschaft in Bogotá wieder frei kam. Am 18. Oktober verhaftete der Polizeigeheimdienst den italienischen Fotoreporter Massimo Boldrini in der Nähe der Plantage Providencia und hielt ihn bis in die späten Abendstunden unter Arrest. Am selben Abend hielt der kolumbianische Präsident Álvaro Uribe Vélez eine Fernsehansprache, in der er zu den drei Ausweisungen Stellung bezog: „Diese ausländischen Personen sollten im Gefängnis sitzen. Wir hätten sie nicht abschieben, sondern verurteilen und in das Gefängnis stecken sollen, denn sie sind schuldig, zur Gewalt aufgerufen zu haben“. Er fügte hinzu: „Hier verteidigen sie das Verbrechen und im Ausland verzerren sie die Wahrheit“. Nach diesen Geschehnissen wurde die Vor-Ort-Begleitung des Streiks durch internationale BeobachterInnen aufgegeben. In Kolumbien sind Ausweisungen von europäischen MenschenrechtsarbeiterInnen eine ungewöhnliche Maßnahme des Staates. Die wenigen internationalen BeobachterInnen im Land konnten sich bisher relativ sicher sein, ihre Arbeit durchführen zu können, ohne selbst Opfer von Repression zu werden. Entsprechend beunruhigten die Ereignisse nicht nur die MitarbeiterInnen des Red de Hermandad sondern auch andere internationale Organisationen. Gemeinsam forderten sie Garantien und Sicherheit für die eigene Arbeit. Auch auf diplomatischer Ebene war man irritiert. Die Vertretungen der europäischen Staaten baten das Außenministerium um Erklärung. Über 30 Europaabgeordnetete protestierten in einem offenen Brief gegen das ungerechtfertigte und willkürliche Vorgehen der Sicherheitsbehörden.
Das Ansehen der kolumbianischen Regierung war beschädigt und ein weiterer ungelöster sozialer Konflikt entwickelte sich zeitgleich zu einem manifesten Problem. Aus Wut auf den Hohn und die Ignoranz mit der staatliche Vertreter den Forderungen der Indigenengemeinden begegnet waren, formierte sich ein beeindruckender Protestmarsch, mit dem Ziel den Präsidenten Álvaro Uribe Vélez persönlich zu Gesprächen und Zugeständnissen zu bewegen. Die Indigenen verlangen die Rückgabe von geraubtem Land, die Respektierung ihrer Rechte und mehr kulturelle Selbstbestimmung. 25.000 Indigene setzten sich von La Maria/Piendamó (Cauca) in Bewegung und zogen auf der wichtigsten Straßenverbindung, der Panamericana, in Richtung Cali und „wenn nötig bis nach Bogotá“. Als die Polizei auf die DemonstrantInnen traf, wurden mehrere Indigene getötet. Anschaulich ließ die Regierung erklären, dass die FARC (Revolutionäre Bewaffnete Streitkräfte Kolumbiens) sich unter die Demonstration gemischt hätte. Uribe persönlich verkündete in den Nachrichtensendungen, die Polizei hätte zu keinem Zeitpunkt das Feuer auf Demonstranten eröffnet. International nahm die Glaubwürdigkeit der kolumbianischen Regierung Schaden, als auf CNN die Bilder der Zusammenstöße ausgestrahlt wurden, welche Polizeibeamte mit Gewehren in die Menge schießend zeigten.
// Kristofer Lengert

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