ALCA reicht schon bis nach Zentralamerika
US-Kongress verabschiedet Freihandelsabkommen mit Zentralamerika und der Dominikanischen Republik
Das Ergebnis stand bis zum letzten Moment auf der Kippe. Am Ende konnten die FreihandelsbefürworterInnen und nicht zuletzt US-Präsident George W. Bush einen handfesten Erfolg verzeichnen. Das zwischen den USA, Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua bereits im Mai 2004 und von der Dominikanischen Republik im August desselben Jahres unterzeichnete Freihandelsabkommen CAFTA überstand die Zitterpartie im US-Repräsentantenhaus denkbar knapp. Mit 217 zu 215 Stimmen ratifizierten die Abgeordneten in einer langen Nachtsitzung am 27. Juli das Vertragswerk. Da der Senat es bereits am 30. Juni mit 54 zu 45 Stimmen durchgewunken hatte, kann das Abkommen am 1. Januar 2006 in den Ländern, die es ratifiziert haben, in Kraft treten.
Erkaufter Freihandel
Präsident Bush hatte bis zuletzt vehement um die zur Ratifizierung eigentlich notwendigen 218 Stimmen gerungen. Da drei Stimmen nicht abgegeben wurden, reichten schließlich auch 217 Voten aus. Um diese zu erreichen, schreckte der US-Präsident auch vor faktischen Stimmenkäufen nicht zurück. Zahlreiche bekennende CAFTA-GegnerInnen stimmten dem Abkommen nur aufgrund finanzieller und materieller Zusagen für ihre jeweiligen Wahlkreise zu.
Trotz der minimalen handelspolitischen Bedeutung für die USA – lediglich 1,9 Prozente der Exporte gehen in den CAFTA-Raum – stellte die Abstimmung die umstrittenste ihrer Art seit vielen Jahren dar. Die nach einer mehrstündigen Debatte auf 15 Minuten angesetzte Stimmabgabe zog sich über mehr als eine Stunde hin, so dass das Ergebnis erst kurz nach Mitternacht feststand. Von den RepräsentantInnen der Demokratischen Partei stimmten bis auf 15 Abgeordnete alle geschlossen gegen das CAFTA. Unter den republikanischen Abgeordneten fanden sich 27 Gegenstimmen. Neben der Bemängelung unzureichender Arbeits- und Umweltstandards, in erster Linie durch demokratische Abgeordnete, stammen die KritikerInnen vor allem aus Wahlkreisen, die über Textil- oder Zuckerproduktion verfügen. Sie lehnen den Vertrag aus Angst vor Arbeitsplatzverlusten in diesen Sektoren und der daraus resultierenden Gefährdung ihrer Wiederwahl ab.
Ein Scheitern des CAFTA hätte einen Rückschlag für die FreihandelsbefürworterInnen bedeutet und der Strategie der USA, die gewünschte gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA durch bilaterale und regionale Abkommen Schritt für Schritt Realität werden zu lassen, einen gehörigen Dämpfer verpasst.
Beitrag zur nationalen Sicherheit
„Das CAFTA hilft sicherzustellen, dass der Freihandel ein fairer Handel sein wird“, verkündete Bush, für den die Bedeutung des Abkommens allerdings weit über die eines einfachen Handelsvertrages hinausgeht. Das CAFTA sei „ein Kompromiss zwischen Nationen, die die Freiheit lieben“ und bringe „Frieden und Prosperität nach Lateinamerika“. Nach Ansicht der Neokonservativen unter den Republikanern werden die nationale Sicherheit der USA durch eine Stärkung der schwachen Demokratien in der Region erhöht sowie „antidemokratische Kräfte“ in Lateinamerika zurückgedrängt.
In den zentralamerikanischen Ländern wurde die Ratifizierung des Abkommens von den Regierungen und der Unternehmerschicht teils pathetisch bejubelt, während soziale Organisationen einmal mehr ihre Ablehnung bekundeten und darauf hinwiesen, dass der genaue Inhalt des CAFTA in der Bevölkerung nahezu unbekannt sei.
Der salvadorianische Präsident Antonio Saca kommentierte die Ratifizierung mit den Worten: „Ich bin zufrieden, denn es hat die Freiheit gewonnen, das System des Freihandels, an das wir glauben. Zentralamerika hat gewonnen, und den heutigen Tag sollten wir alle feiern.“ Nicht einmal 24 Stunden nach der Ratifizierung erklärte der salvadorianische Vize-Arbeitsminister Gerardo Suvillaga, dass der Vertrag einen „Kampf um Investitionen zwischen den Ländern der Region“ provozieren wird. Die guatemaltekische Tageszeitung Prensa Libre bemängelte, dass die Politik nichts unternommen hätte, „um das Land an das ökonomische Leben nach Inkrafttreten des Vertrages anzupassen“ und stellte fest, dass allein im Monat August sechs von Guatemala umworbene Investoren unter anderem wegen zu hoher Strompreise in anderen Ländern investiert hätten. Die zentralamerikanischen Regierungen werden sich im Wettlauf um Investitionen gegenseitig mit Konzessionen an die Unternehmen überbieten müssen.
Zum Zeitpunkt der Ratifizierung in den USA hatten lediglich El Salvador, Honduras und Guatemala das CAFTA jeweils mit deutlichen Mehrheiten ratifiziert. In allen drei Ländern geschah dies ohne breite öffentliche Diskussion, über die Köpfe der Bevölkerung hinweg. GegnerInnen des Abkommens konnten lediglich auf der Straße Aufmerksamkeit erlangen, ohne jedoch etwas zu erreichen. In Guatemala kamen im März sogar zwei Menschen bei Auseinandersetzungen mit der Polizei ums Leben.
Auch die Dominikanische Republik hat das CAFTA mittlerweile mit klaren Mehrheiten ratifiziert. Nachdem der Senat am 26. August für das Abkommen gestimmt hatte, folgte das Abgeordnetenhaus am 6. September. Von den 32 Abgeordneten, die bei einer Mehrheit von 118 Ja-Stimmen gegen das CAFTA stimmten, bemängelten einige, dass die ParlamentarierInnen dessen Inhalt nicht eingängig genug studiert hätten.
Somit steht die Ratifizierung nur noch in Costa Rica und Nicaragua aus. Für beide Länder sagen FreihandelsbefürworterInnen für den Fall einer Nicht-Ratifizierung einen Wegfall von Investitionen und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit voraus.
Nicaragua und Costa Rica
In Nicaragua tritt der Ratifizierungsprozess derzeit auf der Stelle. Die beiden maßgeblichen Parteien FSLN (Sandinistische Befreiungsfront) und PLC (Liberale Partei), die durch einen gemeinsamen Pakt den Kongress dominieren und die Regierung somit an den Rand der Handlungsfähigkeit bringen, sind sich bei diesem Thema uneinig. Während die FSLN das CAFTA ablehnt, will die PLC dem Abkommen zustimmen. Auch auf Grund der durch den Pakt ausgelösten Institutionenkrise konnte bisher keine Abstimmung erfolgen. Diese wurde nach der nun erfolgten Ratifizierung in den USA zunächst bis nach der Sommerpause aufgeschoben. Es wird jedoch mit einer Mehrheit für das Abkommen gerechnet. Für die Wirtschaftsministerin Azucena Castillo „verschliesst das Parlament den NicaraguanerInnen im Falle einer Nicht-Ratifizierung das Recht auf Arbeit und eine technologische Erneuerung des Landes.“ Violeta Delgado von der Coordinadora Civil, die zahlreiche NRO umfasst, fordert hingegen, dass im Falle einer Ratifizierung die Regierung zumindest „Mittel für die am stärksten betroffenen Sektoren wie den Agrarbereich“ bereitstellen solle.
In Costa Rica ist CAFTA besonders umstritten. Umfragen zufolge wird es von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Da der Staat noch einen vergleichsweise hohen Anteil des Wirtschaftslebens kontrolliert, befürchten die CAFTA-GegnerInnen die vollständige Privatisierung der Energie- und Telekommunikationsunternehmen sowie der sozialen Sicherungssysteme und einen Bankrott des Agrarsektors. Bereits jetzt importiert Costa Rica etwa 50 Prozent aller konsumierten Lebensmittel. Guido Vargas Artavia vom Nationalverband kleiner und mittlerer Agrarproduzenten (Upanacional) befürchtet, dass das Land im Falle des Inkrafttretens von CAFTA in zehn Jahren „sämtliche Nahrungsmittel“ importieren wird.
Staatspräsident Abel Pacheco, der sich in der Vergangenheit häufig skeptisch über das Abkommen geäußert hatte, rief eine spezielle Kommission zur Analyse der Folgen des CAFTA für die costaricanische Wirtschaft ins Leben. Sobald der Bericht der Kommission fertig gestellt ist, will er das Abkommen zur Beratung in den Kongress schicken.
Die sozialen Sektoren drohen im Falle einer sich anbahnenden Ratifizierung mit Massenprotesten. „In dem Moment, in dem der Vertrag zur Diskussion an den Kongress geht, werden wir den Generalstreik erklären“, kündigte Carlos Aguilar, Leiter des Encuentro Popular, einem Zusammenschluss sozialer, gewerkschaftlicher und bäuerlicher Organisationen an.
Exportsteigerungen erhofft
Die zentralamerikanischen Länder erhoffen sich von CAFTA neben einem Anstieg der Investitionen vor allem eine Steigerung der Zucker- und Textilexporte. Die Ausfuhr von Zucker, einem der wichtigsten Exportprodukte Zentralamerikas, ist allerdings quotiert. Die Quote soll jährlich um zwei Prozent ansteigen. Die zentralamerikanischen Länder konkurrieren zudem bei der Ausfuhr ihrer wenigen Exportgüter direkt miteinander und im Textilsektor beispielsweise auch mit Mexiko, China und anderen asiatischen Ländern.
Der Großteil der in geringerem Umfang ausgeführten Exportgüter genießt ohnehin bereits einen weitgehend freien Zugang zum US-Markt. Im Rahmen der sogenannten „Karibikbecken-Initiative“ gewähren die USA den zentralamerikanischen Ländern einseitige Handelspräferenzen. Diese Vorteile werden durch das CAFTA lediglich institutionalisiert und müssen somit nicht alle paar Jahre erneuert werden. Demgegenüber steht eine allmähliche Öffnung des zentralamerikanischen Marktes und der voraussichtliche Verlust tausender Arbeitsplätze im Agrarbereich. Kein Land der Region kann mit den Dumping-Preisen der hoch subventionierten US-Farmer mithalten.
Darüber hinaus werden einzelne Unternehmen nach Vorbild des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA auch im CAFTA-Raum Regierungen auf Schadensersatz verklagen können, wenn sie der Ansicht sind, dass ihnen durch ein erlassenes Gesetz in Zukunft Gewinneinbußen drohen würden. Ein zum Schutz der Umwelt erlassenes Gesetz kann als „indirekte Enteignung“ gewertet werden, für die der jeweilige Staat Kompensationszahlungen zu leisten hat. Somit werden auch im CAFTA private Gewinninteressen der Unternehmen über die gesetzgeberische Ausgestaltung gesellschaftlicher Interessen wie Umweltschutz gestellt.
Trotz allem wird die äußerst fragliche Annahme, dass Freihandel an sich automatisch zu einer Stimulierung der Produktion, höherem Wirtschaftswachstum sowie einer Zunahme von Beschäftigung und Wohlstand führt, innerhalb der meisten zentralamerikanischen Regierungen praktisch nicht hinterfragt.
Das CAFTA wird ein Experimentierfeld für die Auswirkungen eines
Freihandelsabkommens zwischen einem reichen, großen und einigen kleinen, armen Ländern darstellen. Die mehr als elf-jährigen Erfahrungen Mexikos mit dem NAFTA werden sowohl von CAFTA-BefürworterInnen als auch –GegnerInnen zur Untermauerung ihrer Ansichten ins Feld geführt. So verzeichnet das Land zwar positive ökonomische Rahmendaten, die stets als vermeintlicher Beleg für die positiven Effekte des Abkommens zitiert werden. Die große soziale Ungleichheit konnte jedoch weder innerhalb Mexikos noch im Vergleich zu den USA oder Kanada verringert werden. Auch die Migration gen Norden ist entgegen aller Hoffnungen weiter gestiegen. Gleiches gilt für die Abhängigkeit Mexikos vom US-Markt. Profitiert haben in der mittlerweile zweitstärksten Wirtschaftsmacht Lateinamerikas vor allem große Unternehmen und KapitalbesitzerInnen, für die sich lukrative Investitionsmöglichkeiten auftaten. Die Mehrheit der Bevölkerung konnte daraus keinen Nutzen ziehen. Kaum etwas spricht dafür, dass dies in den CAFTA-Ländern anders sein sollte.