Film | Nummer 449 - November 2011

20 Jahre kritische Filme

Interview mit dem Filmemacher Uli Stelzner

Im November beherbergt das Moviemento Kino in Berlin eine Werkschau der Filme von Uli Stelzner und Thomas Walter. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit ihm über seine Arbeit als Filmemacher und die aktuelle Lage Guatemalas.

Interview: Jan-Holger Hennies

Wie ist die Idee entstanden, eine Werkschau zu machen?
Die Initiative kam vom Moviemento Kino. Die haben zuletzt meinen letzen Film La Isla aufgeführt und es war immer voll. Dann haben sie den Film zusammen mit Angriff auf den Traum für Schulklassen angeboten und haben gesehen, dass die Filme total gut angekommen sind. Im Zuge dessen ist uns auch aufgefallen, dass wir mittlerweile seit 20 Jahren Filme in Guatemala machen und es sich mal lohnt aufzuzeigen, was sich auch in so einer kontinuierlichen Filmarbeit für uns, aber auch innerhalb der Gesellschaft, mit den Filmen ändert. Es ist zudem gut, eine Bilanz zu ziehen und das Medium Dokumentarfilm dahingehend abzuklopfen, was es gerade in so einer Gesellschaft wie Guatemala erreichen kann.

Wo liegt für Sie der Reiz im Dokumentarfilm?
Das Medium ist für mich sehr attraktiv, weil es sehr viele Fähigkeiten vom Macher abverlangt. Es ist sehr kreativ, da man mit Bildgestaltung, Musikkompositionen und Dramaturgie zu tun hat. Es ist in der Machart sehr individuell, aber je nachdem, wie man dann mit Filmen umgeht, ist es etwas, was sich sehr stark sozialisieren lässt. Es ist ein Medium, das gerade in solchen Ländern wie Guatemala sehr attraktiv ist.

Warum gerade dort?
Die gesamten 20 Jahre und auch die Erklärungen, warum die Filme dort so viel bewegen, hat etwas mit dem ganz konkreten politischen, sozialen und kulturellen Kontexten zu tun. Guatemala hat mit nur wenigen Ausnahmen nie eine eigene Filmproduktion gehabt, und das Fernsehen war über Jahrzehnte stark zensiert. Sowohl Journalisten als auch Filmemacher, wenn sie nicht umgebracht wurden oder ins Exil gegangen sind, haben per Selbstzensur schon die Schere im Kopf angesetzt. Eine unabhängige Dokumentarfilmtradition, die Geschichte reflektiert, gibt es daher nicht. Deshalb fehlt die eigene Identität in den Massenmedien. Weder das Kino noch die Fernsehprogramme reflektieren wirklich, was in dem Land passiert und was mit den Menschen passiert. Das macht meiner Ansicht nach die Bedeutung nicht nur unserer Filme aus.

Welche Entwicklung haben Sie während der 20 Jahre Filmarbeit durchgemacht? Hat sich auch Ihre Sichtweise auf das Filmemachen verändert?
Schwer zu sagen – jeder Film ist eine völlig neue Aufgabe. Ich habe zwar inzwischen eine bestimmte Professionalität, aber ich fange immer wieder von vorne an. Die Themen sind unterschiedlich, jeder Film erwartet eine eigene Bildsprache, man arbeitet meistens mit einem neuen Team zusammen, man wächst und lernt an den eigenen Filmen. Nicht nur wegen des Publikums oder des fertigen Produkts, sondern auch im Umgang mit dem Thema und den Protagonisten. Das geht oft sehr nahe, ist sehr intensiv und wurde von mal zu mal intensiver, da man es ja auch immer genauer wissen will. Ich empfinde es als gegenseitigen Lernprozess.

Inwiefern?
Von unserer Seite aus, was wir an Input und Ideen mitgebracht haben und was wir mit der jungen Filmemacher-Generation in Guatemala auch gemeinsam aufgebaut haben. Inzwischen sind die Guatemalteken fester Bestandteil des Filmteams, bei dem Menschenrechtsfestival bin ich der einzige von acht Leuten, der aus Deutschland kommt. Wenn ich jetzt überlege, dass das wirklich 20 Jahre sind, hat es total Sinn gemacht, unabhängig von der politischen Konjunktur oder einer Konjunktur der Solidarität die Mühen der Menschen mit zu beschreiten. Das ist für mich ein wahnsinniges Privileg, diesen Prozess mitzumachen. So wie wir arbeiten, steckst du die Niederlagen der Leute dort auch mit ein. Das schafft einen wahnsinnig interessanten Blick auf die Welt.

Jetzt steht mit Otto Pérez Molina ein Ex-Militär kurz vor dem Wahlsieg für das Präsidentenamt. Was bedeutet es für das Filmfestival, sollte Molina die Stichwahl gewinnen?
Erstmal ist es überhaupt ein Erfolg, das Festival zweimal organisiert zu haben. Wir hatten beim ersten Mal enorme Schwierigkeiten, beim zweiten Mal aufgrund der internationalen und der Unterstützung durch die Regierung schon nicht mehr. Wenn jetzt Pérez Molina Präsident werden würde, ist schwer einzuschätzen, ob wir das Festival so in der Form weitermachen können. Aber wir sind professioneller geworden und unsere Arbeit wird jetzt auch mehr geschätzt. Nicht nur von der Gesellschaft bzw. dem Publikum, sondern auch von Menschenrechtsorganisationen, Teilen der Diplomatie oder Teilen der Vereinten Nationen, die vor Ort sitzen. Das Festival bietet einen politischen Diskussionsfreiraum, den es so in der Form – vor allem auch mit dem Medium – bisher nicht gegeben hat. Wir sind also per se erstmal schwer angreifbar.

Obwohl die Themen der Filme Pérez Molina kaum gefallen dürften?
Pérez Molina ist aufgrund meines Films und der Filme, die beim letzten Festival uraufgeführt wurden, sauer auf uns. Das sind finnische Reportagen von 1982 gewesen, wo er das erste Mal auf Bildern als junger Offizier in der Aufstandsbekämpfung zu sehen ist. Nach der Uraufführung mit dem finnischen Regisseur haben wenig später Guatemalteken einzelne Szenen auf youtube hochgeladen. Dort sind 40.000 bis 50.000 Klicks zu verzeichnen, und das hat das Ansehen von Pérez Molina gestört und auch seine Vergangenheit wieder in die politische Debatte eingebracht. Ich denke, das ist auch ein wichtiger Grund dafür, dass er doch nicht im ersten Wahlgang gewonnen hat. Insofern hat er durchaus Grund, uns im Auge zu behalten. Trotzdem, wenn man Präsident eines Landes ist, dann sollte man eigentlich die Meinungsfreiheit und Öffentlichkeit als solche respektieren, und davon gehen wir erstmal aus und lassen uns nicht einschüchtern.

Für die Aufnahmen zu Ihrem letzten Film La Isla waren Sie auch in den Archiven der Nationalpolizei. Dort arbeiten vor allem Nachkommen der Opfer der Verbrechen. Sehen Sie diese Aufklärungsarbeit gefährdet?
Man muss eines sagen: Die Menschenrechtsarbeit als solche, die Aufarbeitung der Vergangenheit und die Arbeit des Archivs fand in einem politischen Klima statt, das dem ganzen sehr offen gegenüberstand. Präsident Álvaro Colom hat natürlich in vielen Aspekten die Erwartungen nicht erfüllt, aber gerade für die Menschenrechtsszene war es eine Zeit, in der sehr viel für die Aufarbeitung und Erinnerung gemacht worden ist. Das Archiv konnte in einem guten Rahmen und bis jetzt auch ungefährdet arbeiten. Ein Ergebnis sind jetzt eben auch die ersten Gerichtsprozesse, die aufgrund der gefundenen Dokumente eingeleitet worden sind. Pérez Molina sagte in einem Interview mit dem ZDF, in dem es auch um den Film La Isla ging, er werde das Archiv nicht schließen. Das kann er auch nicht so einfach, weil es eine staatliche Institution ist, und die internationale Gemeinschaft das Archiv finanziell und politisch unterstützt. Auf der anderen Seite muss man klar sehen: Wenn er Präsident wird, dann ist im Prinzip das Militär wieder an der Macht und das Militär ist eigentlich zu allem fähig. Insofern wird es nicht einfach werden. Aber ich denke, dass die Leiter des Archivs auch einen Plan B in der Tasche haben, um ihre Arbeit weiterführen zu können.

Um auf die Wahlen zurück zu kommen: Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass das Linksbündnis Frente Amplio nur auf rund 2,5 Prozent kam. Wie ist dieses katastrophale Ergebnis zu erklären?
Zum einen hat sich die Linke seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages nicht wirklich erneuert. Wenn man wirklich genau nachsieht, sind die führenden Köpfe heute dieselben wie vor 20 Jahren. Außerdem haben sie einer jungen Linken durch ihre sehr hierarchische Haltung die Türen versperrt. Zum anderen kann man natürlich immer sagen, dass sie nicht die Mittel haben, um mit den großen Parteien zu konkurrieren. Bei denen steht wirklich viel Kapital dahinter, das die Linke eigentlich nie hat. Trotzdem gibt es Beispiele aus anderen Ländern Lateinamerikas, die beweisen, dass es nicht unbedingt eine Frage der finanziellen Möglichkeiten ist. Die Linke in Guatemala ist aber zerstritten und hat sich wie gesagt nicht erneuert.

Welche Rolle spielt Präsidentschaftskandidatin Rigoberta Menchú?
Die Figur Rigoberta Menchú ist im Ausland zwar anerkannt, im Land selber hat sie diesen Rückhalt aber nicht. Der beste Beweis für die Unglaubwürdigkeit der Linken ist, dass jetzt Teile des Linksbündnisses mit dem Gegenspieler von Pérez Molina, Manuel Baldizón, gemeinsame Sache machen. Das sind eben Rigoberta Menchú und Pablo Monsanto, ehemaliger comandante der Guerilla. So fühlen sich natürlich viele Wähler der Linken verraten und verkauft. Mit diesem Opportunismus werden sie wieder Teil des Systems, statt auf eine eigene unabhängige Entwicklung zu setzen. Sie werden möglicherweise mit ein paar Posten abgespeist, aber positiv wird sich das auf die Entwicklung der Linken nicht auswirken. Die Linke ist in einer Sackgasse. Es findet jetzt ein Generationswechsel statt: Die traditionelle Linke hat im Prinzip keine Chance mehr, sondern die junge Generation von heute muss sich an dieser Linken orientieren, um neue, andere Formen des politischen Ausdrucks zu finden.

War die Frente Amplio also von vorneherein zum Scheitern verurteilt?
Sie ist ja auch relativ kurzfristig entstanden und es gibt unglaublich viel Kompetenzgerangel unter den verschiedenen linken Fraktionen. Vor den Wahlen war also nicht wirklich Zeit, sich zu konstituieren und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Die Diskussionen haben zu lange gedauert und anscheinend sind auch viele Konflikte nur unter den Tisch gekehrt worden, um die Frente Amplio zu gründen. Das Ergebnis ist jetzt ein Scherbenhaufen.

Vor dieser Perspektive: Was sind Ihre Pläne in Guatemala?
Für mich persönlich ist jetzt die Etablierung des Menschenrechtsfestivals politisch wichtiger als ein eigener Film. Das Festival ist eine wahnsinnige Chance für Guatemala. Aufgrund des Profils des Festivals, internationale Filme zu zeigen, internationale Gäste zu haben, aber auch einen Großteil an Mitdiskutanten aus dem Land – nicht nur aus der Stadt, sondern auch aus ländlichen Regionen – entsteht ein Diskussionsprozess, den Guatemala braucht. Wir versuchen, so einen Freiraum zu schaffen und verschiedene Gruppierungen zusammen zu bringen, damit die gegenseitig hochgezogenen Grenzen und Spaltungen aufhören. Die junge Generation bekommt die Möglichkeit, andere Bilder zu sehen und selber in den Spiegel zu gucken, um zu sehen, was sie aus den Prozessen in anderen Ländern lernen können. In diese Richtung geht gerade meine ganze Energie.

Uli Stelzner
arbeitet seit 20 Jahren zwischen Guatemala und Deutschland und war 2010 Mitbegründer des Menschenrechtsfilmfestivals Memoria, Verdad, Justicia in Guatemala. Seine kritischen Dokumentationen sorgen für Bewegung und Veränderung in der guatemaltekischen Gesellschaft und international für Gesprächsstoff.


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