Allianz gegen die Rückkehr
Haitis Militärs und US-Rechte im Einklang gegen Aristide
Seit dem offiziellen Amtsantritt Malvals am 2. September 1993 hat sich die Situation in Haiti ständig verändert, man muß eigentlich von einem zweiten Staatsstreich sprechen. Bei der Amtseinführung Malvals demonstrierte 2000 Schaulustige für die Rückkehr Aristides. Der frisch eingeführte Premierminister befand sich zusammen mit seiner Präsidentengarde mitten in der Menge, als relativ wenige „Attachés“ diese spontane Demonstration auseinanderprügelten. Die berüchtigten „Attachés“, Zivilisten im inoffiziellen Polizeidienst, erklärten, daß die verfassungsgemäße Regierung die Regierungsgebäude übernehmen könne, aber daß sie die Straße beherrschten. Und genau dies haben sie jeden Tag mit größerer Brutalität bewiesen.
Vor allem haben sich die verschiedenen und isoliert arbeitenden Gruppen, die Reste der „Tontons Macoutes“, die Duvalieristen, die Bande um den ehemaligen Diktator General Avril und die „Attachés“ um Polizeichef Michel Francois zusammengeschlossen und agieren nun koordiniert.
– Am 8. September verhinderten sie mit einem Blutbad, daß der Bürgermeister von Port-au-Prince nach zweijährigem Exil wieder in das Rathaus einzog.
– Am 11. September ermordeten sie Antoine Izmery, einen der reichsten Männer Haitis, der Aristides Wahlkampf mitfinanziert hatte und viele Basisinitiativen unterstützte. Wie die UN-MenschenrechtsbeobachterInnen in ihrem Bericht nachwiesen, waren hohe Polizei- und Militärstellen Haitis an diesem Mordkomplott beteiligt.
– Am 7. Oktober waren die bewaffneten Banden von „Attachés“ und Duvalieristen dann so stark, daß sie – ohne offizielle Erklärung der Armee – den Belagerungszustand über Haiti verhängen konnten, und am 11. Oktober verhinderten sie die Landung der UN-Soldaten im Hafen von Port-au-Prince. Sie umfuhren das US-Kriegsschiff mit einem kleinem Boot und schwenkten die haitianische Fahne. Am 14. Oktober ermordeten sie Justizminister Guy Malary. Armeechef Cedras trat nicht wie vorgesehen am 15. Oktober zurück, und die Rückkehr von Präsident Aristide wurde unmöglich.
Keine klare US-Politik gegenüber Haiti
Die Bush-Regierung hatte zwar offiziell die Forderung der Rückkehr von Präsident Aristide unterstützt, sie jedoch in keiner Weise gefördert. Der Sohn von George Bush war an Öllieferungen an die Putschisten während des ersten Embargos beteiligt.
Clinton gewann die Wahlen gegen Bush auch mit der Unterstützung der von Aristide mobilisierten Minderheiten in den USA. Clinton versprach nicht nur eine andere Behandlung der haitianischen Flüchtlinge in den USA, sondern auch wirksame Aktionen für die Rückkehr Aristides.
Es dauerte Monate, bis die Clinton-Administration sich der PutschistenbefürworterInnen im Weißen Haus, im Außenministerium und in der US-Botschaft in Haiti entledigen konnte. Folge dieser Wühlarbeit der AristidegegnerInnen in den ersten Monaten, als sie noch im Apparat saßen, waren offene Rüffel von Clinton gegen Aristide, daß dieser sich gefälligst konzilianter zu verhalten habe, er dürfe die haitianischen Militärs nicht bedrohen, sonst würde die aus Angst nicht die Macht abgeben. Als die Aristidegegner aus den Haiti-policy-making Instanzen (außer CIA und Pentagon, dort haben sie sich bis heute halten können) verdrängt waren, gingen sie zum offenen Angriff über. Da sollte per Gesetzesinitiative eine Invasion in Haiti an die Zustimmung des Kongresses gebunden werden, da wurden CIA-Beamte beauftragt, in Anhörungen des Parlamentes ein Bild von Aristide als Mordbrenner zu verbreiten.
Pentagon versus Clinton
Das US-Kriegsschiff Harlan County, das die UN-Soldaten am 11. Oktober in Haiti absetzen sollte, drehte nach erstem Widerstand im Hafen von Port-au-Prince Richtung Guantanamo ab. Obwohl das Schiff Soldaten transportierte, die unter UN-Kommando standen, lag die Befehlsgewalt über den Kurs des Schiffes einzig bei den USA beziehungsweise beim Pentagon. Der vorschnelle Abzug kann als offener Affront gegen Clinton gewertet werden, der seine Autorität in Frage stellte. Die UN wurden nicht konsultiert und erst im nachhinein informiert.
Als der Weltsicherheitsrat Anfang November schärfere Maßnahmen gegen die Putschisten diskutierte, publizierte ein „Bevölkerungsinstitut der Harvarduniversität“ ein Gutachten, demzufolge monatlich 1000 Kinder mehr an den Folgen des Embargos sterben. Das Embargo war nicht einmal eine Woche alt. Der Sicherheitsrat setzte die Debatte ab und entsandte eine Mission, die die humanitären Folgen des Embargos prüfen sollte.
Putschisten auf der Söldnerliste: Die Geschichte von CIA und SIN
Tatsächlich ist die Zusammenarbeit zwischen US-Rechten und haitianischen Militärs überhaupt nichts neues. 1986 begann die CIA mit dem Aufbau eines haitianischen Geheimdienstes mit dem Namen Service Intelligence National (SIN). Offizielles Ziel des SIN sollte die Bekämpfung des Kokainschmuggels sein. Praktisch aber bekämpfte der SIN politische Gegner mit terroristischen Maßnahmen, und viele Mitarbeiter gelten selbst im Drogenschmuggel verwickelt. Drei frühere Chefs dieser Organisation, Oberst Ernst Proundhomme, Oberst Diderot Sylvai und Oberst Leopold Clerjeue, stehen auf der Liste des US-Finanzministeriums, deren Guthaben in den USA aufgrund der Sanktionen gegen die führenden Putschisten in Haiti eingefroren sind.
Der CIA selbst bezahlte bis zum Putsch im September 1991 Schlüsselfiguren der haitianischen Putschisten, die jetzt an der Macht sind, für politische und militärische Informationen.
Die USA investierte in die Organisation SIN mehrere Millionen Dollar, die offiziell zur Drogenbekämpfung dienen sollten. Die Informationen, die SIN allerdings hierzu lieferte, blieben recht dürftig. Nachgewiesen ist vielmehr, daß führende Mitarbeiter dieser Organisation an politischen Terroraktionen gegen Aristide-UnterstützerInnen beteiligt waren. So etwa am 2. November 1989, als der SIN-Chef Oberst Ernst Proundhomme das Verhör und die Folter gegen den jetzigen demokratisch gewählten Bürgermeister von Port-au-Prince, Evas Paul, leitete. Bei den Folterungen war ebenfalls Oberst Clerjeue, der spätere SIN-Chef, anwesend. Evas Paul erlitt fünf Rippenbrüche und Nieren-Verletzungen.
Schon 1988 gerieten die Beziehungen zwischen CIA und SIN in eine kritische Phase, dauerten aber auf jeden Fall bis zum Putsch 1991 an. Die US-Drogenbehörde DEA beschreibt die SIN in einem Bericht von 1992 so: „SIN ist eine Drogenbekämpfungseinheit, die häufig mit der CIA zusammenarbeitet.“ Ein Mitarbeiter der US-Botschaft in Port-au-Prince klassifiziert den SIN folgendermaßen: „SIN ist eine militärische Organisation, die Drogen in Haiti verbreitet. SIN hat nie Informationen über den Drogenhandel geliefert. Die Gelder zur Drogenbekämpfung wurden eingesetzt, um politische Gegner zu bekämpfen.“
Die Militärs: Geschäftemacher und Duvalieristen
In Haitis Militär werden die Offiziere fast ausschließlich auf der Basis von Familienbeziehungen und politischer Orientierung ausgewählt. Diese streng kontrollierte Vetternwirtschaft hat ein tief konservatives Offizierscorps hervorgebracht. Der clanartige Charakter der Militärführung hat auch das Wiederaufblühen der Duvalier-Ideologie in der Armee begünstigt.
Der exilierte Offizier Ker Delice weist nach, daß die haitianische Armee alle Aspekte des öffentlichen und politischen Lebens in Haiti kontrolliert. Die Beispiele sind zahlreich: Zunächst hat General Cedras zivile Marionettenregime installiert, die ihn als Kommandanten der Armee bestätigten. Cedras reintegrierte sodann seinen alten Freund, General Biamby gegen die Bestimmungen des Militärkodex in die Armee und ernannte ihn zum Stabschef. Biamby war nach einem Putschversuch 1988 gegen General Avril in die USA geflohen, wo er wegen Verletzung der Einreisebestimmungen acht Monate inhaftiert war. Cedras und Biamby sind Söhne der Duvalierfamilie, und ihre Qualitäten ergänzen sich: Cedras hat keine Truppenerfahrungen, er gilt eher als Planungsarchitekt, Biamby führt die Idee aus und kontrolliert die Truppe.
Biamby wird mit zahlreichen politischen Morden in Haiti in Zusammenhang gebracht und gilt als Hintermann der bewaffeten Zivilbanden. Viele dieser Mitglieder sind Söhne der alten Tonton Macoutes. Damit ist Biamby auch Bindeglied zwischen Armee und Tonton Macoutes. Der dritte starke Mann der haitianischen Armee ist der Polizeichef von Port-au-Prince, der sich nach dem Putsch selbst beförderte.
Beherrschung des ganzen Landes
Auf dem Land gibt es seit der Unabhängigkeit vor 200 Jahren keine Regierungsstrukturen. Allgegenwärtig ist einzig die Armee: Jedes Departement wird von einem Militärkommandeur regiert. Für die Bauern sind die „Attachés“ Militär, Polizei, Regierung, Steuereintreiber, Richter, Staatsanwalt und Verteidiger in einer Person. Politische Veränderungen in der Hauptstadt haben wenig Auswirkung auf diese Machtstrukturen. Nur in der Regierungszeit Aristides wurden diese sogenannten „Chefs de section“ entmachtet. Die Armee verschlingt 40 Prozent des knappen Staatshaushaltes von Haiti.
Der öffentliche Sektor ist vor allem unter der Kontrolle von Menschen, die von Polizeichef Francois kontrolliert werden. Er selbst kontrolliert Teleco – die Telefongesellschaft, die enorme Gewinne abwirft -, den Hafen von Port-au-Prince sowie die Zement- und Weizenmehlimporte. UN-MenschenrechtsbeobachterInnen sahen, wie Teleco-MitarbeiterInnen während ihrer Arbeitszeit Pinochets Buch „Der entscheidende Tag“ lasen, offenbar politische Schulung und Vorbereitung weiterer Aktionen von Polizei- und Teleco-Chef Francois.
Bis vor kurzem wurde in diplomatischen Kreisen häufig die Meinung verbreitet, daß die Abneigung gegen Aristide und die Angst vor der Rache seiner AnhängerInnen die Armee und die bewaffeten Zivilbanden zusammenhalten würden. Neuerdings häufen sich die Gerüchte, daß die Risse stärker werden – die Gründe sind vielfältig: Jüngere Offiziere befürchten, daß die Zivilisten zunehmend die Macht übernehmen. Außerdem sind sie unzufrieden mit der Besoldung und der Verteilung der Gewinne.
Das Rückkehr-Abkommen von „Governors Island“
In den vergangenen Monaten hat General Cedras bewiesen, daß er in der Lage ist, viele Tricks anzuwenden, um seine Macht zu verlängern. Vor allem hat er die Schwäche im Text des Abkommens zur Rückkehr von Aristide („Governors Island“) ausgenutzt.
Governors Island unterscheidet sich substantiell von anderen UN-ausgehandelten Friedensabkommen, zum Beispiel in El Salvador. Die Militärs als Konfliktpartner hatten und haben kein Interesse an einer Veränderung der Situation. Der Text von Governors Island wurde nur Aristide und Cedras zur Unterschrift vorgelegt, der Text war nicht Produkt von Verhandlungen, die – wie im Falle El Salvadors – ja auch ständig mit der Basis rückgekoppelt wurden.
Auf diese Weise wurden verschiedene Fallstricke unterschrieben. Zum Beispiel fehlt ein Datum, bis wann die von Aristide zu gewährende und vom Parlament zu beschließende Amnestie gelten soll. Immanent kann die Amnestie natürlich nur für Verbrechen bis zur Unterzeichung des Abkommens ausgesprochen werden, also bis zum 3. Juli. Die Militärs forderten aber Mitte Oktober eine Amnestie für Verbrechen bis zum Tag der Rückkehr Aristides, also für künftig noch zu begehende Verbrechen.
Jonassait, ein Richter im Ruhestand, war gegen alle Bestimmungen von den Militärs zum obersten Richter ernannt worden. Der Justizminister Guy Malary setzte ihn ab. Da die Militärs diese Entscheidung nicht respektierten, war sie ohne praktische Wirkung. Andere Regelungen mußten das Parlament ausführen. Da die „Attachés“ teilweise verhinderten, daß überhaupt ordentliche Sitzungen durchgeführt werden konnten, konnte der Zeitplan nicht eingehalten werden.