Brasilien | Nummer 201 - März 1991

“A guerra é nossa”

Viel Krieg und wenig Frieden(sbewegung) in Brasilien

Mit der Parole “a guerra é nossa” wollte der Vorsitzende der Arbeiterpartei (PT) Lula einen Gegenpunkt setzen zur scheinbaren Ferne des Krieges. Am 22. Februar hatten die PT und das “Komitee gegen den Krieg” zu einer Demonstration gegen den Golfkrieg im Zentrum Sao Paulos aufgerufen. Aber schon die Anzahl der TeilnehmerInnen ließ die Parole ins Leere laufen. Gerade einmal 300 Leute hatten sich am Praca Ramos eingefunden, eher der Kern linker Gruppierungen als ein Ansatz zu einer Antikriegsbewegung.

Thomas W. Fatheuer

Diese erste größer angelegte Demonstration nach dem Beginn des Krieges zeigte einen Mikrokosmos der Probleme, die eine Mobilisierung verhindern. Innere Streitigkeiten, Segmentierung und platter Antiimperialismus bestimmten das Bild. Zusammen mit der PT hatten die beiden kommunistischen Parteien PCB und PCdoB zur Demonstration aufgerufen. Der greise Vorsitzende der PCdoB Joao Amazonas (einer Partei, die gerade mitansehen muß, wie der letzte Leuchtturm ihres Sozialismus, Albanien!, dem Revisionismus verfällt) war in seinem Element. Wilde Attacken gegen den Imperialismus, dessen Kriegsziel eindeutig ist: Vernichtung des Volkes, das gegen den Imperialismus kämpft. Offene Pro-Saddam Parolen waren allerdings nicht zu hören oder zu sehen, obwohl Teile der Trotzkisten innerhalb der PT und andere Gruppierungen (MR-8) die Solidarität mit Saddam proklamieren. Dafür aber ein gigantischer Parolenmix: “Raus mit dem Imperialismus aus dem Golf und aus Brasilien!” oder “Weg mit Bush und Collor, für Generalstreik!”
Positiv von diesen angesichts der versammelten “Massen” nur noch lächerlichen Parolen setzte sich die Rede Lulas ab. Er ging auf die Situation Brasiliens ein, auf die Bomben Collors und der Wirtschaftsministerin Zelia, die das Land verwüsten. “Brasilien befindet sich im Krieg, in einem Krieg, der durch Rezession die Industrie zerstört, die Menschen durch Entlassungen ins Elend treibt, in einem Krieg, der vom IWF aufgezwungen wird.” Lula markierte damit das Dilemma der brasilianischen Antikriegsbewegung: ein ferner Krieg interessiert wenig, wenn der tägliche Kampf so grausam ist. Zur Gewöhnung an die Gewalt trägt auch das Fernsehen bei durch die Unzahl von Zeichentrickfilmen und japanischen Metzelserien, die einer der Renner im Tagesprogramm sind. Warum dann aber “a guerra é nossa”? Weil, so Lula, die imperialistischen Staaten offensichtlich bereit sind, eine Milliarde US $ pro Tag in den Krieg zu stecken, während in der “Dritten Welt” die Kinder sterben, und die imperialistische Aggression jederzeit auch Brasilien treffen könnte, etwa durch eine Intervention in Amazonien.

PT zerstritten

Lula umschiffte in seiner Rede eher die Punkte, die in der PT hef¬tig diskutiert werden. Die in einer Resolution des Parteivorstandes festgehaltenen Positionen (siehe Kasten) werden vor allem von den Trotzkisten innerhalb der PT kritisiert. Sie sehen darin eine Abweichung vom Antiimperialismus, fordern (teilweise) “Solidarität mit Saddam” und halten die Besetzung Kuwaits für eine gerechte Sache. Insbesondere unter den Intellektuellen in der PT befinden sich andererseits zahlreiche Juden, die sich in einer “Kommission für jüdische Fragen” zusammengeschlossen haben. Sie sorgten dafür, daß bei aller Kritik an der Politik Israels, das Existenzrecht des Staates Israel in offiziellen Verlautbarungen der PT anerkannt wird. Aber auch außerhalb des Lagers der harten Trotzkisten fordern viele Mitglieder eine bedingungslose Unterstützung der PLO durch die Partei.
Noch andere Streitpunkte wurden auf der Demonstration sichtbar: Eine kleine Gruppe wohlorganisierter DemonstrantInnen trat plötzlich auf, als die Redner loslegten. Es waren BesetzerInnen einer Wohnsiedlung, adventista II. Angeblich von einer Tendenz innerhalb der PT (“o trabalho”) haben sie mit öffentlichen Mitteln gebaute Wohnungen für BezieherInnen kleiner Einkommen (COHAB) besetzt. Die Stadtverwaltung von Sao Paulo, auch von der PT gestellt, fordert den Abzug der BesetzerInnen, da sie nur anderen Armen, die durch Wartelisten einen Anspruch erworben haben, die Wohnungen wegnähmen. Ein Anführer der BesetzerInnen spricht mich an: Er zeigt mir Bilder von verstümmelten und verletzten Kindern – Opfer der Räumungen in Diadema (Industriestadt bei Sao Paulo) vom Ende letzten Jahres. (Offiziell) vier Tote, viele Verletzte, einige Verschwundene waren das Resultat: “Das ist unser Bagdad”, sagt er. Diadema wird von der PT regiert. Auch wenn es die Landesregierung war, die die Räumungen angeordnet hatte, geriet die PT-Verwaltung in der Stadt doch zusehends in den Strudel der Beschuldigungen. Natürlich war die Demonstration vom 22.2. nicht die einzig Aktion gegen den Krieg im Golf, aber die anderen waren genausowenig signifikant. Bezeichnend ist der Charakter der größten Manifestation für den Frieden: Ein gemeinsamer Gottesdienst der vier großen Konfessionen (evangelische und katholische Christen, Moslems, Juden), zu dem die Folha de Sao Paulo aufgerufen hatte. 2000 Menschen fanden sich ein, inklusive der politischen Prominenz Sao Paulos von links bis rechts. Bei allgemeinem Friedensgesäusel fiel nur der Rabbiner aus der Rolle: Zum Entsetzen (nicht nur) der linken Juden verteidigte er die Aktionen der Alliierten als gerechten Krieg.
Schlußbemerkung: Am selben Tag (22.2.) trafen sich 1000 Personen zu einer ganz anderen Demonstration, einer Veranstaltung mit dem Titel “Em Defesa do Marxismo”.

Kasten:

Die Partei der Arbeiter – Resolution
der PT zum Golfkrieg (27.1.1991 – Auszüge)

Unter dem Vorwand, die Integrität des kuwaitischen Territoriums zu vertei¬digen, haben die Vereinigten Staaten und ihrer Alli¬ierten die größte Mordma¬schinerie seit dem Zweiten Weltkrieg in Aktion gesetzt. Die Vereinten Natio¬nen dienen als Schutzschild für die Kriegspolitik von Bush. Was im Golf auf dem Spiel steht, sind die gigantischen Interessen der Ölkonzerne, die die Fol¬gen einer Konzentration von Macht in den Händen eines Dikta¬tors fürchten, der die Verhandlungen über den Ölpreis erschwe¬ren kann. Aber grundsätzli¬cher geht es bei diesem Krieg um die Fähigkeit der Regierung der USA, sich zur einzigen Großmacht im Weltmaßstab zu erheben und eine neue ökonomi¬sche, politische und militärische Weltordnung zu etablieren.
Wir verurteilen die Versuche der USA und ihrer Verbündeten, den Konflikt militärisch zu lösen…
Wir verurteilen die Invasion des Iraks in Kuwait…
Wir verurteilen, daß die UNO den USA und den Alliierten einen Freibrief für ihre Kriegspolitik gegeben haben. Die Rolle der UNO ist es, Frieden zu suchen und nicht, Krieg zu legitimieren.
Wir verurteilen die Bombardierung der Zivilbevölkerung in Is¬rael, im Irak, in Saudi Arabien oder jedem anderen Land der Re¬gion.
Wir verteidigen eine Verhandlungslösung als einzigen Ausweg, um den Frie¬den in der Region wiederherzustellen.

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