Alte Ungleichheiten, in Grün fortgeschrieben
Klimawandel, Biotreibstoff und neue Akteure – Wandel und Nicht-Wandel in der Entwicklungszusammenarbeit
Unruhe macht sich breit. Die fossilen Rohstoffe neigen sich ihrem Ende entgegen, die Klimakatastrophe rückt näher. Auch weite Teile von Politik und Wirtschaft werden offensichtlich von Unbehagen ergriffen, von Bildzeitung bis zur G8 fordern Akteure auf allen Ebenen „neue Ansätze und Wege“ – eine historische Chance, das herrschende Produktionssystem und die bestehenden Ungleichheiten zu überwinden?
Dem ist nicht so. Die Debatte um eine nötige „Umkehr“ findet innerhalb des bestehenden Analyserahmens statt, zugrunde liegende Muster werden nicht hinterfragt. Es scheint im Gegenteil, dass die aufgeregten Forderungen nach Klimaschutz nur die tatsächlichen Interessen verschleiern, die den Maßnahmen zugrunde liegen. Der Klimawandel ist zum neuen „Hauptwiderspruch“ geworden – der freilich in der öffentlichen Debatte keinen Widerspruch darstellt zum herrschenden Wirtschaftssystem, sondern, im Gegenteil, innerhalb desselben bearbeitet und nutzbar gemacht wird.
Die aufgeregte Debatte um Klimaschutz, die nun hektisch Maßnahmen fordert, macht auch entwicklungspolitisch vieles wieder machbar, was zuvor bereits in die Kritik geraten war. Nun werden sie auf einmal als Chance gefeiert: gewaltige Infrastrukturprojekte, die in Monokultur „Bio“-Rohstoffe für den Weltmarkt produzieren; das ökologisch und sozial äußerst zweifelhafte Greenwashing durch Zertifizierung vermeintlich „nachhaltiger“ Produkte; die Einführung von Gentechnik, deren Hemmschwelle in der öffentlichen Wahrnehmung sinkt, wenn es doch „nur“ um Produkte geht, die ohnehin dem Verbrennungsmotor zugefügt werden.
Neue Herausforderungen, alte Strategien
Die Entwicklungspolitik, keine Frage, hat die neuen Herausforderungen angenommen: Klimawandel und Ressourcensicherheit sind wichtige Themen in der aktuellen Debatte. Und auch die Verschiebungen im globalen Machtgefüge geraten zunehmend in den Blick. Länder wie China, Indien und Brasilien sind längst selbst zu bedeutsamen Akteuren geworden – auch in der Entwicklungszusammenarbeit.
Doch bei ihrer Bearbeitung wird auf die Strategien zurückgegriffen, die sich bereits in der Vergangenheit als wenig effektiv erwiesen haben: auf Privatisierung und Regulierung durch den Markt. Bis 2015 sollten die Milleniumsziele umgesetzt sein, die unter anderem vorsehen, die Zahl der in Armut lebenden Menschen zu halbieren und allen Kindern weltweit eine Grundschulausbildung zu ermöglichen. Bis 2015 bleiben noch acht Jahre – es zeichnet sich bereits ab, dass die Ziele um ein weites verfehlt werden.
Die Ausrichtung der Entwicklungspolitik und ihre Effekte werden angesichts dieser Entwicklung nicht hinterfragt. Stattdessen werden der Diskurs von win-win-Situationen fortgeführt und die Inwertsetzungpolitik auf neue Bereiche ausgedehnt.
So geraten auf der Suche nach Finanzquellen für Entwicklung auch neue „private“ Akteure in den Blick, wie z.B. MigrantInnen (s. Beitrag von Karen Bähr Caballero). Als auf der Weltkonferenz für Entwicklungsfinanzierung in Monterrey im Jahr 2002 Finanzierungsmöglichkeiten für Entwicklung zusammengetragen wurden, tauchten die remesas, die Geldsendungen der MigrantInnen in ihre Herkunftsländer, noch nicht auf.
Inzwischen haben die Entwicklungsinstitutionen sie als lohnenden Kapitalfluss in die Länder des Südens entdeckt, den es nun zu kanalisieren gilt. Die EmpfängerInnen sollen das vorhandene Kapital effektiv umsetzen und in ihre „Zukunft“ investieren – die Verantwortung für die eigene soziale Situation wird einmal mehr dem Individuum übertragen.
Chancen durch Biotreibstoff?
Auch was die Inhalte von Entwicklungspolitik betrifft, werden bekannte Pfade beschritten. So setzt die deutsche Entwicklungspolitik weiterhin einen Schwerpunkt auf Infrastruktur und die Förderung von Rohstoffen. Vor dem Hintergrund der zuletzt stark gestiegenen Ölpreise und der Debatte um Klimawandel spielen dabei zunehmend neue „Rohstoffe“ eine Rolle: so beispielsweise Treibstoff aus nachwachsenden Rohstoffen.
Biokraftstoffe werden von der EU im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit massiv gefördert. Die Europäische Union beabsichtigt laut ihrer Biokraftstoff-Richtlinie, bis 2020 zehn Prozent der konventionellen Kraftstoffe durch alternativen Treibstoff zu ersetzen. Diese Zielmarken können beim derzeitigen Verbrauch an Energie allein über Eigenproduktion nicht erreicht werden – so dass die EU-Staaten auf Importe angewiesen sind. Und hierfür kommen aus klimatischen und finanziellen Gründen vor allem Länder des Südens in Frage. Die alte Arbeitsteilung zwischen Nord und Süd – zwischen Verarbeitung und Export von Rohstoffen, zwischen Konsumenten und Primärproduzenten – setzt sich ungebrochen fort.
Zwar spielt die hiesige Entwicklungszusammenarbeit bei der Ausgestaltung des globalen Bioenergiemarktes derzeit nur eine Nebenrolle, doch ist das Bemühen offensichtlich, sich bei diesem Thema als Partner ins Spiel zu bringen. Dem Credo folgend, Innovation brauche Partnerschaft, wird der Anbau und Handel mit Biokraftstoffen als große Chance für Entwicklungs- und Schwellenländer bejubelt.
Doppelt getroffen
Diesen Optimismus zu teilen fällt schwer, wenn man die Augen nicht verschließt vor der aktuellen Entwicklung und den Hintergründen des „Booms“ um Bioenergie. Die Ausweitung der Biokraftstoffproduktion verschärft bereits existierende Landnutzungskonflikte und wirft zahlreiche ökologische, soziale und ökonomische Probleme auf: die schädlichen Folgen der Monokulturen und der hochtechnologisierten Landwirtschaft für die Umwelt; die verstärkte Rodung von Regenwald; die Gefährdung der Ernährungssicherheit des großen Teils der Bevölkerung, der vom Export des Biosprits ins Ausland nicht profitiert (siehe Interview mit Klemens Laschefski).
Nicht nur gefährdet die direkte Flächenkonkurrenz zwischen Kraftstoffen und Nahrungsmitteln die kleinbäuerliche Landwirtschaft im globalen Süden, die verstärkte Nachfrage nach pflanzlichen Produkten zur Energieproduktion treibt auch die Nahrungsmittelpreise in die Höhe. Beispiele dafür sind nicht nur die „Tortilla“-Krise in Mexiko (siehe LN 393), sondern auch die infolge erhöhter Ethanol-Nachfrage aus Mais gestiegenen Preise für andere Grundnahrungsmittel wie Weizen oder Reis.
Gerade jene Länder, die auf Nahrungsmittelimporte zur Ernährung ihrer Einwohner angewiesen sind, sind meist zugleich von Ölimporten abhängig: so werden diese Länder von den Preisanstiegen von Nahrung und des sich verknappenden Öls doppelt getroffen. Die Milleniumsziele können angesichts solcher Entwicklungen nicht einmal annähernd erreicht werden. Und allein eine genaue Betrachtung derjenigen Akteure, die den Anbau von Biokraftstoffen vorantreiben, zeigt, wem er vor allem nützt: Den großen Akteuren der Energiebranche ebenso wie den Agrar- und Biotechnologie-Konzernen, die sich darüber den Durchbruch von gentechnisch verändertem Saatgut erhoffen (s. Beitrag zum Thema von Juliane Schumacher).
Auch Teile der Umweltbewegung reihen sich in die neue Allianz zur „Rettung der Erde“ ein. Drei bekannte große NRO aus Deutschland starteten gemeinsam mit der größten Zeitung der Bundesrepublik eine Kampagne „Rettet unsere Erde“. Mit Politik und Wirtschaft wird eifrig über Zertifizierungskriterien für den wachsenden Handel mit Biotreibstoffen diskutiert (s. Beitrag von Thomas Fritz).
Das Argument von Seiten der NRO ist dabei stets, Schlimmeres verhindern zu müssen. Noch vor wenigen Jahren war der Diskussionsstand ein anderer: Da wurden zum Schutz des Regenwaldes gerade nicht industrie-kompatible Kriterien, sondern ein genereller Boykott gefordert. Und den Handel mit Emissionszertifikaten kritisierten viele NRO in den 1990ern noch als Inwertsetzung der Atmosphäre, als die absurde Möglichkeit, sich das Recht auf Luftverschmutzung gegen Geld zu kaufen.
Inzwischen haben sie es sich gut eingerichtet im herrschenden Diskurs von Effizienzsteigerung und Marktregulation. Mit dem Verweis auf die Alternativlosigkeit von Biotreibstoffen helfen sie mit, die tatsächlichen Interessen zu verdecken: Es ist die „Energiesicherheit des Nordens“, die hinter dem Boom der Bioenergie steckt.
Kampf um Rohstoffe
Diese wird nicht nur durch das knapper werdende Öl bedroht – auch in den globalen Machtverhältnissen hat es Verschiebungen gegeben, die die westlichen Staaten nicht mehr ignorieren können. Große Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien sind zu bedeutenden Wirtschaftsmächten aufgestiegen – auch wenn ein großer Teil ihrer Bevölkerungen davon kaum profitiert.
Die USA, Europa und Japan sehen ihre Vorherrschaft schwinden; im Kampf um Investitionen, Arbeitsplätze und Rohstoffzugänge sehen sie sich Konkurrenten gegenüber, die sie noch vor kurzer Zeit väterlich belächelt haben. Seit sich China in Afrika als neuer „Entwicklungshelfer“ hervortut, diskutieren die bisherigen Geber alarmiert, was das für die Entwicklungspolitik bedeutet. Sicher ist: Die bisherigen großen Akteure auf diesem Feld haben an Einfluss verloren.
Das zeigt sich gerade in Lateinamerika: Der Internationale Währungsfonds steckt in einer finanziellen Krise, seit Schuldner wie Brasilien und Argentinien vorzeitig ihre Schulden tilgten; kaum noch ein Land in der Region ist bereit, sich seinen neoliberalen Vorgaben zu fügen. Venezuela ist in der Region zum zentralen Akteur in Sachen Entwicklungspolitik aufgestiegen, mit Hilfe seiner Öleinnahmen baut es ein Gegenprojekt zur Freihandelszone ALCA auf, die die USA ursprünglich in Lateinamerika durchsetzen wollten (s. Beitrag zum Thema von Juliane Schumacher).
Die Zeiten, in denen die GeberInnen aus dem Norden ihre politischen und wirtschaftlichen Vorstellungen widerspruchslos durchsetzen konnten, sind vorbei. Folgt dem die Konkurrenz der unterschiedlichen Modelle, der freien Wahl der Länder des Südens für die Form der Entwicklung, die sie vorziehen?
Zumindest setzen die Veränderungen die Geberländer unter Druck, stärker als bisher nachzuweisen, welche Effekte die bisherige Entwicklungshilfe hat – und wem sie tatsächlich nützt. Die grundsätzlichen Probleme werden damit nicht überwunden: Entwicklung ist nötig, wo Ungleichheiten herrschen, und was darunter verstanden wird, bestimmt die GeberIn. Ob die Ungleichheiten schwinden, wenn mehrere große Blöcke um Entwicklungsprojekte, Investitionen und Rohstoffe konkurrieren, ist mehr als fraglich.