Schwieriges Coming-Out
Über die Reformen der kubanischen Sexualpolitik und ihre Grenzen
Wer beim Thema Homosexualität in Kuba noch an die staatliche Repression der 60er-Jahre denkt, wird mehr als erstaunt sein. Der 17. Mai, internationaler Tag gegen Homophobie, wurde dieses Jahr offiziell von staatlichen Stellen gewürdigt. Noch letztes Jahr fristete der Tag, der an die Streichung der Homosexualität von der Krankheitsliste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erinnert, ein Schattendasein. Nun war er Höhepunkt einer Reihe von Aktivitäten, die von einer Aufklärungskampagne in den Medien begleitet wurde. Die von Hunderten besuchte Veranstaltung fand mitten im Zentrum Havannas, im Ausstellungszentrum Pabellón Cuba, statt. Anwesend waren nicht nur Mariela Castro, Tochter des aktuellen Staatsoberhauptes Raúl Castro und Direktorin des Nationalen Zentrums für Sexualerziehung (CENESEX), sondern auch Parlamentspräsident Ricardo Alarcón. In Lesungen und Vorträgen wurde die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern erörtert. Am Abend fand im Teatro Astral eine Drag-Performance unter dem Motto „La diversidad es la norma“ („Vielfalt ist die Norm“) statt. Bereits einige Tage zuvor war im Kino „23 y 12“ eine queere Filmreihe mit monatlichen Vorführungen eröffnet worden. Der Titel „Diferente“ („Anders“) dürfte dabei allerdings eher geeignet sein, die Heteronorm zu stützen. Den Anfang der Reihe machte der Film „Bent“, in dem die Homosexuellenverfolgung im Dritten Reich thematisiert wird.
Kubas Öffnung in Bezug auf Homosexualität hatte bereits Anfang der 90er-Jahre begonnen. 1993 wurde auf dem Havanna-Filmfestival der schwule Spielfilm „Erdbeer und Schokolade“ von Tomás Gutiérrez Alea und Juan Carlos Tabío vorgestellt, der in zahlreichen Kinos der Insel und auch international äußerst erfolgreich lief. Seitdem tauchen in den Medien gelegentlich Beiträge über Homosexualität auf. Mindestens ebensolange existieren lesbisch-schwule Partys, die, sofern sie keinen offiziellen Status beanspruchen, zumeist geduldet werden. Auch Telenovelas haben inzwischen schwule und lesbische Charaktere. Seit 2005 gibt es in Havanna zudem ein jährliches Filmfestival, das sexuelle Vielfalt zum Inhalt hat. Eine öffentliche Unterstützung und Präsenz wie in diesem Jahr hat es so jedoch noch nicht gegeben.
Das jahrelange Engagement Mariela Castros trägt, einige Zeit nach der Machtübergabe ihres Onkels Fidel, jedoch noch weitere Früchte. Die im Juni unterzeichnete Resolution 126 des Gesundheitsministeriums erlaubt es Transsexuellen, sich geschlechtsangleichenden Operationen zu unterziehen. Voraussetzung ist allerdings – wie hierzulande – die medizinische Diagnose. Besonders progressiv ist zumindest die in der Regelung enthaltene Möglichkeit, den Eintrag über das Geschlecht in Dokumenten auch ohne operative Anpassung ändern zu lassen. Damit wird wohl vor allem jenen Transgendern das Leben erleichtert, deren Äußeres bei Polizeikontrollen nicht so recht zu Namen und Fotos in den Ausweispapieren passen wollte. Bislang hatte es nur eine einzige geschlechtsangleichende Operation eines Mann-zu-Frau-Transsexuellen im Jahr 1988 gegeben. Bis heute sind weitere 27 Personen als transsexuell eingestuft worden und dürfen sich nun der langersehnten Operation unterziehen. Für die Eingriffe werden kubanische ÄrztInnen eigens von belgischen Spezialkräften qualifiziert.
Überdies gibt es zur Zeit Bestrebungen, die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare zu erreichen. In der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) scheint sich allmählich eine pragmatische Lösung in der Frage durchzusetzen. Während Kulturminister und Politbüromitglied Abel Prieto im Februar äußerte, die Ausdehnung der Ehe werde schon „nicht zu einem Erdbeben führen“, möchte Alarcón Rücksicht auf die Kirchen nehmen. Auch Mariela Castro, die sich der Unterstützung durch ihren Vater sicher sein kann, plädiert lediglich für ein äquivalentes Rechtsinstitut. Dieser Schritt bedürfe nicht einer komplizierten Verfassungsreform. Eine Ausweitung der formalen Ehe auf Lesben und Schwule, so lässt sich daraus schließen, ist auch in Kuba noch mit dem Risiko einer Ablehnung verbunden. Zumindest symbolisch durften sich schon Ende letzten Jahres zwei Frauen, Elizabeth Cabrera und Mónica Negro, unter dem Dach des CENESEX-Instituts das Ja-Wort geben.
Doch eines will Mariela Castro derzeit nicht: die Abhaltung einer CSD-Demonstration. In zahlreichen Ländern wird mit dem sogenannten Christopher Street Day des Stonewall-Aufstands von Lesben, Schwulen und Transgendern gedacht. Im Juni 1969 hatten sich diese in New York erfolgreich gegen eine Polizeirazzia gewehrt. Mariela Castro meint, in Kuba provoziere eine solche Veranstaltung nur und sei dem Zweck des Werbens um Toleranz nicht dienlich. Ohnehin sind auf der Insel selbstbestimmte Demonstrationen – unter Verweis auf die äußere Bedrohung des Landes – nach wie vor unerwünscht.
Nach Angaben des britischen Guardian wurde ein solcher unangemeldeter Marsch am 25. Juni verhindert. Homo-AktivistInnen wollten gemeinsam vom El-Quijote-Park im Zentrum der Hauptstadt zum Ministerium für Justiz laufen, um dort eine Petition zu übergeben. Die Zeitung zitiert Mario José Delgado, ein Mitglied der illegalen Gruppe „Reinaldo Arenas in Memoriam“, nach dessen Aussage zwei Organisatoren kurzfristig festgesetzt wurden. In unbestätigten Berichten ist auch die Rede davon, dass Einschüchterungsversuche im Vorfeld viele von der Teilnahme abgehalten hätten. Auf die Nachfrage eines Sexualwissenschaftlers aus Kanada hin dementierte Mariela Castro die Anschuldigungen: Verhaftungen habe es nicht gegeben, die Organisatoren seien lediglich von den USA bezahlte Strohmänner, die das Ansehen der Republik schädigen sollten. Und tatsächlich hatten die OrganisatorInnen mit der in Miami ansässigen Unity Coalition kooperiert, einem Zentrum für lesbische, schwule, bi- und transsexuelle Hispanics. Auf ihrer Internetseite hatte die Organisation eine Ankündigung der Demonstration veröffentlicht. Der Aufruf enthielt die Namen mehrere kubanischer Gruppen sowie ihre Forderungen. Die Oppositionellen setzen sich demzufolge für ein Ende noch bestehender polizeilicher Repressionen ein. Solche Schikanen gegen Schwule und Transsexuelle an bekannten Treffpunkten werden von Mariela Castro als Einzelfälle bezeichnet. Schon seit Jahren führt CENESEX Sensibilisierungstrainings für PolizeibeamtInnen durch, was durchaus als Indiz für die Ernsthaftigkeit des Staats im Kampf gegen Homo- und Transphobie gewertet werden kann.
Nach Angaben des Aufrufs fordern die OrganisatorInnen auch eine offizielle Entschuldigung für die Arbeitslager, die als Militäreinheiten zur Unterstützung der Produktion (UMAP) bekannt wurden. Zwischen 1965 und 1968 bestanden diese für die Umerziehung konzipierten Einrichtungen, in die neben Religionsangehörigen und Dissidenten auch zahlreiche homosexuelle Männer eingeliefert wurden. Zwar liegen die Vorkommnisse über vier Jahrzehnte zurück, den Opfern des rigiden Vorgehens jener Zeit sind sie dennoch in schmerzlicher Erinnerung geblieben. Ehrliche Kritik an der Repression muss allerdings die Praxis in anderen Ländern ebenfalls in den Blick nehmen. Auch in der damaligen BRD wurden bis 1969 unzählige Schwule zu Gefängnisstrafen verurteilt – ein Kapitel, das bislang genauso seiner Aufarbeitung harrt. Der Mief jener Zeit – eine Mischung aus tradierten patriarchalischen und prüden Einstellungen – verband sich in den sozialistischen Staaten mit der Vorstellung, Homosexualität sei ein Zeichen bürgerlicher Dekadenz und mit dem neuen Menschenbild nicht vereinbar. In einer Äußerung aus dem Jahr 1965 sprach Fidel Castro Schwulen die Fähigkeit ab, wahre Revolutionäre sein zu können. Im April 1971, auf dem 1. Nationalen Kongress für Erziehung und Kultur, wurde dann offiziell beschlossen, den „Einfluss von Schwulen auf die Jugend zu verhindern“. Infolgedessen verloren bis Mitte der 1970er-Jahre zahlreiche Lehrkräfte ihre Arbeit in Bildungseinrichtungen, während Künstler Publikations- und Reiseverbote erhielten; selbst Studenten wurden relegiert. Damit einher ging das zwangsweise Outing vor der Familie und den KollegInnen. Erst im Zuge der Reform des Strafgesetzbuchs im Jahr 1979 wurde der noch aus der Batista-Zeit übernommene Paragraph 490 abgeschafft, der homosexuelle Handlungen verbot. Weitere strafrechtliche Bestimmungen in Bezug auf Homosexualität verschwanden in den Jahren 1987 und 1997. Dennoch wurde auch danach noch von Razzien auf illegale Partys und Polizeikontrollen an bekannten Treffpunkten berichtet.
Während der Regierungszeit Fidel Castros kehrten viele Schwule ihrem Land ob der Schikanen verbittert den Rücken. Ihr Ärger über die homophoben Maßnahmen des postrevolutionären Kuba wurde von der konservativen Exilgemeinde dankbar aufgenommen, um das Land international an den Pranger zu stellen. Die Regierung selbst ließ Lesben und Schwulen keinen Raum, ihre Anliegen öffentlich zu machen. Während in westlichen Ländern in den 70er- und 80er-Jahren lesbische und schwule Emanzipationsbewegungen entstanden, wurden sie auf der Insel – wie auch sonst im sozialistischen Lager – lange Zeit unterdrückt. Dass sich staatliche Stellen nun umfassend den Bedürfnissen von Homo-, Bi- und Transsexuellen annehmen, kann nur begrüßt werden. Andere Regierungen der Region sehen trotz erschreckender Zahlen von Opfern homo- und transphober Morde in ihren Ländern keinen Handlungsbedarf. Die paternalistische Fürsorge des Staats, der die Liberalisierung als Geschenk präsentiert, kann jedoch nicht den Respekt vor emanzipatorischer Arbeit an der Basis ersetzen. Die polarisierte Berichterstattung über die Ereignisse des 25. Juni macht dabei nur das Dilemma deutlich, in dem die kubanische Gesellschaft derzeit generell steckt. Mehr Zugeständnisse an bürgerliche Freiheitsrechte bergen die Gefahr des Machtverlusts der PCC. Erst die Aufhebung des US-Embargos aber wird der Regierung letztlich den Spielraum dafür geben, dass ein „Vielfalt ist die Norm“ für ganz Kuba gelten kann. Ob die Außenpolitik eines noch zu wählenden US-Präsidenten Barack Obama dafür den Weg frei machen wird, und wenn ja, zu welchen Bedingungen, ist allerdings fraglich.