Mexiko | Nummer 355 - Januar 2004

Auf der Suche

Die EZLN und ihre Bündnispartner

Fast von Beginn an hat die Beziehung zwischen der EZLN und ihren Bündnispartnern in der Zivilgesellschaft – linke Basisorganisationen, unabhängige SympathisantInnen der Zapatisten, demokratische Bauern- und Gewerkschaftsorganisationen – unterschiedlichste Phasen durchlaufen, die von Momenten der Annäherung und des Enthusiasmus, aber auch der teilweisen Distanzierung und gegenseitigen Entzauberung geprägt waren.

Kristina Pirker, Rubén Rivera

Was 1994 die Angriffe des mexikanischen Militärs auf die zapatistische Zivilbevölkerung und die Milizen aufhielt – und dabei sowohl die Guerrilla als auch die Regierung überraschte – war die Massendemonstration vom 12. Januar in Mexiko-Stadt. Die Menschen strömten zu hunderten und tausenden auf den Zócalo um das Ende des Krieges zu fordern. Viele waren unorganisiert und spontan auf die Straße gegangen, andere wiederum stammten aus den unabhängigen, linken Organisationen, die im Laufe der 80er und 90er Jahre begonnen hatten, die Hegemonie der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) über die unterprivilegierten Klassen in Frage zu stellen.

Volksfront gegen die PRI
Teile und herrsche war über Jahrzehnte ein bewährtes Rezept für die PRI, um ihre Herrschaft zu sichern und Oppositionsbewegungen unter Kontrolle zu halten. Durch die Kombination unterschiedlicher Herrschaftsmechanismen – ausgehandelter Interessenausgleich, Integration einzelner sozialer Forderungen in Regierungsprogramme, Kooptierung potenzieller Oppositionskräfte ins System und selektive Repression – konnte die Herausbildung einer breiten Opposition zur Staatspartei vermieden werden. Ob StudentInnenbewegung 1968 oder Guerillabewegungen in den Bundesstaaten Guerrero und Oaxaca, nie erlangte eine einzelne Gruppe über den eigenen Sektor oder Bundesstaat hinaus einen relevanten politischen Einfluss.
Die zapatistische Rebellion und der Aufruf des Subcomandante Marcos zu einer breiten Front des Widerstandes gegen das „System der Staatspartei“ boten nun einen Anlass für unzählige Organisationen, sich zu einer Oppositionsfront zusammenzufinden. Die ZapatistInnen erschienen als politischer Anknüpfungspunkt und Beispiel für das eigene politische Handeln. Für die ZapatistInnen wiederum wurde die nationale und internationale Solidarität zu einem wichtigen Druckmittel, um das Vordringen des Militärs aufzuhalten und die Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen.
In diesem Zusammenhang starteten die ZapatistInnen eine Reihe von Initiativen zur Gründung breiter sozialer Allianzen gegen die Regierung der PRI. Allerdings waren weder dem Demokratischen Nationalkonvent (CND), gegründet im August 1994, noch der Nationalen Befreigungsbewegung (MLN) aus dem Jahr 1995 ein langes Leben beschieden. Zu unterschiedlich waren die Organisationen, die sich in diesen Allianzen zusammenfanden in Bezug auf soziale Zusammensetzung, Perspektiven und politische Ziele.
Im Januar 1996 gab die EZLN als neuerliche Organisationsalternative für die „Zivilgesellschaft“ die Gründung der Zapatistischen Front der Nationalen Befreiung (FZLN) bekannt. Diese Organisation verstand sich als zivile, nicht parteigebundene Organisation, deren politischer Bezugspunkt die Programmatik der chiapanekischen Guerrilla war. Bei diesem bisher letzten Versuch eine direkt von der EZLN beeinflusste Organisation aufzubauen, dürfte auch der Gedanke mitgespielt haben, nach einem eventuellen Friedensschluss über zivile politische Strukturen auf nationaler Ebene zu verfügen.

Vom „bewaffneten Reformismus“ zur Indígenalobby?
Zu diesem Friedensschluss kam es aber nicht. Verschiedenste Ereignisse, wie die Verhärtung der Regierungposition in Bezug auf die Forderungen der EZLN, die steigende Präsenz von Paramilitärs in den zapatistischen Zonen, mit dem brutalen Höhepunt des Massakers von Acteal im Dezember 1997, und die Weigerung des Präsidenten Ernesto Zedillo, den Gesetzesvorschlag der parlamentarischen Kommision für die Befriedung (Cocopa) über die Rechte der Indígenas anzunehmen, brachten die ZapatistInnen dazu die Verhandlungen mit der mexikanischen Regierung abzubrechen und auf eigene Faust die Autonomie in den von ihnen kontrollierten Zonen durchzusetzen. Andere gesamtgesellschaftliche Forderungen, wie Land, Arbeit, Erziehung, Gesundheit und Wohnungen für alle MexikanerInnen, die in der ersten Deklaration der Selva Lacandona noch gleichzeitig mit der Durchsetzung der Rechte der indigenen Bevölkerung genannt worden waren, begannen im zapatistischen Diskurs allmählich zu verblassen.
In all diesen Jahren waren es aber immer wieder die Massendemonstrationen sowie die nationalen und internationalen Protestaktionen, die die Regierung zum Rückzug zwangen und den ZapatistInnen eine Atempause verschafften. Aus diesen positiven Erfahrungen mit den spontanen Demos auf der einen Seite und dem Scheitern der Bündnisse und Netzwerke á la CND, MLN oder FZLN auf der anderen Seite, dürften die ZapatistInnen den Schluss gezogen haben, sämtliche Bestrebungen, ein breites Bündnis der Linken auf nationaler Ebene aufzubauen, ihrem Schicksal zu überlassen. Stattdessen wurde nun die auf der nationalen und internationalen Ebene gewonnene politische Autorität zu Gunsten der Autonomiebestrebungen der mexikanischen Indígenas eingesetzt und zum Schutz der eigenen sozialen Basis in Chiapas.
Druck auf die beiden Kammern des mexikanischen Kongresses auszuüben, um doch noch die Annahme des Gesetzesvorschlags der Cocopa durchzusetzen, war daher auch das erklärte Ziel der zapatistischen Comandantes bei ihrem Marsch von Chiapas nach Mexico-Stadt im Februar 2001. Eingekreist vom Militär und bedroht vom Vergessen, setzte die zapatistische Leitung alles auf eine Karte: ein Marsch in die Hauptstadt, um die Militär- und Informationsblockade zu durchbrechen und damit die politischen Voraussetzungen für ein Friedensabkommen zu schaffen. Unzählige Menschen, vor allem Jugendliche, kamen auf die Versammlungen der ZapatistInnen, um sich ihre Vorschläge in Bezug auf Selbstverwaltung, Rechte der Indígenas und Autonomie anzuhören. Aber die EZLN sah ihre Funktion nicht darin, all diesen Leuten eine politische Alternative anzubieten: „Wir sind nicht das, was ihr sucht, wir sind selber auf der Suche.“ sagte der Subcomandante Marcos am 11. März in seiner Rede vor 200.000 Menschen auf dem Zócalo.
Die Unterstützung und Solidarität, die die Comandantes auf ihrer Reise durch Mexiko empfangen haben – zu einem Zeitpunkt als die zapatistische Bewegung schon fast als vergessen galt – zeigt, dass die ZapatistInnen mit ihrem Diskurs, der die Ausbeutung und Entfremdung kritisiert und ein würdiges Leben einfordert, den Finger in eine offene Wunde legen und immer wieder viele Menschen ansprechen können. Ohne Organisierung ist die Gefahr jedoch groß, dass diese Unterstützung wieder verfliegt.
Aus diesem Grund ist es wichtig für die ZapatistInnen, den Kontakt zur nationalen und internationalen Öffentlichkeit nicht zu verlieren. Statt sich mit den organisierten Teilen der radikalen sozialen Bewegungen Mexikos und Lateinamerikas, mit deren Widerstandstraditionen und politischer Geschichte auseinanderzusetzen, geht es immer mehr darum, nationale und internationale „opinion leaders“ (JournalistInnen, Intel ektuelle, KünstlerInnen, etc.) zu beeinflussen, die wiederum politisch unorganisierte, aber prinzpiell interessierte Menschen, für den Zapatismus gewinnen können. In diesem Zusammenhang machte schon 1999 Teresa del Conde, mexikanische Kunstkritikerin und Teil der intellektuellen Elite, auf einen Widerspruch im zapatistischen Diskurs aufmerksam: dass nämlich die ZapatistInnen zwar immer wieder mit der nationalen und internationalen Solidarität rechnen um die Sicherheit ihrer sozialen Basis in Chiapas zu gewährleisten, selbst aber nur höchst allgemein und vage für andere Bewegungen (in Lateinamerika oder anderswo) eintreten.

Die Politik der Autonomie
Anstatt nationale und internationale Bündnisse auf einer programmatischen Basis zu schmieden, geht es der EZLN heute eher darum die lokale Selbstverwaltung – die caracoles (Schneckenhäuser) – aufzubauen und damit all denen, die sich dafür interessieren ein Beispiel zu geben, wie Autonomie in einem örtlich begrenzten Zusammenhang funktionieren kann. Mit Recht kann man wohl sagen, dass das „¡Ya Basta!“ der zapatistischen Rebellion von 1994 zu einem der ersten Rufe gehört, die die Ruhe und Zufriedenheit der neoliberalen ModernisiererInnen, nicht nur in Mexiko, störten.
Inzwischen hat sich aber einiges geändert. Die Krise der Landwirtschaft, zusammen mit der Freihandelspolitik der NAFTA und den drohenden Privatisierungen, haben zu neuen Bündnissen geführt, die von Bauern- und Gewerkschaftsorganisationen getragen werden. Das zeigte sich zuletzt auf der großen Demo gegen die Privatisierung des Energiesektors, die von den Gewerkschaften organisiert wurde und zwischen hundert- und hundertvierzigtausend Menschen auf die Straße brachte. In diesen neuen Bewegungen, die das Ende des politischen Grundkonsenses über die neoliberalen Reformen in Mexiko zumindest andeuten, ist der Zapatismus praktisch nicht präsent. Die Kampagne „EZLN-10/20“, um die Gründung der EZLN und den Aufstand von 1994 zu feiern, hat bisher mehr Aufmerksamkeit in den Universitäten und bei den intellektuellen, linken Mittelschichten geweckt als bei den unabhängigen Basisorganisationen.

EZLN bleibt bedeutsam
Dennoch, auch wenn die EZLN nicht mehr über die starke politische Anziehungskraft verfügt, wie noch vor ein paar Jahren, hat sie ohne Zweifel ihre Spuren hinterlassen. Die Idee der Autonomie – ob diese nun als Selbstverwaltung, Kontrolle über die eigenen Ressourcen oder Hindernis für das Schalten und Walten des internationalen Kapitals verstanden wird – ist Bestandteil der Erklärungsmuster geworden, mit denen Widerstand und Protest gerechtfertigt werden. Und obwohl die Indígenabewegung in Mexiko nicht dieselbe Stärke und Präsenz aufweist wie zum Beispiel in Bolivien oder Ecuador, ist sie in diesen zehn Jahren, nicht zuletzt dank des Einflusses der EZLN, zu einem politischen Akteur geworden.
Ohne Zweifel ist sowohl die zapatistische Guerrilla als bewaffneter Arm der Indígenagemeinden in den Altos de Chiapas, als auch der zivile Zapatismus außerhalb von Chiapas zu einem nicht mehr wegzudenkenden Element der mexikanischen Widerstandsbewegungen gegen die neoliberale Politik geworden.
Die Dynamik dieser Bewegungen – wie zuletzt im Rahmen der Proteste gegen die drohende Privatisierung der Energieunternehmen – wird allerdings nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren, von den Initiativen und Vorschlägen der ZapatistInnen mitbestimmt.

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