Basisprojekte auf Jamaica
Rastafaris als InitiatorInnen sozialen Fortschritts
Die BPCA – Gemeindeprojekt in Bluefields
Bluefields ist ein kleiner Ort in Westmoreland im Südwesten Jamaicas. Fischfang bildet die Haupteinkommensquelle. Vom wachsenden Tourismus profitieren in erster Linie ausländische – bzw. nicht ortsansässige Investoren. Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten sind dem-entsprechend rar gesät.
Bis 1980 gab es in Bluefields eine kleine Klinik. Nach dem Ende des “Demokrati-schen Sozialismus” durch den Wahlsieg Edward Seagas über Michael Manley wurde sie dem Verfall preisgegeben. Um diesem bedauerlichen Zustand abzuhelfen, trafen sich seit 1989 MitgliederInnen der Gemeinde, um in einer Serie von öffentlichen Meetings über die zukünftige Verwendung zu diskutieren. Die Diskussion führte schließlich zur Gründung der Bluefields People Communication Association (BPCA). Zum Direktor des inzwischen 16köpfigen Managements, darunter 7 Frauen, wurde der 37jährige Rastafari Terry Williams gewählt. Terry Williams war mit zwölf Jahren nach Großbritannien ausgewandert. Als Erwachsener kehrte er nach Jamaica zurück. Die dort vorgefundene Situation ließ für ihn soziales Engagement unabdingbar erscheinen und in Bluefields sah er ein sinnvolles Betätigungsfeld. Nach dem gewonnenen Rechtsstreit mit dem Westmoreland Parish Council (Distriktsre-gierung) bezüglich des Gebäudes und dem Erhalt eines Mietvertrages, konnte flugs mit den Renovierungsarbeiten begonnen werden. In einem Treffen mit Trevor Spence von der Canadian Cooperation Office konnte Terry Williams eine finan-zielle Unterstützung des Gemeindepro-jekts durch die Canadian High Commis-sion erreichen. Die erforderlichen Bau-maßnahmen konnten so finanziert werden, und der Eröffnung am 5. Juni 1991 stand nichts mehr im Wege.
Programme des BPCA
Als erstes Programm wurde das Early Childhood Education Program (ECEP) gestartet. Dieses kostenlose Trainingsprogramm soll Mütter auf mehreren Gebieten unterstützen. Erziehungsratschläge, Mutterschaftsberatung sowie die Herstellung von Spielzeug aus Abfällen (z.B. Autos aus Tetra Paks) stehen dabei im Mittelpunkt. Organisiert wird das Programm vom Women’s Comittee. Bisher noch auf Bluefields begrenzt, soll das Programm in naher Zukunft auf die umliegenden Gemeinden ausgeweitet werden. Der Bedarf ist groß, zumal die jamaicanischen Mütter oft selbst noch sehr jung sind.
Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten sind für Frauen in Bluefields so gut wie überhaupt nicht vorhanden. Grund genug, im März 1992 eine Nähkooperative zu initiieren. Waren es anfangs lediglich drei Nähmaschinen, so sind es inzwischen acht. Gestiftet wurden sie von der jamaicanischen Entwicklungsorganisation United Way, denn Geld ist weiterhin knapp. So erhalten die ausschließlich weiblichen Näherinnen auch keinen Lohn. Die Möglichkeit ein nützliches Handwerk zu lernen, bietet anscheinend genügend Anreiz, so daß, wenn auch mit unterschiedlicher Präsenz, zwischen 10 und 15 Mädchen und Frauen täglich in der Kooperative tätig sind. Im Produktionssortiment spielten ursprünglich Strandtaschen die Hauptrolle. Inzwischen ist die Produktion von Schuluniformen das Kernstück. Ergänzend werden Topflappen, Mützen und Kinderkleider hergestellt.
Die Grundziele der BPCA sind mit der Entwicklung eines kritischen Bewußtseins und sich selbst tragender ökonomischer Betriebe umschrieben. In diesem Kontext steht auch das Permaculture-Projekt. Permaculture ist ein landwirtschaftliches Konzept, das sich beim Bemühen um Energieoptimierung an den natürlichen Stoffkreisläufen und Energieflüssen orientiert. Um dieses Projekt durchführen zu können, werden im Moment Verhandlungen mit der Regierung zwecks Landzuteilung geführt. Bisher wurden schon Fortbildungsprogramme für InteressentInnen angeboten und frequentiert.
Langfristige Projektziele
Bis 1996 sind noch mehrere Vorhaben anvisiert. Die Errichtung eines Marktplatzes in unmittelbarer Nähe des Gemeindehauses genießt dabei Priorität. Um Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, sind eine Krabben- und eine Hummer-Farm sowie eine Fischer-Kooperative geplant. Eine Volkshochschule (Community College) soll die Bildungsmöglichkeiten verbessern und last but not least soll eine Kreditgenossenschaft Finanzierungsmöglichkeiten für neue gemeinsame Projekte schaffen.
Rasta-Schule als Bildungsalternative
Als Alternative zu den öffentlichen Schulen erfreuen sich private Rasta-Schulen mittlerweile immer größerer Beliebtheit. Zum einen sind die öffentlichen Schulen in manchen abgelegenen Regionen nur schwer zu erreichen, so daß trotz Schulpflicht viele Kinder dem Schulbesuch nicht nachkommen, zum anderen vermitteln die Rasta-Schulen begehrte praktische Kenntnisse (z.B. Kräuterkunde, Trommeln).
Die Content Model School im Nordosten Jamaicas nahe des Küstenortes Hope Bay hat dabei bereits überregionalen Ruf erlangt. Erst 1989 von der USA-Rückkehrerin und Rasta-Frau Sista P. gegründet, haben ihre SchülerInnen bereits dreimal den nationalen Schulmusikwettbewerb sowohl im Bereich der Musikaufführung als auch beim Trommelwettbewerb gewonnen. Drei Mitglieder der fünfköpfigen Trommelgruppe haben inzwischen gar eine Einladung von der Harlem School of Arts in New York erhalten.
Wenngleich die Leistungen auf musikalischem Gebiet allgemeine Akzeptanz erfuhren, verweigert das jamaicanische Erziehungsministerium dem Abschluß der Content Modell School seine Anerkennung. Begründet wird dies mit den abweichenden Lehrinhalten der Schule. Im Geschichtsunterricht wird dort vornehmlich afrikanische und karibische Geschichte gelehrt, weil darin die Voraussetzung für die Entwicklung schwarzen Selbstbewußtseins gesehen wird. Ein krasser Gegensatz zu den öffentlichen Schulen, in denen die jamaicanischen Kinder absurderweise hauptsächlich mit englischer Geschichte traktiert werden.
Die Finanzierung der Schule verläuft bisher größtenteils über private Spenden meist ausländischer Provenienz. So wurde die erste in Content tätige Lehrerin über einen jamaicanischen Freund von Sista P. in New York finanziert. Jährlich werden etwa 20.000 US-Dollar benötigt, um den Schulbetrieb aufrecht zu erhalten.
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Geschichte der Rastafari-Bewegung
300.000 Menschen auf Jamaica, 700.000 weltweit werden der Rastafari-Bewegung zugerechnet. Rasta ist, wer sich als Rasta fühlt. Angesichts dieser Subjektivität sind sowohl die eben genannten Zahlen, als auch die folgende Verwendung des Begriffs Rastafari-Bewegung mit Vorsicht zu genießen.
Die Rastafari-Bewegung nahm 1930 ihren Anfang. Am 2. November jenen Jahres wurde in Äthiopien der einer Adelsfamilie entstammende Ras Tafari Makonnen zum Kaiser Haile Selassie (Macht der Dreieinigkeit) gekrönt. Mit den Worten “Schaut nach Afrika; auf die Krönung eines schwarzen Königs; er wird der Erlöser sein” soll der Verfechter der “Back to Africa”-Ideologie, Marcus Mosiah Garvey, dieses Ereignis im Jahre 1914 auf Jamaica prophezeit haben. Im selben Jahr wollte Garvey mit der Gründung der Universal Negro Improvement Association (UNIA) den Interessen der “schwarzen Rasse”, insbesondere der Rückkehr nach Afrika, zur Durchsetzung verhelfen. Seine AnhängerInnen in Jamaica sahen in Haile Selassie den ersehnten schwarzen Messias, der die Rückkehr ins gelobte Land Afrika ermöglichen werde. Genährt wurde dieser Glaube von Haile Selassie insofern, als er sich mit biblischen Namen schmückte (“König der Könige”, “Löwe vom Stamme Juda”) und sich zudem als direkten Nachkommen König Salomos auswies.
Diesen biblischen Bezügen zufolge, wird der Rastafarianismus in die millenarisch-messianischen Bewegungen eingeordnet. Die religiösen Überzeugungen der Rastas, ihre Symbole und Rituale sind dabei aus der Bibel des “schwarzen Mannes”, der “Holy Piby”, abgeleitet, die der ursprünglichen, in der äthiopischen Schriftsprache Amharisch abgefassten, Bibel am nächsten käme. Die originäre Bibel sei vom “weißen Mann” verfälscht worden, um die Minderwertigkeit der Schwarzen und deren Versklavung zu legitimieren. Nach 300 Jahren Unterdrückung durch die Weißen hielten die Rastas mit der Krönung Haile Selassies die Zeit der Erlösung und der Rückkehr nach Afrika für gekommen.
Der Rastafarianismus ist indes mehr als Religion und besser als sozioreligiöse Bewegung zu verstehen. Das Spektrum reicht von streng religiös orientierten Sekten bis hin zu sozialem Wandel verpflichteten Organisationen. Insgesamt bestimmt anstelle des “Back to Africa” inzwischen das Motto “Liberation before migration” (Befreiung vor Auswanderung) das Denken der Mehrzahl der Rastas.
Seinen starken Einfluß auf die jamaicanische Gesellschaft und die Expansion der Bewegung auf die USA, Großbritannien, Kanada und die ostkaribischen Inseln, läßt sich vor allem dadurch erklären, daß der Rastafarianismus mit der Rückbesinnung auf afrikanische Traditionen und dem Aufbau schwarzen Selbstbewußtseins dem Bedürfnis der unterdrückten “schwarzen Massen” nach Selbstwert, Ausdruck verleiht. Dieser Ausdruck findet sich insbesondere im Bereich der Musik (Reggae), Malerei und Literatur auf Jamaica, in denen die Rastafaris eine herausragende Stellung einnehmen. In den anderen Ländern, in denen der Rastafarianismus Verbreitung gefunden hat, spielt in erster Linie der Protest eine Rolle – Rastafari als sozialkritische Weltanschauung, die die bestehende Gesellschaftsordnung ablehnt, weil sie eine wachsende Anzahl von Menschen ins gesellschaftliche Abseits drängt.
M.L.