Chile | Nummer 351/352 - Sept./Okt. 2003

„Verbote machten die Chilenen erfinderisch“

Interview mit Mariano Fernández, ehemaliger Direktor des chilenischen Radiosenders Cooperativa

Schon seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet Mariano Fernández als Diplomat in Europa: erst in Madrid, dann Rom und heute in London. In den 70ern hatte die Regierung Allendes ihn bereits nach Europa geschickt. Seine Aufgaben in Bonn endeten allerdings abrupt mit dem Putsch 1973. Mariano Fernández musste wieder nach Chile. So schnell wie er gegangen war, so schnell kehrte er wieder nach Deutschland zurück – diesmal als politisch Verfolgter von Pinochets Regime.
Mariano Fernández blieb im Exil bis Anfang der 1980er Jahre. 1982 kam er zu Radio Cooperativa, wo er bis zum Ende der Diktatur als Direktor arbeitete. 1988, im Jahr des Plebiszits, war Mariano Fernández Pressechef der Kampagne des „Nein“ gegen Pinochet. Die Lateinamerika Nachrichten trafen den chilenischen Botschafter – heute mit Sitz in London – und sprachen mit ihm über die Veränderung der Medien unter dem Regime Pinochets.

Emilia Mallea Flores

Herr Fernández, wie hat sich die Militärdiktatur auf die chilenischen Medien ausgewirkt?

Während der Militärdiktatur wurden alle Medien unterdrückt. Pinochet enteignete die Zeitungen und ließ Journalisten verfolgen. Der einzige, der gleich nach dem Putsch Widerstand leistete, war der Rundfunksender Radio Balmaceda. Für den Direktor Belisario Velasco hatte das wenige Monate später fatale Folgen. Er wurde in den Süden Chiles in ein Lager verschleppt.
Das entfachte eine große Diskussion. Viele Menschen ärgerten sich, dass die anderen Medien nicht ebenso massiv gegen die Diktatur agierten. Die jesuitische Zeitschrift der katholischen Kirche Mensaje hatte beispielsweise entschieden, den Teil der Zeitung nicht zu bedrucken, an dem normalerweise politische Berichterstattung ihren Platz hatte. Das haben sie bis Anfang der 80er Jahre so gemacht. Der Radiosender Cooperativa hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt ruhig verhalten. Er präsentierte sich aber sehr offen und in einem moderaten Ton. Der Rest der Presselandschaft existierte eigentlich nicht mehr.

Was hat dazu geführt, dass dieser Radiosender später zum Sprachrohr der Opposition wurde?

In den 80er Jahren setzte die Welle der Rückkehrer ein. Zu den wichtigsten Persönlichkeiten, die in diesem ersten Anlauf nach Chile zurückkehrten, zählt auch der Intellektuelle Gabriel Valdés, der damals Subsekretär der Vereinten Nationen war. Nach seiner Rückkehr im Mai 1982 hatte er den Vorsitz der christdemokratischen Partei (DC) übernommen und gemeinsam mit den Gewerkschaften versucht, eine Widerstandsbewegung aufzubauen. Es folgten die ersten Streiks. Cooperativa übernahm dabei mit der Zeit die Funktion des Sprachrohrs dieser Bewegung.

Was waren für Sie die wichtigsten medienpolitischen Ereignisse der
Widerstandsbewegung gegen die Diktatur?

Der einzige öffentliche Akt, den das Militär damals zuließ, war die Rede des ehemaligen Präsidenten Eduardo Frei Montalva im Theater Caupolicán in den 1980er Jahren. Diese Rede strahlte Radio Cooperativa damals aus – mit der Konsequenz, dass sie den Sender danach stumm schalteten.
1982 starb Frei unerwartet. Valdés wurde danach als intellektueller Kopf der Opposition immer wichtiger. Er genoss wegen seines Amtes bei den Vereinten Nationen große Anerkennung. Cooperativa begleitete Gabriel Valdés und dessen politische Strategie. Die Medien arbeiteten plötzlich in einem politischen Kontext und die Bevölkerung hatte das Gefühl, dass sie besser gegen die Willkür des Regimes geschützt war.

Wie kam es, dass plötzlich ganz Chile Radio Cooperativa hörte?

Ich glaube, der Schlüssel unseres Erfolges waren unsere ausgezeichneten Moderatoren, die immer mehr Zuhörer fesselten. Und vor allem glaubten sie ihnen. Obwohl der Sender oft keine Informationen bringen durfte, blieben uns die Zuhörer treu, ihre Zahl stieg sogar stetig. Der Zuwachs war so stark, dass Cooperativa im Jahr 1987 einen Gewinn von 200.000 US-Dollar auswies. Er galt als der Sender der Chilenen.

Wie hat der Sender sein Personal vor dem Regime Pinochets geschützt?

Wir haben uns im Grunde wenig geschützt. Aber alle haben versucht stets sehr genau zu arbeiten. Wir bewegten uns gegen das Regime wie die Krebse: vorwärts und seitwärts. Wir mussten sehr vorsichtig handeln. Es gab Zeiten, als der Sender nur Musik spielen konnte, weil wir streng bewacht wurden. Es war nicht leicht, sich Handlungsräume gegenüber der Repressionsmaschinerie zu verschaffen. Das Wichtigste für uns war damals, dass sie den Sender nicht schließen. Wenn es zu gefährlich war, Informationen zu senden, haben wir nicht berichtet. Wir erlitten regelmäßig Verluste, konnten aber auch sehr schnell wieder punkten. Bereits 1983 hatten wir gegenüber dem Regime schon einen bedeutenden Posten erobert. Zwei Jahre später stand der Sender ganz oben. Es gab keine Chance mehr, ihn zu bremsen. Diese Macht von Cooperativa bot anderen Sendern Schutz. So entstanden auch neue Medien wie die berühmte Zeitung Fortin Mapocho.

Wie war das denn möglich, Pinochet hatte doch die Gründung neuer Zeitungen verboten?

Verbote machten die Chilenen erfinderisch. Auf dem Gemüsemarkt von Santiago La Vega gab es eine interne Zeitung, die Fortin Mapocho. Sie war ordnungsgemäß registriert. Die Opposition war damals so schlau und kaufte die Zeitung auf. Das war kein Verstoß gegen das Pressegesetz. So erschien damals plötzlich eine Zeitung mit einem offenen politischen Hintergrund gegen die Machthaber.
Untereinander konkurrierten die Medien kaum. Sie alle fühlten sich eine menschliche und intellektuelle Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Das war das Besondere an dieser Zeit.

Wie organisierten die Journalisten ihre Arbeit in Anbetracht der schwierigen Zustände?

Bei Radio Cooperativa hatten Direktoren und Chefredakteure das Sagen. Die Journalisten beschwerten sich anfangs, dass sie wenig Möglichkeiten hätten, Beiträge zu veröffentlichen.
Am Anfang fand ich das nicht ganz in Ordnung, aber mit der Zeit habe ich es besser verstanden und mich angepasst. Es war ein Journalismus, der die Menschen selbst reden ließ und in dem die Journalisten so wenig wie möglich das Wort ergriffen. Das geschah auch um sie zu schützen. Manchmal durften wir die Reden von Ricardo Lagos (amtierender sozialistischer Präsident Chiles) oder von Gabriel Valdés nicht vollständig senden. Wir wussten, dass Teile der Reden gefährliche Passagen enthielten, und dass der Sender in Gefahr geraten könnte. Finanziell unterstützten uns damals vor allem die Holländer.

Erinnern Sie sich an einen Moment, in dem sich die politische Bedeutung des Radiosenders Cooperativa besonders deutlich zeigte?

Der Abend des Plebiszits war der wichtigste Moment für den Sender in Chile. Ich war damals der Pressechef der Kampagne des „Nein“ gegen Pinochet. Diese Kampagne wurde im gegenüberliegenden Gebäude des Regierungssitzes organisiert. Alle Medienvertreter versammelten sich bei uns. Wir hatten so – unbewusst – ein politisches Podium ins Leben gerufen.
Am Tag der Entscheidung, dem 5. Oktober 1988, saßen wir alle zusammen und waren sehr aufgeregt. Wir mussten aufpassen, ob Probleme bei der Wahl auftraten. Bei der Kampagne für das „Nein“ hatten wir unsere Kreativität ja schon bewiesen. Wir haben die Demonstration auf der Autobahn Nord-Süd begleitet und die Werbespots des Fernsehens kommentierte. Wir dachten, dass wir mit dem „Nein“ gegen Pinochet gewinnen würden.
Nach den Umfragen war der Sieg in greifbarer Nähe. Aber es war doch nicht sicher, denn das Wahlergebnis der Umfragen war sehr eng ausgegangen. Wir befürchteten, dass Pinochet durch Betrug oder Täuschung einen letzten Rettungsversuch starten könnte.

Wie nahm der Sender denn an diesem Tag nun konkret Einfluss auf das politische Geschehen?

Es war offensichtlich, dass die Fernsehsender 7 und 13 eine unverschämte Stimmungsmanipulation betrieben. Das habe ich sofort dem Vorstand der Organisation des „Nein“ gesagt. Alle waren sehr nervös. Valdés wollte, dass wir selbst auf die Straße gingen. Um 13.30 Uhr gab ich daher selbst ein Statement beim Sender ab. Im Namen des Organisationskomitees des „Nein“ forderte ich die Bevölkerung auf, nicht länger das Fernsehprogramm zu verfolgen und stattdessen Cooperativa zu hören. Der Radiosender hat mir daraufhin den ganzen Tag ein Mikrofon zur Verfügung gestellt. Ich habe immer wieder Informationen weitergegeben und gegen das Fernsehen geredet. Die Bevölkerung fing an, beim Radiosender anzurufen. Wir bekamen starken Zuspruch der Zuhörer: „Wir werden die Diktatur kippen, wir sind stark…“, war immer wieder am Telefon zu hören.

Wie ging der Tag zu Ende?

Gegen 22 Uhr hatten sich viele Menschen auf der Straße versammelt. Die Polizei versuchte die Menschenmenge aufzulösen, schaffte es aber nicht. Sie kamen zu mir und baten, die Leute aufzufordern, die Straßen zu verlassen. Ich bin rausgegangen und habe mich auf einen Polizeilastwagen gestellt. Ich habe die Bevölkerung gebeten, den Verkehr auf den Straßen zu ermöglichen. Und sie taten es. Dann habe ich aufgerufen, auf den Bürgersteigen zu laufen, und dass alle nach Santiago Mitte gehen sollten, weil wir gewinnen. Es war eine unglaubliche Nacht. Die Macht des Radiosenders war unbeschreiblich.
Patricio Aylwin trat um 23 Uhr vor die Masse und gab bekannt, dass wir gegen Pinochet gewonnen hatten. Es war ein unvergesslicher Tag – und für alle Medien ein unvergessliches Ereignis. Das war das Ende der Diktatur.

http://www.cooperativa.cl
http://www.camara.cl/

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