Berlinale | Nummer 597 - März 2024

Applaus für die Filme, nicht fürs Drumherum

Das lateinamerikanische Kino war auch auf der 74. Berlinale ein Lichtblick – im Gegensatz zum Gesamtzustand des Festivals

Von Dominik Zimmer

Jung und innovativ, frech und kritisch: Die lateinamerikanischen Filme der Berlinale 2024 zeigten wieder einmal deutlich, in welcher Hochphase sich aktuell das Kino des Subkontinents befindet. Ob gut beobachtete Dokumentationen wie Oasis über die Proteste in Chile, einfühlsame Jugendfilme wie Raíz oder frische und unbekümmerte Kurzbeiträge wie Aguacuario oder Lapso – auf allen Ebenen konnten die Filmemacher*innen von Mexiko bis Argentinien punkten. Das schlug sich auch in der Preisvergabe nieder.

Den Goldenen Bären für den besten Kurzfilm schnappte sich der Argentinier Francisco Lezama mit Un movimiento extraño (An Odd Turn), in dem er die Suche einer jungen Frau nach Glück in der Liebe und im Beruf mithilfe eines Pendels verfolgt. Das zweite Preis-Highlight war der Silberne Bär für die beste Regie des Wettbewerbs für den Film Pepe. Der dominikanische Regisseur Nelson De Los Santos Arias verleiht in diesem mutigen und wilden cineastischen Stilmix den Flusspferden des kolumbianischen Drogenbarons Pablo Escobar eine antikoloniale Stimme. Auch in der Sektion Encounters ging der Preis für die beste Regie nach Lateinamerika: Juliana Rojas (Brasilien) gewann mit ihrem wunderschön warmherzigen Episodenfilm Cidade; Campo die Herzen der Jury und der Zuschauer*innen. Gezeigt werden dort Außenseiter*innen, die unter schwierigen Bedingungen vom Land in die Stadt und umgekehrt migrieren und sich dabei gegen Widerstände durchsetzen. Begeistern konnte auch Antonella Sudasassi Furniss (Costa Rica) mit der Doku-Fiction Memories of a Burning Body. Ihre poetische und berührende Visualisierung der Lebens- und Liebesgeschichten älterer lateinamerikanischer Frauen gewann völlig zu Recht den Panorama Publikumspreis.

Zum Glück schafften es die Filme der Berlinale so wieder einmal, die Misstöne in der Organisation des Festivals zu überdecken. Und davon gab es leider einige: Die Arbeitsbedingungen für Journalist*innen wurden durch eine Erhöhung der Akkreditierungsgebühr und vor allem durch eine völlig unverständliche Zugangseinschränkung für die Pressevorführungen erschwert. Seit diesem Jahr dürfen nur noch akkreditierte Journalist*innen vorab die Filme im Kino sehen. Das macht die Arbeit für ein Redaktionskollektiv wie LN nicht einfacher.

Schockierend war auch, dass Vertreter*innen der AfD offizielle Einladungsschreiben für die Berlinale erhielten und erst heftige Proteste von Filmschaffenden und der Zivilgesellschaft nötig waren, damit sie wieder ausgeladen wurden. Eine Partei, die Abschiebungen, Queerfeindlichkeit und offenen Rassismus propagiert, hat nichts zu suchen auf einem Festival, das sich Vielfalt und Akzeptanz diverser Lebensrealitäten auf die Fahne schreiben möchte.

Dieser Anspruch darf allerdings beim Blick auf die Preisvergabe zum wiederholten Male in Zweifel gezogen werden: Wenn ein Film wie L’Empire (Frankreich) nicht nur für den Wettbewerb ausgewählt wird, sondern dort auch noch einen wichtigen Preis gewinnen darf, schadet das dem Ansehen der Berlinale. So hat Schauspielstar Adèle Haenel (Porträt einer jungen Frau in Flammen) den Film mit dem durchaus berechtigten Verweis auf dessen „dunklen, sexistischen und rassistischen“ Inhalt kritisiert. Daher war sie auch während des Drehs ausstiegen.

Vielleicht ist es deshalb gut, dass sich etwas ändert. Ab nächstem Jahr wird die Amerikanerin Tricia Tuttle als erste Frau die alleinige Leitung des Festivals übernehmen und mit dem Blick von außen hoffentlich notwendige Verbesserungen anstoßen.

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