Mexiko | Nummer 599 - Mai 2024

¡Adiós Amlo!

Mexiko bereitet sich auf die Wahl seiner ersten Präsidentin vor

Am 2. Juni finden in Mexiko Präsidentschaftsund Parlamentswahlen sowie eine Reihe von Wahlen in den Bundesstaaten statt. Und schon jetzt steht so gut wie fest: Zum ersten Mal in seiner zweihundertjährigen Geschichte als souveränes Land wird Mexiko von einer Frau als Präsidentin regiert werden. Zwei starke Kandidatinnen bewerben sich um das Präsidentenamt: die linke Claudia Sheinbaum, Spitzenkandidatin der Regierungspartei (Morena-PVEM-PT) und Ex-Gouverneurin von Mexiko-Stadt sowie die konservative Unternehmerin und ehemalige Senatorin Xóchitl Gálvez, die für die Opposition (PAN-PRI-PRD) antritt. Ein dritter Kandidat im Rennen, Jorge Álvarez Máynez, der von der sozialdemokratischen Partei Movimiento Ciudadano (MC) unterstützt wird, hat kaum Chancen. Seine Kandidatur ist fast auf eine Zuschauerrolle beschränkt.

Von Zedryk Raziel

Sofern keine Unwägbarkeiten eintreten, wird eine Frau die Zügel der Exekutivgewalt in Mexiko übernehmen. Die überwiegende Mehrheit der Umfragen zu den Wahlpräferenzen sieht einen großen Vorsprung für Sheinbaum. Sie ist Nachfolgerin von Andrés Manuel López Obrador, der 2018 in seinem dritten Anlauf zum Präsidenten mit der stärksten Mehrheit in der Geschichte des Landes wurde. Gálvez, die in den Umfragen an zweiter Stelle steht, repräsentiert eine unerwartete Koalition der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN), der Zentrumspartei der Institutionellen Revolution (PRI) sowie der linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD). Diese naturgemäß verfeindeten drei Parteien, haben sich dieses Mal zusammengetan, um die Wiederwahl der 2014 von López Obrador gegründeten Partei Morena (Movimiento de Regeneración Nacional), zu stoppen.

Die Wahl wird die erste seit zwei Jahrzehnten sein, bei der López Obrador, im Volksmund AMLO genannt, nicht auf dem Stimmzettel steht. Nach einer sechsjährigen Amtszeit als Bürgermeister von Mexiko-Stadt und zwei erfolglosen Kandidaturen für die Präsidentschaft 2006 und 2012 mit der Partei PRD, hatte AMLO seine eigene Partei gegründet und 2018 sein Ziel erreicht: die mexikanische Linke zum ersten Mal an die Macht zu bringen. Jetzt, am Ende seiner sechsjährigen Amtszeit am 30. September, erklärte er, dass er sich aus dem öffentlichen Leben auf seinen Altersruhesitz in Chiapas zurückziehen und nicht mehr für ein gewähltes Amt kandidieren werde. Die Mexikaner*innen müssen beginnen, sich ein Leben ohne López Obrador vorzustellen, der so viele Jahre lang die öffentliche Debatte geprägt und den Medien bei vielen Gelegenheiten die politische Agenda aufgezwungen hat.

Sheinbaum, Umweltwissenschaftlerin jüdischer Abstammung, hat ihre politische Arbeit mit wissenschaftlicher Forschung verknüpft. Die Mutter von zwei Kindern war Umweltministerin in der Regierung von AMLO in Mexiko-Stadt (2000-2005). Nach der ersten Wahlniederlage von López Obrador koordinierte Sheinbaum die Bewegung gegen die Privatisierung des Erdöls. Sie war zudem als Beraterin bei der Weltbank und den Vereinten Nationen tätig sowie Mitglied der Zwischenstaatlichen Sachverständigengruppe für Klimaveränderungen (IPCC), für die sie Forschungsarbeiten durchführte. Die Organisation wurde 2007 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Sheinbaum half bei der Gründung von López Obradors Partei Morena und wurde 2015 Bürgermeisterin von Tlalpan, einer Gemeinde in Mexiko-Stadt. In der dritten Präsidentschaftskampagne wurde sie 2018 von AMLO nominiert, die mexikanische Hauptstadt als Nachfolgerin ihres Mentors zu regieren. AMLOs phänomenale Popularitätswelle trug ihn zur Präsidentschaft und sie ins Bürgermeister*innenamt von Mexiko-Stadt, das sie letztes Jahr mit hohen Zustimmungsraten verließ.

Im Wahlkampf versuchte die Opposition, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, Sheinbaum sei eine Art Kopie von AMLO, ohne eigene Ideen − eine Beurteilung mit frauenfeindlichen Untertönen in einem hochgradig sexistisch geprägten Land. Sheinbaum verteidigte sich gegen diese Kritik, indem sie auf ihre Leistungen als Staatsbeamtin und als Gouverneurin verwies: Erhöhung der öffentlichen Sicherheit, Investitionen in umweltfreundlichere öffentliche Verkehrsmittel und soziale Unterstützung für die Armen und die Mittelschicht.

Sheinbaum hat sich einen Wahlkampfdiskurs zu eigen gemacht, der auf der Idee von „Kontinuität durch Wandel” oder „Kontinuität eigener Prägung” beruht. In jeder Rede hebt die regierungstreue Kandidatin die Ergebnisse der sechsjährigen Amtszeit von López Obrador hervor und verspricht, diese zu festigen und auszuweiten, zum Beispiel durch die Erweiterung des Kreises der Begünstigten von Sozialprogrammen.

Eines der Ziele von Sheinbaum ist es, gemäßigtere Wähler*innen anzulocken, die AMLO Starrsinn vorwerfen und ihm misstrauen, aber weder die PRI noch die PAN wählen wollen. Daher bietet sie an, sich um die Themen zu kümmern, die unter der letzten Regierung in den Hintergrund getreten sind: den Übergang zu sauberer Energie (AMLO ist ein nationalistischer Verfechter des Erdöls), eine moderate Kreditaufnahme zur Finanzierung öffentlicher Vorhaben, die Verbesserung der Kapazitäten der Polizeikräfte in den Bundesstaaten und die Schaffung einer nationalen Behörde zur Untersuchung von Korruptionsdelikten durch Beamt*innen und Auftrag­nehmer*innen der Regierung.

Sheinbaum kämpft um gemäßigte Wähler*innen

Im Gegensatz dazu positonniert sich die Kandidatin Xóchitl Gálvez erwartungsgemäß äußerst kritisch zu den Ergebnissen der Amtszeit von López Obrador, insbesondere in Bezug auf die allgemeine Unsicherheit und Gewalt. Die empirische Realität ist in Bezug auf dieses Thema auf Seiten der Oppositionskandidatin. Im Land werden selbst nach Regierungsangaben jedes Jahr 30.000 Menschen gewaltsam getötet. AMLO hat betont, dass seine wichtigste Leistung auf diesem Gebiet darin besteht, den sich verstärkenden Trend, den Mexiko seit 2006-2007 erlebt, eingedämmt zu haben. In dieser Zeit begann die Phase des sogenannten Krieges gegen die Drogen, einer vom damaligen Präsidenten Felipe Calderón (PAN) verordneten Politik zur Bekämpfung krimineller Gruppen durch den Einsatz der Armee.

Zur allgemeinen problematischen Gewaltsituation kommen die spezifischen Aggressionen, denen mehrere Politiker*innen und Kandidat*innen ausgesetzt waren – insbesondere diejenigen, die sich um ein gewähltes Amt in den Bundesstaaten bewerben. Die Regierung erkennt offiziell die Ermordung von 15 Kandidat*innen während des derzeit laufenden Wahlprozesses an. Unabhängige Zählungen gehen jedoch davon aus, dass die Zahl der Opfer zwischen 25 und 30 liegt.

Gálvez hat sich den mexikanischen Wähler*innen als Kandidatin vorgestellt, die von der Basis kommt, um so bei der riesigen Anhängerschaft von AMLO um Stimmen zu werben. Die Oppositionspolitikerin, die von 2015 bis 2018 den Stadtbezirk Miguel Hidalgo in Mexiko-Stadt regierte, will sich damit in Kontrast zu Sheinbaum setzen, die Tochter akademisch gebildeter, wohlhabender Eltern ist und im Ausland studiert hat. Gálvez wurde auch ohne Herkunftsvorteile eine wohlhabende Geschäftsfrau. Ihre Geschäfte wurden jedoch schon kritisch beäugt, weil Galvez sie angeblich zur Einflussnahme genutzt habe, um Regierungsaufträge zu erhalten.

Beide Spitzenkandidatinnen stellen die Entscheidung am 2. Juni als Wahl zwischen zwei gegensätzlichen Projekten dar: Gálvez behauptet, dass Sheinbaum die Kontinuität dessen verkörpere, was López Obrador in seiner Regierungszeit an Fehlern gemacht hat. Sheinbaum argumentiert, dass Gálvez für die Rückkehr zur Vergangenheit stehe, welche die Mexikaner*innen vollends überwinden wollen − die PRI, Mexikos langlebigste Partei, wird von den Wähler*innen als die korrupteste aller Optionen bewertet. Offenbar hält Sheinbaum damit die besseren Karten in der Hand: Umfragen sagen voraus, dass das AMLO-Projekt Morena mit ihr an der Spitze noch mindestens sechs Jahre an der Macht bleiben wird.

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