Lateinamerika | Nummer 318 - Dezember 2000

70 Jahre, darunter einige dunkle

Das Iberoamerikanische Institut Berlin interessiert sich für die eigene Nazivergangenheit

Für WissenschaftlerInnen, Kunst-, Kultur- und sonstwie an Lateinamerika Interessierte ist das Iberoamerikanische Institut Berlin ein Begriff. Das „Ibero“ beherbergt nicht nur eine umfangreiche Fachbibliothek, sondern ist zugleich Forschungs-, Kongress- und Veranstaltungseinrichtung mit interdisziplinärem Ansatz. Zeitgleich mit den Feierlichkeiten zum 70-jährigen Bestehen des Instituts sind einige bemerkenswerte Forschungsarbeiten zu seiner Geschichte während der Nazizeit an die Öffentlichkeit gekommen. Sie zeigen, dass das Institut die damaligen deutsch-lateinamerikanischen Beziehungen stark mitgeprägte – kein Ruhmesblatt zum Jubiläum also, aber der Beginn einer überfälligen Auseinandersetzung.

Valentin Schönherr, Nisha Anders

Die Existenz des Iberoamerikanischen Instituts Berlin (IAI) begann mit einem Knatsch. Der bedeutendste Stifter des Ausgangsbuchbestandes, der argentinische Germanophile Ernesto Quesada, sah sich beleidigt. Er hatte 1927 seine riesige, über 80.000 Bände umfassende Privatsammlung aus Bewunderung für die deutsche Kultur und Philosophie an den preußischen Staat verschenkt, aber dort wurden andere Buchspender – aus Mexiko und Bonn – mehr gelobt als er. Zur Eröffnung des Instituts am 12. Oktober 1930 im Marstallgebäude am Schlossplatz meldete er sich krank.
Mit dieser Episode beginnt die Geschichte desjenigen Instituts, das zumindest in Europa das – gemessen an den Beständen – umfangreichste Fachinstitut zu Lateinamerika, Spanien und Portugal ist. Interessant ist, aus heutiger Sicht, die Einbeziehung der beiden ehemaligen Kolonialmächte, was sich auch im Namen niederschlägt: Neben dem heutigen Namen war auch der Titel „Lateinamerikainstitut“ im Gespräch; man entschied sich jedoch dagegen.
Damit kamen die Gründer dem neokolonialen Interesse der iberischen Länder entgegen, die schon lange verlorenen Kolonien wieder stärker an sich zu binden, wozu ein Institut in Berlin hilfreich sein sollte. Der Gründungstag hat daher symbolisches Gewicht: Am 12. Oktober, dem Tag der Entdeckung Amerikas 1492, zelebrierten die iberischen und lateinamerikanischen Staaten den „Día de la Raza“, den „Tag der [ibero-amerikanischen] Rasse“, die allerdings nicht weiter definiert ist. Das IAI lag also durchaus im Trend der nationalistisch-rassistischen Strömungen der Zeit.

Das IAI unter dem General

Wenig später sollte sich dies fatal verschärfen: als nämlich 1934 der General a.D. Wilhelm Faupel Direktor des Instituts wurde. Insbesondere mit seiner Rolle am Institut und seiner Bedeutung für das nazideutsch-lateinamerikanische Verhältnis beschäftigten sich einige Forschungsprojekte, die in diesem Jahr am Institut liefen und deren Ergebnisse bis vor kurzem in einer kleinen (leider zu hastig und nicht sehr sorgfältig zusammengebastelten) Ausstellung im Lesesaal präsentiert wurden.
Faupel war Militär. Im Laufe einer Bilderbuchkarriere vom Soldaten zum General hatte er sich beim Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika, beim Boxeraufstand in China und beim Kapp-Putsch zweifelhafte Meriten erworben. Aber es waren wohl vor allem seine engen Kontakte nach Lateinamerika, die ihn – abgesehen von seiner aktiven Parteiarbeit – für den hohen Posten des Institutsdirektors prädestinierten: 1910 und 1920 war er in Argentinien unter anderem als Waffenberater tätig. Er hatte die deutschen Waffenexporte nach Argentinien mitorganisiert und sich auch in Peru einige Zeit lang als Militärinstrukteur aufgehalten. Mit der Machtübertragung an Hitler 1933 wurde Faupel führende Kraft der Auslandsorganisation (AO) der NSDAP in der Abteilung für Außenhandel.
Seine Ernennung im Jahre 1934 erfolgte denn auch auf Anraten der SS und der Wehrmacht. Die erste Zeit nutzte er zum Machtausbau verschiedener NS-Institutionen in Lateinamerika. Er drängte sich in vielen Organisationen in den Vordergrund, so dass er die Aktivitäten der Nazi-Propaganda und Infiltration in Lateinamerika weitgehend unter seiner Kontrolle hatte. Er war Berater des Vereins für das Deutschtum im Ausland, der ab 1937 komplett von der SS kontrolliert wurde, und organisierte für die Deutsche Forschungsgemeinschaft den Austausch mit Lateinamerika. Im Ausbau des IAI als kulturpolitisches Netzwerk des Naziregimes war Faupel die Schlüsselfigur.

Faupel regte auch Pinochet an

Ein Beispiel für die Außenwirkung ist die in spanischer Sprache publizierte Monatszeitschrift Ejército Marina Aviación mit einer Auflage von immerhin 10.000 Stück. Diese Zeitung, die sich der Ideologie der NSDAP völlig anschloss, wurde von der deutschen Waffenindustrie finanziert und von Faupel herausgegeben. Bei den Themen der Artikel handelte es sich vorwiegend um Studien über die Artillerie und die Entwicklung der Armee in anderen Ländern. Besonders hervorgehoben wurden immer wieder die Militärzüge der deutschen Wehrmacht.
Sogar Pinochet, wie der Historiker und Lateinamerikanist Víctor Farías in seinem kürzlich veröffentlichten Buch Los Nazis en Chile schreibt, erwähnt in seinen Memoiren einen Artikel aus dieser Zeitschrift über die Fallschirmjägertruppen, aus dem er gerne bei militärischen Lehrgängen zitierte. Nun ist Pinochets Bewunderung für das Dritte Reich durchaus bekannt – jetzt wissen wir also auch, dass ihm dabei das Iberoamerikanische Institut in Person von Faupel behilflich war.
Faupel war bis zum Jahre 1945 Institutspräsident, allerdings mit einer Pause von 1936 bis 1938: In dieser Zeit hatte er das Amt des Botschafters bei Franco inne, das er so übereifrig wahrnahm, dass er sehr bald nach Berlin zurückberufen wurde. Wieder in Berlin, versuchte Faupel weiterhin, die Infiltrationsmaschinerie und Kontrolle der Beziehungen zu Lateinamerika in seinen Händen zu behalten. Doch mit der Zeit war ihm dies immer weniger möglich – das Geld wurde knapper, die Beziehungen schwächer. Im Verlauf der Kriegsjahre trat das IAI zunehmend in den Hintergrund.
1945 beging Faupel mit seiner Frau Selbstmord. Da aber keine Sterbeurkunden existieren, gibt es einige Spekulationen, ob er sich nicht wie andere Nazigrößen auch nach Argentinien abgesetzt hat, eine Frage, die bis heute offen ist.
Nach 1945 wurde das Institut von den Alliierten geschlossen und später als “Lateinamerikanische Bibliothek” wieder eröffnet. 1962 erhielt es erneut den Namen Iberoamerikanisches Institut, und 1977 zog es aus Lankwitz in den Neubau neben der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße. Heute umfasst die Sammlung des Institutes 817.000 Bücher, 66.000 Karten, 25.000 Tonträger, 300.000 Zeitungsartikel, eine Video- und eine Diathek, ein Bildarchiv, Handschriften und Nachlässe von Wissenschaftlern und Reisenden. Der Bestand hat sich also einerseits verzehnfacht, andererseits ist er medial vielfältiger geworden.
Darüber hinaus versucht das Institut mit seinen Veranstaltungsangeboten und den Forschungsvorhaben, sich unentbehrlich zu machen – mit beachtlichem Erfolg. Die Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit bei der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte soll übrigens nur der Anfang gewesen sein. Hier wollen die Verantwortlichen in die Tiefe und Breite gehen und sowohl die Geschichte des Hauses in der Nachkriegszeit als auch die Geschichte der deutsch-lateinamerikanischen Beziehungen und des Nationalsozialismus in Lateinamerika genauer untersuchen.


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