Kuba | Nummer 497 - November 2015

„An die große Öffnung der Presse glaube ich nicht“

Interview mit der Journalistin Elaine Díaz über die Entwicklung in den kubanischen Medien

Der Annäherungsprozess zwischen den USA und Kuba nimmt seit den simultanen Reden von Barack Obama und Raúl Castro am 17. Dezember 2014 an Fahrt zu. Die LN sprachen mit der Journalistin Elaine Díaz über die Auswirkungen auf die kubanische Medienlandschaft. Dort hat das noch keinen größeren Niederschlag gefunden. Nichtsdestotrotz hat sie hat gerade eine eigene Nachrichtenseite gegründet.

Interview: Anne Fromm

Auf Ihrem gerade gestarteten Blog Periodismo de Barrio, schreiben Sie: „Periodismo verpflichtete sich zu gutem, unabhängigem und fairen Journalismus“. Wie unabhängig kann Journalismus in Kuba denn heute sein?
Elaine Díaz: Das hängt davon ab, wie viele Risiken die Journalisten einzugehen bereit sind, wie verpflichtet sie sich ihrem journalistischen Auftrag fühlen. Aber das geht. Periodismo del Barrio ist frei geboren, unabhängig von jeder politischen oder ökonomischen Kraft, allerdings, das schon, mit einer ungewissen Zukunft. Unsere Redaktion besteht aus fünf Leuten, im Oktober geht die Webseite online. Sie beschäftigt sich mit Naturkatastrophen und deren Langzeitfolgen in Kuba. Die einzigen, denen wir uns verpflichtet fühlen, sind die Leute in den Kommunen über die wir berichten.

Aber laut Artikel 53 der kubanischen Verfassung stehen alle Medien unter staatlicher Kontrolle.
Nur Fernsehen, Radio und Zeitungen. Das Gesetz wurde geschrieben, bevor das Internet nach Kuba kam. Deswegen gibt es dort eine Lücke, in der sich in den vergangenen Jahren erfolgreich Blogs etabliert haben, auch regierungskritische. Sie registrieren ihre Webseite oder ihren Blog im Ausland und tun dann so, als seien sie Korrespondenten dieses ausländischen Medienbetriebs. Das ist völlig absurd, aber es funktioniert.

Kuba steht auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 169 von 180, hinter dem Irak, Libyen und Ägypten. Damit dürften es regierungskritische Journalist*innen auch im Internet nicht leicht haben.
Das stimmt. Ich kenne einige Fälle von Bloggern, die für ein paar Tage im Gefängnis saßen, verfolgt oder bedroht wurden. Mir selbst ist das noch nie passiert. Ich habe 2008 angefangen zu bloggen, damals auch über Politik und Gesellschaft. Es kam schon vor, dass mein Boss oder mein Professor der Uni mich anrief und sagte: „Das und das solltest du nicht schreiben.“ oder: „Bitte lösch diesen Eintrag“. Darauf habe ich nie gehört und hatte Glück. Freunde von mir haben wegen kritischer Blogeinträge ihren Job verloren.

Was hat sich für Journalist*innen geändert seit der Annäherung mit den USA?
Gar nichts. Ich denke, die Medien werden der letzte Bereich sein, den die Regierung öffnet. Sie wollen das Monopol auf Meinungsbildung und die Verbreitung ihrer Ideologie behalten, deswegen halten sie an Artikel 53 und den Staatsmedien fest. An die große Öffnung der kubanischen Presse glaube ich sowieso nicht. Ich sehe es eher so, dass in Zukunft immer mehr kleine Räume entstehen werden, in denen unabhängige Journalisten publizieren können.

Passiert das schon?
Ja, man kann beobachten, wie der Staat langsam mehr private Medieninitiativen toleriert. Seit etwa einem Jahr fangen kleine Redaktionen an, eigene Publikationen, kleine Zeitungen oder Blättchen, herauszugeben. Die meisten beschäftigen sich mit Sport, Stars, Musik und Restaurants, darunter sind aber keine oppositionellen oder politischen Medienmacher. Diese Redaktionen überleben und keiner sagt etwas. Aber ich bin gespannt, wie sie reagieren, wenn die ersten Initiativen starten, die sich mit Gesellschaft und Politik beschäftigen.

Hat sich für Sie persönlich etwas geändert?
Ja, ganz viel in der Einstellung zu meiner Arbeit. Ich denke mir jetzt: Wenn meine Regierung mit der US-Regierung verhandelt, dann habe ich auch das Recht, ein unabhängiges Medium zu gründen und Geld von ausländischen Nichtregierungsorganisationen zu nehmen. Das können sie mir nicht mehr verbieten. Also, ich sehe die Öffnung eher so, dass es nun mehr Räume für uns gibt, unsere Meinung auszudrücken, und nicht als eine große Öffnung der kubanischen Presse.

Wenn wir über Journalismus in Kuba sprechen, müssen wir auch über die Technologie dahinter reden: Nur fünf Prozent der Bevölkerung hat Zugang zum Internet. Die große Mehrheit kann von den Blogs gar nicht erreicht werden.
Das stimmt, Internet können sich nur die reichen Kubaner leisten. Eine Stunde im Internetcafé kostet zwei Dollar – und das bei einem Durchschnittslohn von monatlich 25 Dollar. Öffentliche Wifi-Plätze gibt es so gut wie nicht.

Wie wollen Sie dann Ihren Blog bekannt machen?
In Kuba haben sich die sogenannten paquetes semanales etabliert. Da laden Leute jede Woche Inhalte aus dem Internet, also Fernsehserien, Soaps, Apps, Spiele und Nachrichten auf Festplatten, die man sich dann gegen eine Gebühr ausleihen kann. Ich bekomme mein paquete immer sonntags für einen Euro in einem kleinen Gemüseladen bei mir im Viertel. Ich bin gerade dabei mit den Verkäufern der paquetes zu verhandeln, dass sie unsere Website mit auf die Festplatte packen. Einige sind skeptisch, aber wenn sie sehen, dass wir keine besonders regierungskritische Website sind, willigen sie meist ein. Wenn sie die neuesten Einträge unserer Website jede Woche auf die paquetes laden, dann werden wir schnell bekannt. Das bedeutet allerdings, dass wir überlegen müssen, wie wir uns auf den paquetes präsentieren. Bei uns heißt es deshalb nicht: Mobile first, sondern paquetes first, also Festplatten statt Smartphone.

Das heißt, Sie sehen in den paquetes schon eher die Zukunft als im Internet?
Nein, aber ich glaube, es wird lange dauern, bis Internet günstiger und leichter verfügbar wird. Der Staat hat ja auch Interesse daran, den Ausbau zu verhindern. Die sozialen Netzwerke sind in den vergangenen Jahren immer wichtiger für die Meinungsbildung geworden. Durch sie fühlt er sich bedroht.

Weil die Leute sich dort trauen, öffentlich ihre Meinung zu sagen?
Ja, aber nur langsam. Seit 2008 gibt es Facebook auf Kuba. Das hat es uns plötzlich ganz einfach gemacht, uns mit anderen Kubanern auszutauschen, ohne unseren wahren Namen zu offenbaren. Damals hatten viele noch Profile unter Fakenamen oder anonym, das hat die politische Debatte natürlich beflügelt. Heute ist das nicht mehr so, heute sind die meisten mit ihrem richtigen Namen angemeldet.

Wie ist das für Journalist*innen, findet dort auch eine Lockerung der Meinungsbildung statt?
In den großen Zeitungen kann ich das nicht direkt erkennen. Im Kleinen aber sicherlich, dazu kann ich Ihnen ein Beispiel erzählen. Vor ein paar Tagen haben wir hier in Berlin den Bundestag besucht und gesehen, wie einige Abgeordnete mit dem Fahrrad zur Arbeit kamen. Wir haben das alle fotografiert und bei Facebook hochgeladen und selbst meine Journalistenkollegen, die für staatliche Medien arbeiten, haben dazu geschrieben: Ich wünschte, die Abgeordneten in meinem Land würden mit dem Rad zur Arbeit kommen. Das wäre noch vor vier Jahren nicht möglich gewesen. Dann hätte der Staat wohl gesagt: Ihr attackiert das Parlament, ihr sagt, die Abgeordneten seien faul und so weiter.

Welchen Status haben Sie unter ihren Kolleg*innen, die für die staatlichen Medien arbeiten? Beneiden oder verachten die sie?
Wir tolerieren uns. Ich respektiere was sie tun, sie respektieren meine Arbeit. Vor fünf Jahren wäre das sicher noch anders gewesen, da wären wir nicht so locker miteinander umgegangen.

Aber Sie haben alle zusammen in der Uni gesessen und Journalistik studiert. Was hat man Ihnen dort vermittelt?
Erstaunlicherweise ist die Journalistenausbildung an der Uni ziemlich gut. Dort lernen wir schon, was ordentlicher Journalismus ist, wie man unabhängig arbeitet und so weiter. Und dann macht man sein Pflichtpraktikum bei den staatlichen Medien und sieht, dass die Realität ganz anders aussieht – also zumindest vor sechs Jahren, als ich noch studiert habe. Meine Erfahrungen in diesen Redaktionen haben mich damals sehr demotiviert.

Ihre neue Website beschäftigt sich mit Naturkatastrophen auf Kuba. Wie sind sie auf die Idee gekommen, das Thema öffentlich zu behandeln?
Ich war als Stipendiatin der Nieman Stiftung für zehn Monate in den USA und kam dort auf die Idee, in Kuba ein eigenes kleines Medienunternehmen zu starten. Naturkatastrophen passieren in Kuba zwar nicht wöchentlich, aber doch sehr regelmäßig und deren Auswirkungen merken wir noch Jahre später. Die Regierung schert sich nicht darum, deswegen wollen wir die Aufmerksamkeit der Kubaner auf das Thema lenken, damit sie darüber nachdenken, wie sie sich für eine Katastrophe wappnen können.

Was wünschen Sie sich für die kubanischen Medien?
Mein Ideal wäre, dass der Artikel 53 wegfällt und tatsächliche Pressefreiheit nach Kuba kommt – also die Möglichkeit für uns alle, unseren Job ohne Druck und Angst auszuüben. Aber das wird sehr, sehr lange dauern.

Elaine Díaz
29, ist eine kubanische Journalistin und Bloggerin. Sie startet im Oktober ihre Website Periodismo de Barrio über Naturkatastrophen und deren Folgen in Kuba. Sie war eine von zehn kubanischen Journalist*innen, die mit Hilfe der taz-Panterstiftung im September auf einem Workshop in Berlin war.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren