Literatur | Nummer 495/496 – September/Oktober 2015

Was übrig bleibt

Erstveröffentlichung eines Gedichts von Chacal aus Brasilien in deutscher Sprache

Die Lateinamerika Nachrichten freuen sich, ihren Leser*innen weiterhin aktuelle Lyrik aus Lateinamerika vorstellen zu dürfen. Wir setzen unsere Reihe von Erstveröffentlichungen zeitgenössischer lateinamerikanischer Dichter*innen in deutscher Sprache mit einem Werk aus Brasilien fort.

Chacal Von Übersetzung: Timo Berger

AQUILO QUE SOBRA

gosto daquilo que sobra.
daquilo que as pessoas desprezam.
na feira, recolho entre os dejetos
a semente da abóbora, a folha da mandioca.
no empório, compro o farelo do trigo, do arroz.
gosto de me alimentar de coisas nutritivas.
pessoas principalmente.
mas nossa cultura, assim como os grãos, refina as pessoas.
tira delas o mais nutritivo e deixa apenas o miolo sem sustância.
por isso gosto do que sobra.
das pessoas desprezadas como eu.

 

WAS ÜBRIG BLEIBT

ich mag was übrig bleibt.
was die leute nicht schätzen.
auf dem markt sammle ich reste ein
kürbiskerne, maniokblätter.
kaufe im laden weizenkleie, kleie vom reis.
ich ernähre mich gern von nahrhaften dingen.
hauptsächlich von menschen.
aber unsere kultur raffiniert die menschen genau wie die körner.
entzieht ihnen alles nahrhafte, hinterlässt eine krume ohne biss.
deswegen mag ich was übrig bleibt.
von menschen, die man, wie mich, nicht schätzt.

 

Chacal, eigentlich Ricardo de Carvalho Duarte, wurde im Mai 1951 in Rio de Janeiro geboren. 1971 veröffentlichte er Muito prazer, Ricardo und ein Jahr später Preço da Passagem, der Ausgangspunkt der Poesia marginal in Brasilien. Chacal ist Gründer des Centro de Experimentação Poética und hat 15 Gedichtbände veröffentlicht.

Aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt von Timo Berger, Gründer des lateinamerikanischen Poesie-Festivals Latinale. Er übersetzt aus dem Spanischen und Portugiesischen.

 

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