Nummer 411/412 - Sept./Okt. 2008 | Zentralamerika

„Wir müssen uns unsere Geschichte wieder aneignen”

Ideen zu einer Stärkung afro-zentralamerikanischer Jugendlicher

Afro-zentralamerikanische Jugendliche entwarfen in einem Regionalkongress, der im Juni 2008 in Panama stattfand, einen Aktionsplan und ein regionales Netzwerk zur Stärkung ihrer Organisations- und Analysefähigkeit, kulturellen Identität und Partizipation in politischen Prozessen.

Jonas Rüger

Afro-zentralamerikanische Jugendliche sind regelmäßig einer doppelten Marginalisierung ausgesetzt: einerseits aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, andererseits wegen ihrer Stellung im Generationsgefüge. Dies erschwert ihnen den Zugang zu Bildung, Arbeitsmarkt, den Räumen gesellschaftlicher Entscheidungsfindung sowie den Möglichkeiten, diese Diskriminierung öffentlich zur Sprache zu bringen. Um diese Probleme zu diskutieren, trafen sich mehr als 80 VertreterInnen von Organisationen afro-zentralamerikanischer Jugendlicher aus der gesamten Region sowie den USA am 26. Juni auf der Isla de Colón vor der panamaischen Atlantikküste. Dort diskutierten sie mit der Unterstützung eines ExpertInnenteams der Stiftung für Frieden und Demokratie FUNPADEM, der Organisation der Schwarzen Zentralamerikas ONECA und des Zentrums der Panamaischen Frau CEMP dreieinhalb Tage lang die Ergebnisse von sieben nationalen Workshops. Resultat war ein Aktionsplan für die Stärkung der kulturellen Identität, der Fähigkeiten der Selbstorganiation und Einflussnahme afro-zentralamerikanischer Jugendlicher. Zudem schufen sie ein Netzwerk zur regionalen Koordination.
„Wir sind Opfer von Ausgrenzung gewesen aufgrund von Rassismus, Genderdiskriminierung und in unserer Kondition als Jugendliche“, erklärt Hendell Bent Mahony von der costaricanischen Delegation. Das Problem liege nicht in der formal-rechtlichen Anerkennung, denn: „Alle Regierungen der Region haben internationale Abkommen und Deklarationen zur Gleichberechtigung verabschiedet, aber in der Praxis werden sie nicht respektiert.“
Für Sheyla Howard aus Nicaragua verhindern vor allem Unsicherheit über die eigenen Wurzeln und fehlendes Selbstbewusstsein, dass die Jugendlichen sich dieser Benachteiligung entschieden und erfolgreich entgegensetzen: „Wir wissen nicht, wer wir sind, wo wir herkommen.“ „Unsere Eltern haben uns nichts über unsere Kultur, unsere Herkunft, unsere Identität gelehrt, aus Angst, wir würden die gleiche Diskrimierung erleiden wie sie“, pflichtet ihr Wendy Martínez, eine Garífuna aus Honduras, bei. Dennoch sind beide überzeugt, dass gerade die Selbstbestätigung einer eigenen Identität die notwendige Basis für die Einforderung von Respekt und Gleichberechtigung sein müsse.
Um diesen Herausforderungen entgegen zu treten, debattierten die TeilnehmerInnen des Regionalkongresses in Panama unter acht Arbeitsschwerpunkten über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und die Stärkung kultureller Identität sowie über die Verbesserung der Kenntnisse über reproduktive Gesundheit und des Schutzes vor HIV und AIDS oder anderen sexuell übertragbaren Krankheiten, denen afro-zentralamerikanische Jugendliche überproportional ausgesetzt sind. Sie diskutierten Fragen von Diskriminierung, Rassismus sowie Sexismus und analysierten die Prozesse und Institutionen der zentralamerikanischen Integration auf Möglichkeiten einer größeren Beteiligung hin. Auch schmiedeten sie – ein erfolgreiches Experiment in Honduras reproduzierend – Pläne für die Einrichtung einer Schule zur Ausbildung von Führungskompetenzen in einem der Länder Zentralamerikas.
„Es war eine unheimlich bereichernde Erfahrung“, urteilt Hendell Bent Mahony. „Wir haben noch viel zu tun, aber wir werden zusammenarbeiten.“ „Der Kongress war spitze“, stimmt Sheyna Howard zu, und Carlos Arana aus Guatemala fügt an, er nehme „zwei oder drei Koffer randvoll mit Arbeit mit zurück. Wir müssen das, was wir hier gelernt haben, jetzt zu Hause anwenden und ausweiten.“
Trotz der positiven Einschätzung des Treffens sind die Jugendlichen sich allerdings einig, dass die Schaffung des regionalen Koordinationsnetzwerkes und der Ausbau ihrer Fähigkeiten zur Selbstorganisation nur die ersten Schritte zur Lösung ihrer Probleme sind. Darüber hinaus kritisieren sie, dass ihre Ausgrenzung sogar in den Organisationen der afro-zentralamerikanischen Gemeinschaft selbst reproduziert wird. „Wir haben nach der Beteiligung in der ONECA geschrien“, sagt Carlos Arana, und erklärt sich erleichtert, dass in dem Prozess zur Vorbereitung des Treffens in Bocas del Toro langsam begonnen wurde, diese Forderung zu erfüllen. Die Festschreibung konkreter Mechanismen zur Einbindung der Jugendlichen in die ONECA ist ein weiteres Ziel des auf dem Kongress entwickelten Aktionsplans. Doch überraschenderweise zählt neben Diskriminierung, Marginalisierung oder fehlendem Selbstbewusstsein auch ein Problem eher administrativer Natur zu den wichtigsten Faktoren, die die Jugendlichen bei der Einforderung ihrer Rechte behindern: Das Fehlen demografischer Informationen über Zusammensetzung und Verteilung der Bevölkerung mit afrikanischen Wurzeln in Zentralamerika. Nach Einschätzung Artur Samuels, Koordinator für Studien- und Forschungsprojekte bei ONECA, konzentriert sich in Guatemala, Honduras und Nicaragua die afro-zentralamerikanische Bevölkerung zwar wahrscheinlich weiterhin an der Karibikküste, in Panama und Costa Rica sei dieses demografische Muster aber zu einem Klischee verkommen, das den tatsächlichen Verhältnissen längst nicht mehr entspreche. Stattdessen lebten Personen mit afro-zentralamerikanischem Hintergrund über das gesamte Territorium dieser Länder verteilt. Keines der Zensus-Systeme Zentralamerikas leiste aber auch eine adäquate Erfassung und Einschätzung des Umfangs dieser Bevölkerung.
Angesichts des weitgehenden Fehlens demografischer Daten zur afro-zentralamerikanischen Bevölkerung insgesamt, sind Informationen über Anteil und geografische Verteilung Jugendlicher unter den afrikanischstämmigen Personen praktisch inexistent. Deshalb wurde als letzter Arbeitsschwerpunkt auch die Suche nach Möglichkeiten zur Erhebung von Daten darüber „wo, wie und wie viele wir sind“ in den Aktionsplan aufgenommen. Die Mittel für die Ausarbeitung des Plans wurden bisher von der Europäischen Union über das „Programm zur Unterstützung der zentralamerikanischen Integration“gefördert. Die Anschlussfinanzierung für die Umsetzung ist allerdings noch unklar.
Wendy Yuleida Martínez, Garífuna, geboren in der honduranischen Kleinstadt Tela, hat die Schule in der nahegelegenen Heimatgemeinde ihrer Großmutter abgeschlossen, arbeitet jetzt in La Ceiba, Honduras’ drittgrößter Stadt, um einen Abschluss in Sozialarbeit an einer Abendschule zu finanzieren. Sie liefert damit ein Beispiel für die facettenreichen Realitäten, zwischen denen diese Generation afroamerikanischer Jugendlicher ihren Platz im Zentralamerika des 21. Jahrhunderts sucht. „Wir müssen uns unsere Geschichte wieder aneignen“, sagt sie. Es bleibt abzuwarten, ob Zentralamerikas afrikanischstämmigen Jugendlichen dort auch die Grundlagen finden, sich ihrer Gegenwart zu stellen und ihre Zukunft zu gestalten.

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