Abschied von den Bergen
Die Guerilla hat ihre Waffen abgegeben
Den Beginn für die Waffenabgabe und den Eintritt ins zivile Leben der URNG-Mitglieder stellte der sogenannte Tag „D“ (für Demobilisierung) dar. Dieser Tag war zugleich Fixpunkt aller die Demobilisierung betreffenden Maßnahmen und Zeitpunkt des definitiven Waffenstillstands. Seit dem D-Tag, dem 3. März, überwachten 155 Blauhelme aus 17 Staaten den Frieden. Die größten Kontingente kamen aus Spanien mit 43 Soldaten, Uruguay mit 20, Brasilien und Kanada mit je 15; Deutschland war mit vier Militärärzten an der Mission beteiligt.
Sammeln für den Tag „D“
Den Einheiten der URNG blieben vor dem Tag „D“ drei Wochen, um sich in den acht vorbereiteten Sammelpunkten einzufinden. Die Gesamtzahl der Kämpfer und Kämpferinnen inklusive ihrer Kinder lag mit 2959 unter der ursprünglich von der URNG angegebenen Zahl von 3614. Die Guerilla erklärte diesen Umstand damit, daß viele aus Mißtrauen zunächst nur ihre Pseudonyme angegeben hätten, wodurch Doppelregistrierungen entstanden seien. Desweiteren seien etwa 400 KämpferInnen nicht in den Sammelpunkten erschienen, da sie sich entschieden hätten, direkt zu ihren Familien zu gehen bzw. bei ihnen zu bleiben.
Die eigentliche Demobilisierung erfolgte in vier Etappen. Zunächst mußte die URNG ihre gesamte militärische Ausrüstung mit Ausnahme der persönlichen Waffen bis zum Tag „D+42“, dem 14. April, den Vereinten Nationen übergeben, bzw. in bereitgestellte Container ablagern. Diese wurden durch zwei Schlösser gesichert – eines unter der Verantwortung der UNO, das andere unter der der URNG. Außerdem mußte die Guerilla bis zu diesem Termin alle Waffenverstecke bekannt gegeben haben. In drei weiteren Etappen von jeweils fünf Tagen gaben bis zum Tag „D+60“, also dem 2. Mai 1997, je ein Drittel der KämpferInnen ihre persönlichen Waffen ab.
Insgesamt handelte es sich nach Angaben der URNG um 1818 Schußwaffen, 100 Kilogramm Sprengstoff, 409 Minen, sowie eine nicht genannte Zahl von Mörsern und Raketen. Die Diskrepanz zwischen Anzahl von KämpferInnen und Waffen schürte Gerüchte, die Guerilla habe nicht alle Waffen abgegeben. Zweifel gab es zum Beispiel. bei der Südfront Santos Salazar der FAR, die 150 KämpferInnen zählte, jedoch lediglich 70 Waffen abgab.
Mehrstufige Demobilisierung
Verwiesen sei aber darauf, daß im August 1994 während einer Militäraktion drei Mitglieder der FAR festgenommen und 600 Gewehre des Typs AK-47 sichergestellt worden waren. Diese im Verhältnis zur Gesamtstärke der FAR und zur Anzahl der insgesamt von der URNG abgegebenen Waffen nicht unerhebliche Menge, wurde von einem Kommandanten der FAR damit erklärt, daß die Waffen für die Gesamtstruktur der URNG gedacht waren und durch die Militäraktion der Guerilla ja auch nicht mehr zur Verfügung gestanden haben. Sowohl der Chef der UNO-Mission in Guatemala, Jean Arnault, als auch die guatemaltekische Regierung widersprachen denn auch den Spekulationen, die Guerilla würde einen Teil ihrer Waffen zurückhalten.
Anläßlich eines Besuches von RepräsentantInnen ziviler Bauern- und Indígenaorganisationen im Lager der Guerillaeinheit Luis Ixmatá umriß Capitán Héctor in einer kurzen Rede die neuen Aufgaben der URNG: „Nach 36 Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen beginnt eine neue Phase des Kampfes. Für den politischen Kampf und die Schaffung einer Partei, die sich grundsätzlich von allen anderen Parteien Guatemalas unterscheidet, ist es unabdingbar, zunächst eine große politische Einheit zu schaffen.“
Angegangen wurden die neuen Aufgaben zunächst in den internen Strukturen der URNG. Zur Überwindung der historischen Differenzen der Teilorganisationen wurde eigens eine „Homogenisierungskommission“ geschaffen. Zudem wurden im September 1996 in allen Guerillafronten „Politische Schulen“ eingerichtet, in denen die Kämpfer und Kämpferinnen seitdem Unterweisungen in der neuen strategischen Ausrichtung der URNG erhalten. Den KämpferInnen wurden ihre möglichen zukünftigen Arbeitsfelder erläutert, die sich grob in zwei Bereiche unterscheiden lassen: In den politischen Kampf der URNG (Aufbau der Parteistrukturen, politische Allianzen, Wahlen, parlamentarischer Kampf) und in den Kampf des „organisierten Volkes“ (Unterstützung von Forderungen auf lokaler Ebene wie Wasser, Elektrizität etc. und soziale Kämpfe auf nationaler Ebene wie Gleichstellung der Frauen und Schaffung von Kooperativen).
Wiedereingliederung in die zivile Gesellschaft
Im Februar diesen Jahres führte die URNG Interviews an allen Fronten durch. Anhand der Ergebnisse sollen Fortbildungsmaßnahmen, wie sie in dem Abkommen über die Eingliederung der Guerilla vorgesehen sind, vorbereitet werden. Zur Durchführung dieser Projekte und Programme gründete die URNG eine Stiftung, über die internationale und nationale Hilfsgelder kanalisiert werden sollen. Die Phase der Eingliederung der Guerilla in die Gesellschaft begann mit dem Tag „D+60“, dem 2. Mai, und endet ein Jahr später. In dieser Zeit sollen den ehemaligen KämpferInnen ausreichend Verpflegung, Bildungsprogramme und Dienstleistungen gewährleistet werden sowie die Eingliederung ins Arbeitsleben beginnen. Danach beginnt die Phase der definitiven Eingliederung, während der langfristige Leistungen, die von der Regierung angeboten werden sollen, in Anspruch genommen werden können. Dabei handelt es sich laut Abkommen um finanzielle Unterstützung, technische, juristische und berufliche Beratung, sowie um Erziehungs-, Bildungs- und produktive Projekte. Diese sollen dazu dienen, „die Eingliederung in das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben des Landes unter den gleichen Bedingungen zu gewährleisten, wie sie die restliche guatemaltekische Bevölkerung hat.“
Nach Meinung der Teniente (Leutnant) Victoria der Frente Luis Ixmatá sind Schwierigkeiten, wie sie in El Salvador nach Friedensschluß aufgetreten sind, nicht zu erwarten. Ein großes Problem im südlichen Nachbarland sei die Gespaltenheit der revolutionären Organisationen innerhalb der damaligen FMLN gewesen. Diese hätte viel Unzufriedenheit und Ungerechtigkeiten verursacht. Die URNG hingegen sei sehr geeint und werde in dieser Hinsicht keine Probleme bekommen. Desweiteren sei die Anzahl der URNG-Angehörigen geringer als seinerzeit in El Salvador.
Alfonso Bauer Paiz, Wirtschaftsminister der fortschrittlichen Regierung Arbenz zu Beginn der fünfziger Jahre und heute juristischer Berater der im mexikanischen Exil lebenden bzw. in den vergangenen Jahren zurückgekehrten guatemaltekischen Flüchtlinge, äußerte sich in ähnlicher Weise: „Mit der Eingliederung der Guerilla wird es keine Probleme geben, da es nicht sehr viele KämpferInnen sind. Im Gegensatz dazu wird es mit den Flüchtlingen große Schwierigkeiten geben, da allein aus Chiapas noch Tausende Familien zurückkehren werden.“
Landverteilung als Knackpunkt
Im Rahmen des Abkommens über die Eingliederung der URNG in die Gesellschaft ist keine direkte Landverteilung an ehemalige Kämpfer und Kämpferinnen der URNG vorgesehen. Dies ist ein substantieller Unterschied zu den Vereinbarungen in El Salvador und auch gegenüber der Situation der guatemaltekischen Flüchtlinge. Viele KämpferInnen der FMLN mußten drei, vier Jahre oder gar vergebens auf ein Stück Land warten und sehen sich heute als eindeutige Verlierer eines Krieges, der laut Friedensabkommen keine Verlierer kennen sollte. Den guatemaltekischen Flüchtlingen im mexikanischen Exil ergeht es ähnlich: Vertraglich zugesicherte Bedingungen, die den schnellen, unbürokratischen Zugang zu Land einschließen, geraten im befriedeten Guatemala zusehends in Vergessenheit.
Insgesamt erscheint die Integration der Guerilleros und Guerilleras in Guatemala mit in erster Linie vom Ausland finanzierten Ausbildungs- und Eingliederungsprogrammen als durchaus überwindbare Hürde der Entwicklung zum Frieden. Die Führung der URNG verspricht ihren KämpferInnen außerdem Projekte, welche die politische und kulturelle Differenzen überwinden helfen und die persönliche Sicherheit der KämpferInnen gewährleisten sollen. Gerade diese beiden Aspekte, die zunächst weniger relevant erscheinen, bzw. bezüglich der Sicherheit lediglich als ein Problem der höheren Kader angesehen werden, machen vielen der KämpferInnen mehr Sorgen als die materielle Zukunft.
„Ich weiß noch nicht, wohin ich gehen werde und was ich arbeiten werde. In mein Dorf kann ich aus Sicherheitsgründen nicht zurückkehren.“ Befragt nach den individuellen Zukunftsplänen, kamen häufig diese oder ähnliche Antworten von den KämpferInnen. Tania Palencia, Repräsentantin der „Versammlung der zivilen Gesellschaft“ (ASC), formulierte die Problematik sehr treffend: „Die Demobilisierung wird ein sehr komplexer Prozeß sein, denn das Überleben muß nicht nur wirtschaftlich abgesichert werden. Die Demobilisierten müssen aber auch in eine für sie neue Kultur integriert werden. Angesichts der Erinnerung an den Krieg, des Fehlens eines Dialoges, der Greueltaten des Militärs und der Repression der 80er Jahre bedürfen gerade die Ex-Compas eines Raumes, damit sie in einen Dialog mit ihrer eigenen Geschichte treten können. So müssen sie alle Kommunikationsmittel nutzen können, ohne daß sie Angst haben müssen. Das kann die Gesellschaft aber zur Zeit nicht gewährleisten.“ In Anbetracht wachsender „allgemeiner“ Kriminalität, von Entführungen und Lynchjustiz läßt sich die Angst vieler Guerilleros/as, nach der Demobilisierung Freiwild zu sein, auch durch die edelsten Bekundungen der Friedensabkommen nicht bagatellisieren.
Schleppende Demobilisierung der Armee
Die Waffenabgabe der Guerilleros und Guerilleras ist mittlerweile ohne größere Probleme abgeschlossen. Auf Seiten der Regierungsarmee verläuft dieser Prozeß jedoch äußerst unbefriedigend. Der unzureichende Demobilisierungswille der Armee zeigte sich bereits Ende Januar durch einen Aufstand der Policía Militar Ambulante (PMA), einer Spezialeinheit der Armee, und durch einen Winkelzug der Militärführung: Durch ihren Sprecher Verhandlungsführer Coronel Otto Noack ließ die Armee verlauten, daß die in den Friedensabkommen festgelegte 33 prozentige Reduzierung der Heeresstärke von der Sollstärke von 46.000 Soldaten ausginge. Da die derzeitige Ist-Stärke jedoch lediglich 35.000 sei, müßten nur 4.180 statt 11.900 Soldaten demobilisiert werden, um auf 66 Prozent von 46.000 zu gelangen. Demnach wäre die Stärke der Armee nach der Demobilisierung also 30.820 gegenüber rund 23.100 Soldaten, wenn von der Ist-Stärke ausgegangen würde. Außerdem solle es in den oberen Rängen der Armee zu keinerlei Reduzierung kommen.
Sowohl die Reduzierungsdebatte als auch der PMA-Aufstand mögen sich in den kommenden Jahren als Nebensächlichkeiten herausstellen, in der derzeitigen Situation können sie jedoch auch als Warnsignale an die sich neu konstituierende Opposition Guatemalas verstanden werden. Deren wichtigste Gruppe – die URNG – hat mit der Waffenabgabe ein wichtiges Faustpfand aus den Händen gegeben.
KASTEN
36 Jahre Guerillakrieg
Die erste guatemaltekische Guerillabewegung geht auf das Jahr 1960 zurück. In diesem Jahr rebellierte eine Gruppe junger Offiziere gegen das korrupte Regime unter Ydígoras Fuentes, welches den USA erlaubt hatte, Guatemala als Basis einer Invasion Kubas zu nutzen. Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Die jungen Rebellen kamen in Kontakt mit der Kommunistischen Partei Guatemalas, die im Jahre 1961 den bewaffneten Kampf als notwendig für eine revolutionäre Entwicklung erklärt hatte. 1963 entstanden aus diesem Bündnis die Fuerzas Armadas Rebeldes (FAR). Nach einer groß angelegten Militäroffensive hatte diese Guerilla Ende 1967 jedoch praktisch aufgehört zu existieren.
Einige ihrer Anführer flohen nach Mexiko, von wo aus sie den Widerstand reorganisierten. Aufgrund politischer Differenzen gab es jedoch keine einheitliche Organisationsstruktur mehr. Während die FAR im nordöstlichen Departement Péten einen Guerilla-Focus aufbauten, wurden zwei weitere Gruppen im westlichen, indigen geprägten Hochland des Landes aktiv. Dieses waren die Nueva Organización Revolucionaria de Combate, die am 19. Januar 1972 mit einer ersten Aktion und unter dem Namen Ejército Guerrillero de los Pobres (EGP) an die Öffentlichkeit trat, und die Regional de Occidente, die sich seit 1979 Organización del Pueblo en Armas (ORPA) nannte.
Beginnend mit wenigen Aktivisten und Aktivistinnen und ohne finanziellen und materiellen Rückhalt, gelang es der guatemaltekischen Guerilla bis zu Beginn der 80er Jahre eine militärische Stärke zu entwickeln, die – kombiniert mit dem Druck der Bauern-, Arbeiter- und Studentenorganisationen – einen nahen Umsturz der Militärdiktatur Romeo Lucas García möglich erschienen ließ. Es folgte jedoch eine gewaltige, von den USA unterstützte, Terrorwelle, unter der in erster Linie die Zivilbevölkerung zu leiden hatte, die aber auch für die Guerilla einen schweren Rückschlag bedeutete. Ein revolutionärer Umsturz rückte in weite Ferne, und damit begann 1991 die Verhandlungsphase zwischen den jeweiligen Regierungen und der URNG, dem 1982 gebildeten Zusammenschluß der einzelnen Guerillaorganisationen. Das Ergebnis ist der am 29. Dezember 1996 unterzeichnete feste und dauerhafte Frieden, dessen zuvor verhandelten Teilabkommen auch die Demobilisierung und Wiedereingliederung der Kämpfer und Kämpferinnen der URNG regeln.