Zertifiziertes Raubrittertum
Wie Nichtregierungsorganisationen dem Welthandel mit Biomasse auf die Sprünge helfen
Der Klimawandel entwickelt sich zu einem neuen Hauptwiderspruch. Um die Erderwärmung zu begrenzen, scheint alles erlaubt. Als „sauberer“ Energieträger gilt zunehmend die Biomasse der Dritten Welt: Soja, Zuckerrohr, Palmen, Rizinus, Maniok, Eukalyptus oder Bambus. Emsig arbeitet eine breite Koalition aus Auto-, Öl-, und Agromultis gemeinsam mit Regierungen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) an der Verwandlung dieser nachwachsenden Rohstoffe in Treibstoffe für das kapitalistische Produktionsmodell.
Derweil schrumpfen die Folgen dieser Inwertsetzung zum Nebenwiderspruch: die Expansion von Monokulturen, die Plünderung der Tropenwälder, die gewaltsamen Vertreibungen, der Siegeszug der Gentechnik, das Verheizen von Nahrungspflanzen und nicht zuletzt die nachwachsenden Monopole transnationaler Konzerne. Trotz alledem betrachten viele NRO die massive Steigerung der Biomasse-Importe in die EU als alternativlos. Der Treibhaus-Effekt lasse keine andere Wahl, so ihr Diktum.
Im Rausch des Bioethanols
Zu den Propagandisten des Hauptwiderspruchs vom Klimawandel gehört das deutsche Forum Umwelt und Entwicklung. In einem Positionspapier schreibt dieses Netzwerk, der Klimawandel zwinge die Menschheit, auf erneuerbare Energien umzustellen, und schlussfolgert: „In diesem Sinne ist eine massiv ausgebaute Biomasse-Nutzung alternativlos.“ Für Entwicklungsländer biete der Export von Bioenergieträgern eine Chance, die sie auch nutzen würden.
Vor allem für das aus Zuckerrohr gewonnene brasilianische
Bioethanol will das Forum die Handelsschranken niederreißen. „Es ist politisch kaum durchsetzbar und auch nicht sinnvoll, international nicht wettbewerbsfähiges, teures europäisches Bioethanol durch protektionistische Maßnahmen vor der Konkurrenz aus Entwicklungsländern zu schützen“, schreiben sie. Entsprechend solle dieser Flüssigtreibstoffbedarf in der EU „vorwiegend aus Importen gedeckt werden“.
Aber nicht nur Brasilien, neben den USA der größte Bioethanolproduzent, soll massenhaft in die EU exportieren. Die deutsche Lobbyinitiative Germanwatch prüft, ob und wie auch afrikanische, karibische und pazifische Länder (sog. AKP-Gruppe) vom Bioethanol-Boom profitieren können. Anders als Brasilien dürfen die AKP-Staaten aufgrund von Präferenzabkommen zollfrei Bioethanol in die EU einführen.
Ergänzend fordert das Forum Umwelt und Entwicklung die „aktive Förderung eines vielfältigen Energiepflanzenanbaus“ in aller Welt. Denn neben dem bereits expandierenden Weltmarkt für Bioethanol wächst auch die Produktion von Biodiesel. Die Basis des Bioethanols bilden diverse zucker- oder stärkehaltige Pflanzen (Zuckerrohr, Zuckerrüben, Gerste, Weizen, Mais und Maniok) sowie Zellulose aus Gras, Stroh, Holz und Abfällen. Biodiesel hingegen wird aus verschiedenen Ölpflanzen gewonnen, etwa Raps, Soja, Palmen, Sonnenblumen, Rizinus oder Jatropha.
Blut für Pflanzenöl
Angeheizt wird der Welthandel mit Agroenergie duch die Beimischungsziele in den USA, Europa und einer Reihe von Schwellenländern. Bis 2010 will die Europäische Union einen Biosprit-Anteil von 5,75 Prozent der fossilen Brennstoffe erreichen, bis 2020 sollen es 10 Prozent sein. Die USA wollen 15 Prozent des fossilen Kraftstoffverbrauchs bis 2017 durch Biosprit ersetzen. Ähnliche Ziele formulierten China, Indien und Brasilien. Da Europa und die USA diesen Bedarf nicht durch Eigenproduktion decken können, setzen Wirtschaft und Politik auf steigende Importe.
Schon jetzt erweisen sich die niedrigeren Herstellungskosten in Asien, Lateinamerika und Afrika als entscheidender Katalysator des Handels. Beispiel Bioethanol: Trotz hoher Zölle in den USA und Europa lohnt die Einfuhr, denn Brasiliens Zuckerbarone haben die weltweite Preisführerschaft inne. Nicht nur die klimatischen Vorteile ermöglichen dies, sondern vor allem der stark konzentrierte Landbesitz, der Monokulturanbau, der hohe Mechanisierungsgrad und der intensive Pestizideinsatz. Kehrseite der Medaille ist die Vergiftung von Böden, Grundwasser und Saison-ArbeiterInnen. Die Arbeitsbedingungen gehören zu den härtesten in der Landwirtschaft: Noch heute sterben Zuckerrohrschneider an Erschöpfung.
Ähnliches gilt für Palmöl: Aufgrund steigender Preise für heimischen Raps ist der Großteil der deutschen Betreiber von Blockheizkraftwerken zur Verbrennung von billigerem Palmöl übergegangen. Verschiedene Stadtwerke planen den Bau von Palmölkraftwerken. Zu den Hauptanbaugebieten zählen Indonesien und Malaysia, in Lateinamerika vor allem Kolumbien, Ecuador und Brasilien. Während deutscher Rapsanbau dem streng kontrollierten Regularium der „guten fachlichen Praxis“ unterworfen ist, gehören in Lateinamerika großflächige Abholzungen und schwere Menschenrechtsverletzungen zu den häufigen Begleiterscheinungen der Palmölproduktion.
Eine Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Everywhere beschreibt die „gute fachliche Praxis“ in Kolumbien als mehrstufiges System der gewaltsamen Inwertsetzung. Zunächst rücken paramilitärische Gruppen in Regenwaldgebiete vor, um mit Terror und Mord die lokale Bevölkerung zu vertreiben. Anschließend werden Wälder gerodet, das Holz verkauft und der Landraub mittels Korruption „legalisiert“. Es folgt die Anlage großflächiger Palmplantagen und die industrielle Verarbeitung des Palmöls, auch dies unter dem Schutz der Paramilitärs. Schließlich landet das blutige Pflanzenöl auf dem internationalen Markt, um unter anderem in Blockheizkraftwerken verbrannt zu werden.
Die Be-Siegelung des Raubbaus
Diese und andere Verwerfungen meinen viele NRO durch zertifizierte Nachhaltigkeitskriterien eindämmen zu können. So fordert das Forum Umwelt und Entwicklung ein europäisches „EcoFair-Zertifizierungsschema für nachhaltig erzeugte Bioenergieträger“. Dessen Kriterien sollen Energie- und Arbeitsplatzbilanzen, eine nachhaltige Landwirtschaft und soziale Auswirkungen berücksichtigen. Allerdings will das Forum den Biomasse-Handel keineswegs behindern. Vielmehr sollen „privilegierte Marktzugangsbedingungen in der EU“ zugesichert und „verdeckter Protektionismus“ verhindert werden. Die optimistische Erwartung ist, dass die Zertifizierungen „Rahmenbedingungen schaffen, die auch in den Anbauländern zu nachhaltiger Entwicklung führen.“
Damit liegt das Forum ganz auf der Linie transnationaler Konzerne, die sich ebenfalls Nachhaltigkeitskriterien wünschen. Gern arbeiten sie dafür auch mit NRO zusammen, wie diverse Runde Tische zeigen Der Runde Tisch zu Nachhaltigen Biotreibstoffen (Roundtable on Sustainable Biofuels) etwa versammelt eine illustre Schar von Konzernen, internationalen Organisationen und NRO, darunter Shell, British Petroleum, Petrobras, Toyota, die Gentech-Firmen Dupont und Genencor, der Agrarhändler Bunge, das World Economic Forum, die International Energy Agency, die Siegel-Organisationen Max Havelaar und Forest Stewardship Council (FSC) sowie der World Wide Fund for Nature (WWF) und Oxfam.
Ziel dieses Runden Tisches ist die Erarbeitung eines globalen Mindeststandards mitsamt Zertifizierungssystem für Biokraftstoffe. Dieser Prozess soll staatliche, private und zivilgesellschaftliche Akteure einbinden, um dem Standard „Legitimität zu verleihen“. Allerdings betont der Runde Tisch, dass der Standard „keine Handelsbarriere errichten“ dürfe. Vielmehr solle er „generisch, einfach und apolitisch“ sein. Damit die Zertifizierung so reibungslos wie möglich erfolgt, möchte man auf vorhandene Standards zurückgreifen. Als Referenz gelten vor allem das FSC-Siegel und aktuelle Zertifizierungsprojekte des WWF.
Jedoch sind diese Initiativen aufgrund dürftiger Standards, leichter Zugänglichkeit und mangelhafter Kontrolle erheblich unter Beschuss geraten. So forderten im vergangenen Jahr Umweltgruppen aus acht Ländern, darunter Brasilien, Kolumbien, Chile, Ecuador und Uruguay, der Forest Stewardship Council solle einer Reihe von Firmen das FSC-Siegel wieder aberkennen. Dabei handelte es sich durchgängig um großflächige Monokulturen wie Eukalyptus- oder Pinien-Plantagen, die massiv gegen die Grundsätze des FSC verstießen. Die beteiligten Gruppen
begründeten ihre De-Zertifizierungsforderung mit erheblichen Umweltschäden, Menschenrechtsverletzungen und Landkonflikten. Getragen wird der FSC von Konzernen und NRO, darunter WWF, Greenpeace und Friends of the Earth.
Auf Industrieseite erfreut sich der Holzzertifizierer jedoch großer Beliebtheit. Schon seit vielen Jahren bereitet sich Royal Dutch Shell auf das Ende des Öls und den kommenden Zellulose-Boom vor. Eifrig kauft der Öl-Multi Plantagen in aller Welt mit Schwerpunkt Lateinamerika. Im Jahr 2001 schließlich erhielt Shell Forestry das FSC-Siegel für seine Wälder in Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay. Damit die Siegel-Kriterien auch künftig den Zellulose-Handel stimulieren, setzt sich der Konzern für eine „Harmonisierung“ und „Rationalisierung“ bestehender Zertifizierungssysteme ein.
Greenwashing des Biobusiness
So verwundert es nicht, dass Shell auch am Runden Tisch zu nachhaltigem Palmöl (Roundtable on Sustainable Palm Oil, kurz RSPO) Platz genommen hat. Geladen hatte der WWF. Erklärtes Ziel des RSPO sind Förderung und Wachstum einer vorgeblich „nachhaltigen“ Palmölproduktion. Dazu entwickelten die Beteiligten einen Satz von fragwürdigen Kriterien, anhand derer demnächst die ersten Plantagen zertifiziert werden. Mittlerweile zählt der Runde Tisch 173 Mitglieder, darunter nur elf NRO. Lediglich eine von ihnen, die indonesische Sawit Watch, vertritt Betroffene aus einem der Anbauländer. Der Rest der Mitglieder repräsentiert Plantagenbesitzer, Palmölverarbeiter, Handelsfirmen und Finanzinvestoren.
Auffällig ist dabei der neue Komplex aus Agro-, Gentech-, und Energiekonzernen. Beim RSPO kooperieren u.a. Cargill, Bunge, Bayer, Syngenta, BP, Shell, EDF und RWE. Die Industriedominanz wird noch dadurch abgesichert, dass jedes Mitglied eine Stimme hat, vorausgesetzt es entrichtet den Jahresbeitrag von 2.600 US$.
Zur Freude des Schweizer Biotech-Unternehmens Syngenta schließen die RSPO-Kriterien die Verwendung gesundheitsschädlicher Pestizide nicht aus. Syngenta ist wichtigster Hersteller des hochgiftigen Unkrautbekämpfungsmittels Paraquat. Dieses kommt beim industriellen Anbau von Ölpalmen und Soja zum Einsatz. Hunderte von ArbeiterInnen vergiften sich jedes Jahr schon bei der vorschriftsmäßigen Handhabung von Paraquat. Viele von ihnen sterben an den Folgen.
Nach dem Muster des RSPO lancierte der WWF noch weitere Runde Tische, so zu Soja und Zuckerrohr. Damit ist die Umweltorganisation bei einigen der bedeutendsten Bioenergieträgern mit Siegelprojekten präsent. Jedoch trifft der WWF auch auf Widerstand. Als er im März 2005 zu einer ersten Konferenz seines Runden Tisches zu Verantvortungsvoll Gewonnenem Soja (Roundtable on Responsible Soy) im brasilianischen Foz do Iguaçu einlud, veranstaltete das Netzwerk Vía Campesina die Gegenkonferenz „Nein zum ‚nachhaltigen‘ Soja“. Zum Abschluss ihres Treffens demonstrierten die AktivistInnen vor dem Tagungshotel der WWF-Veranstaltung.
Die Proteste sind leicht verständlich, denn unter den Mitgliedern des Soja-Tisches finden sich berüchtigte Anbauer wie das Unternehmen des brasilianischen „Sojakönigs“ und Gouverneurs des Bundesstaates Mato Grosso, Blairo Maggi. Scharf kritisierte Vía Campesina daher die „skandalöse Unterstützung großer NRO“ für das Agrobusiness. Die zentrale Schwäche der WWF-Initiativen bringen die AktivistInnen auf den Punkt: „Wo es Monokulturen gibt, kann die Nachhaltigkeit nicht existieren, wo es das Agrobusiness gibt, können Campesinos nicht existieren.“
Tatsächlich stellen die Siegelprojekte in erster Linie die Nachhaltigkeit des Biomasse-Nachschubs sicher, nicht eine nachhaltige Produktion. Sie zeichnen intensive Plantagenwirtschaft aus, die sich mit steigender Nachfrage nach Energiepflanzen weiter ausdehnen wird. Keine der Initiativen intendiert eine Beschränkung des Handels. Viele NRO stützen diese Entwicklung. Explizit sprechen sie sich für das Wachstum des Bioenergiemarktes und gegen „Protektionismus“ aus.
Selbst wenn ihre Siegel greifen und zu umwelt- und sozialverträglicherem Anbau auf den kontrollierten Flächen führen würden, bliebe das Expansionsproblem. Denn die Weltmarktpreise befehligen den Vormarsch der Monokulturen in Wälder und Weiden. Die Abholzung des Amazonas korreliert mit dem Sojapreis. Gegenwärtig ziehen die Preise für die energetisch genutzten Pflanzen kräftig an. Solange die Nachfrage nach Agroenergie steigt und die Flächenexpansion nicht zu Angebotsüberschüssen führt, wird dies auch so bleiben.
Zertifizierte Destruktion
Die Preissteigerungen betreffen vor allem Ölpflanzen und Getreide. FAO-Prognosen (Food and Agriculture Organisation der UN) gehen davon aus, dass dieser Trend anhalten wird. Für die auf Nahrungsmittelimporte angewiesenen Entwicklungsländer, viele von ihnen auch Ölimporteure, ist dies überaus bedrohlich. Laut FAO müssen viele von ihnen mangels Devisen die Lebensmitteleinfuhr einschränken.
Allein für die 48 LDCs (am wenigsten entwickelte Länder) stiegen die Importrechnungen für Nahrungsmittel zwischen 2000 und 2006 bereits um 58%. Die Ausgabensteigerung ging auf die Preiserhöhungen zurück, nicht auf größere Importmengen. Diese können real gesunken sein. Wissenschaftler der Universität von Minnesota berechneten, dass die Zahl der Hungernden ohne den Biotreibstoffhandel bis zum Jahr 2025 von über 800 Millionen auf 625 Millionen hätte sinken können. Setzt sich das Verheizen von Nahrungs- und Futtermittelpflanzen jedoch im prognostizierten großen Maßstab fort, könnten im Jahr 2025 möglicherweise 1,2 Milliarden Menschen hungern.
Die Konkurrenz mit der energetischen Nutzung betrifft mittlerweile auch Nahrungspflanzen, die bisher noch nicht im Zentrum des Verwertungsinteresses standen. BASF Plant Science arbeitet an der genetischen Manipulation von Maniok, um den Stärkegehalt für die Produktion von Bioethanol zu vergrößern. Maniok ist ein Grundnahrungsmittel für über 600 Millionen Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika, das vielfach für die Subsistenz angebaut wird. Nun aber stimuliert der Biotreibstoffboom die Entwicklung patentierter Hochleistungssorten, deren Anbau die traditionelle Landwirtschaft nur noch weiter verdrängt.
Während viele deutsche NRO dieses Raubrittertum „be-siegeln“ wollen, nimmt die Kritik in den Anbauländern immer mehr zu. Das lateinamerikanische „Forum Widerstand gegen das Agrobusiness“ erinnert an eine Option, die der NRO-Mainstream längst ausgesondert hat: „Die Zentralität der Energiekrise für die Kapitalakkumulation eröffnet die Möglichkeit einer globalen Debatte über andere Formen der Produktion und des Lebens, über ein radikal anderes Projekt.“ Ohne eine solche Debatte jedoch werde das destruktive Gesellschaftsmodell, nun auf Basis der Bioenergien, lediglich fortgeschrieben.