Berliner Aufruf
Der Hurrikan Mitch ist vorbei – wie lange soll das Elend noch bleiben?
Die Bilder und Berichte über verschüttete Menschen, zerstörte Städte und Straßen und vernichtete Ernten, die der Hurrikan Mitch in Mittelamerika hinterließ, haben die Weltöffentlichkeit erschüttert. Politische und strukturelle Gründe führten dazu, daß aus dem Wirbelsturm und den sintflutartigen Regenfällen eine Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß wurde:
* Die verantwortungslosen Regierungen Mittelamerikas haben die Sturmwarnungen ignoriert, beziehungsweise das Ausmaß der sich anbahnenden Katastrophe heruntergespielt. Nirgendwo wurden rechtzeitig Evakuierungsmaßnahmen eingeleitet.
* Elendsviertel, die von der armen Bevölkerung in Ermangelung sicherer Wohnstandorte errichtet worden sind, wurden weggefegt, beziehungsweise weggschwemmt.
* Die extrem ungleiche Bodenverteilung in Mittelamerika hat die Kleinstbauern und -bäuerinnen seit Generationen in Hanglagen vertrieben, die ungeeignet sind für den Anbau von Grundnahrungsmitteln. Jahr für Jahr sind sie Opfer der Erosion. Hurrikane und Erdrutsche vernichten ihre Existenz auf einen Schlag.
Schnell werden Mitch und seine Folgen anderen Katastrophennachrichten weichen. Die verheerenden Konsequenzen zwingen aber dazu, den Wiederaufbau, der in Honduras einem Neuaufbau gleichkommt, so zu gestalten, daß beim nächsten Wirbelsturm, Erdbeben oder Vulkanausbruch nicht das gleiche oder Schlimmeres passiert.
Der Wiederaufbau muß folgendes gewährleisten:
* Grundlage muß ein umfassender Schuldenerlaß für die betroffenen Länder Honduras, Nicaragua, El Salvador, Guatemala und den mexikanischen Staat Chiapas sein. Entschuldungsmaßnahmen sind daran zu messen, ob damit den Opfern des Hurrikans und der Flutkatastrophe die Schuldenlast genommen wird.
* Zivil- und Katastrophenschutz, sowie die Wetterdienste müssen so ausgebaut werden, daß gefährdete Bevölkerungsgruppen rechtzeitig gewarnt und evakuiert werden können. Die Frühwarnsysteme müssen schnell und wirkungsvoll funktionieren. Ihre Arbeit darf nicht politisch manipulierbar sein.
* Die Produktion von Grundnahrungsmitteln und vor allem die Subsistenzwirtschaft müssen weg von den Hanglagen, beziehungsweise es muß dort in einer Weise produziert werden, die Erosion verhindert.
Dazu bedarf es
* Maßnahmen der Vegetationserneuerung und des standortgerechten Landbaus sowie entsprechender ErzeugerInnenpreise und einer direkten Unterstützung für die Menschen, die Hanglagenwirtschaft betreiben;
* einer Umverteilung von Land, damit die Subsistenzbauern und -bäuerinnen und die ProduzentInnen von Grundnahrungsmitteln ausreichend große Flächen zur Verfügung gestellt bekommen, um ökologisch nachhaltig und einen angemessenen Lebensunterhalt garantierend, produzieren zu können.
* In den Städten darf nicht länger zugelassen werden, daß Menschen an Stellen wohnen müssen, die dafür ungeeignet sind. Zu einer Reform der urbanen Siedlungspolitik und der Stadtplanung gehört unabdingbar, daß nicht nur sichere Standorte für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden, sondern, daß die Wohnungen bezahlbar sind und die BewohnerInnen Zugang zu Arbeitsplätzen und Möglichkeiten der Ausübung von Kleingewerbe bekommen.
* Der Wiederaufbau der Infrastruktur muß den Schutz vor Flut- und anderen Katastrophen ins Zentrum stellen und nicht das betriebswirtschaftliche Kalkül der Privatwirtschaft. Vorrangig sind Dämme, Drainagen, Hochwasserschutz, sowie ländlicher Straßen- und Wegebau.
Wir fordern die Bundesregierung, die anderen bi- und multilateralen sowie die nichtstaatlichen Geldgeber dazu auf, beim Wiederaufbau dafür Sorge zu tragen, daß die oben genannten Maßnahmen und Bedingungen erfüllt werden. Insbesondere warnen wir Weltbank, Interamerikanische Entwicklungsbank und den Internationale Währungsfonds (IWF) davor, die Katastrophe für eine Verschärfung ihres Strukturanpassungskurses zu mißbrauchen.
Nur ein Wiederaufbau, bei dessen Planung und Durchführung die Betroffenen selber sowie Nichtregierungsorganisationen beteiligt werden, kann einen Beitrag dazu leisten, daß die nächste Katastrophe nicht wieder die gleichen verheerenden Folgen hat.
Berlin, den 15. November 1998
Erstunterzeichnende:
* Christliche Initiative Romero/CIR;
* El Salvador Gruppe im
Dritte Welt Haus Bielefeld;
* El Salvador Gruppen im
Kirchenkreis Süderdithmarschen;
* FIAN-Deutschland;
* Flüchtlingshilfe Mittelamerika e.V.;
* Informationsstelle El Salvador;
* INKOTA-netzwerk e.V.;
* Kaffeekampagne El Salvador;
* Lateinamerika-Arbeitskreis Düsseldorf;
* Ökumenische Arbeitsgruppe
„Gerechtigkeit und Frieden“;
* Ökumenisches Büro für Frieden und
Gerechtigkeit e.V.;
* Ökumenische Initiative Mittelamerika e.V.;
* Paulo Freire Gesellschaft e.V.;
* Zentralamerika Sekretariat/ZAS Schweiz