BILDUNGSPROJEKTE FÜR DEN FRIEDEN
Interview mit Vania Ruiz von der Hilfsorganisation Casa Refugiados
Worin genau besteht die Arbeit von Programa Casa Refugiados, seitdem die Karawanen ankommen?
Programa Casa Refugiados arbeitet mit einem Netzwerk aus verschiedenen regionalen Gruppen zusammen. Bevor die Karawanen in Mexiko-Stadt ankommen, sprechen wir uns mit unserem Team in Tapachula ab, um einzuschätzen, wie die Lage an der südlichen Grenze ist. In Mexiko-Stadt arbeiten wir an drei verschiedenen Orten mit verschiedenen Anknüpfungspunkten. Der erste und wichtigste Anknüpfungspunkt: Wir informieren diejenigen über ihre Rechte, die den Status als Geflüchtete erhalten können. Dafür haben sich legale Wege eröffnet, die es vorher nicht gab. Diese Information ist deshalb so wichtig, weil viele dieser Menschen die Gewalt in ihren Heimatländern normalisieren und nicht wissen, dass sie ein Profil haben, das den Anspruch auf Aysl begründet. Wir begleiten die Personen, um die Dokumente für einen regulären Aufenthalt zu beantragen und integrieren sie in das kulturelle Programm von Casa Refugiados.
Wie sehen die Projekte für Geflüchtete aus?
Programa Casa Refugiados wurde gegründet, um Bildungsprojekte für den Frieden zu schaffen. Hier im Park Ramón López Velarde ist unser Projekt La Casita – ein Ort, an dem Zusammenkünfte mit den Menschen ermöglicht werden, die langfristig als Geflüchtete in Mexiko leben. Es ist sehr innovativ, es hat eine neue Perspektive in Gender-Fragen eröffnet. Die Mehrheit der Beteiligten sind Frauen aus Zentralamerika, die sich kennenlernen, zusammen arbeiten und einander unterstützen. Das Wissen aus ihren persönlichen Erzählungen erreicht auch die kommenden Generationen und stärkt das Bewusstsein für das Recht auf kulturelle Teilhabe.
Unser Ziel ist es, dass mehr Leute La Casita kennenlernen und sich der historischen Bedeutung dieses Ortes – ihres eigenen Raums – bewusst werden. Es ist kein neuer Ort, denn er hat in den vergangenen Jahren bereits vielen anderen Menschen mit anderen Lebensumständen als Obdach gedient. Eine Art kollektive Identität zu schaffen, ist uns sehr wichtig.
Was bietet La Casita konkret an?
Wir bieten ein wöchentliches Kulturprogramm an: Theaterstücke, Kino und Musikveranstaltungen. Die Leute würden sich sonst nur zwischen ihrer Unterkunft und der Asylbehörde bewegen. Es gibt auch einen Workshop zum Thema Arbeit. Hier informieren wir die Geflüchteten über ihre Rechte und darüber, welche Dokumente für den Anspruch auf Sozialleistungen benötigt werden. Das ist wichtig, denn erst seit Kurzem ist es auch für Asylbewerber möglich, sich offiziell registrieren zu lassen, um legal arbeiten und Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können. Zuvor war dies nur für Personen mit anerkanntem Asyl möglich. Wir müssen auch der mexikanischen Gesellschaft und den Arbeitgebern deutlich machen: Einwanderer haben diese Rechte.
Wie findet diese Sensibilisierung statt? Wie nimmt die Bevölkerung die aktuellen Karawanen wahr?
Die Sensibilisierung beginnt bei lokalen Akteuren, und geht über Schulen und Universitäten bis hin zur Regierung. Kürzlich hat ein 5-Kilometer-Lauf mit Geflüchteten stattgefunden, der von Studierenden organisiert wurde. Auch wenn die Wirkung von solchen Projekten vielleicht zunächst unterschätzt wird, muss man bedenken: diese jungen Leute arbeiten später in der Regierung oder in direkter Zusammenarbeit mit den betroffenen Personen.
Leider wurde über soziale Medien auch teils eine feindselige Stimmung hervorgerufen. Es ist daher besonders wichtig, dass die richtigen Räume gefunden werden, um unsere Botschaften zu vermitteln, damit es nicht zu fremdenfeindlichen oder rassistischen Angriffen kommt.
Die Karawanen gibt es bereits seit längerer Zeit. Unterscheiden sich die aktuellen von den vorherigen?
Wurden vorher Migrationsentscheidungen allein oder innerhalb der Familie getroffen, entscheiden sich nun immer mehr Menschen dazu, in Gruppen aufzubrechen. Diese Gruppen sind sehr heterogen – sie kommen aus Honduras, Guatemala und auch aus Nicaragua. Jedes Kollektiv hat seine eigene Dynamik. Uns ist auch aufgefallen, dass viele Frauen keine Leistungen in Anspruch nehmen können und sich Sorgen um ihre Sicherheit machen. Männer übergehen Frauen, wenn sie Hilfsleistungen in Anspruch nehmen. An diesen Problemen müssen wir arbeiten und sie für die kommenden Karawanen sichtbar machen. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir mit Frauen und Familien umgehen und an Themen wie der Sicherheit von Kindern und Jugendlichen ohne Begleitung arbeiten.
In den Medien wird oft vom Exodus statt Karawane gesprochen. Was denkst du über diesen Diskurswechsel?
Ehrlich gesagt bin ich der Meinung, dass es sich um einen Exodus handelt, der sich aktuell in Form einer Karawane zeigt. Der zentralamerikanische Exodus hat schon vor einigen Jahren begonnen. Dieses Jahr gab es innerhalb von acht Monaten 14.200 Anträge für den Erhalt des Status als Flüchtling. Die Menschen suchen neue Formen der Mobilität, dies geschieht nun in Gemeinschaft. Das Zusammenfinden im Kollektiv kann ein höheres Maß an Sicherheit, eine höhere Sichtbarkeit und die Aufmerksamkeit von Hilfsorganisationen bedeuten. Möglicherweise bietet die Kollektivität eine Art von Schutz.
Was bietet Mexiko-Stadt den Leuten, die bleiben?
Wir konzentrieren uns in Mexiko-Stadt vor allem auf die Personen, die bleiben wollen. 2012 wurde Mexiko-Stadt in Anlehnung an einige US-Städte zur „Zufluchtsstadt” ernannt. Es besteht inzwischen schon ein großes Angebot an Leistungen und Bereitstellungen von Rechten. Allerdings ist es noch ein langer Weg, um sich als Stadt komplett für diesen Status zu sensibilisieren.
Viele staatliche Institutionen erkennen auch jetzt noch nicht an, dass es Menschen gibt, die auf internationalen Schutz angewiesen sind und entsprechende Rechte haben. Das muss sich ändern, wenn wir wirklich von einer Zufluchtsstadt sprechen wollen. Die Kooperation zwischen den Unterkünften und den Universitäten funktioniert hingegen schon sehr gut, um Flüchtlinge aufzunehmen.
Wie organisieren sich solidarische Gruppen, um die Menschen beim Transit zu unterstützen?
Wir sind Teil eines Netzwerks, das sich REDODEM nennt, das Netzwerk von unterstützenden Organisationen für Migranten. Dieses Netzwerk deckt den Bereich vom Süden bis hin zum Norden Mexikos ab. Das Hauptziel ist es, die Flüchtlingsunterkünfte zu begleiten. Die Vernetzung ist sehr wichtig, denn es wäre keiner einzelnen Gruppe möglich, Migranten über die Grenzen der Bundesstaaten hinweg zu begleiten.
Der neue Präsident von Mexiko, Andrés Manuel López Obrador, ist für viele eine Hoffnung, ein Gegenpol zum Rechtsruck in Lateinamerika. Was sind die Erwartungen an ihn in Fragen der aktuellen Migrationspolitik?
Im Moment ist es schwierig, sich zu positionieren. In Zukunft wird es sehr wichtig sein, mit der Regierung auf lokaler und Bundesebene zusammenzuarbeiten, um im Rahmen der Menschenrechtsarbeit für die Personen einzustehen, die aufgrund von Gewalt aus ihren Ländern vertrieben worden sind.
Sobald die neuen Aufgaben der Migrations- und Asylbehörden bekannt sind, können wir kommende Entwicklungsprogramme kennenlernen und einschätzen. Dazu sollen Programme zur Inklusion von Vertriebenen, Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten gehören. Dass Leistungen als Gesetze festgesetzt werden, ist eine Sache; dass sie aber auch sinnvoll umgesetzt werden, eine andere.
Meiner Meinung nach ist es positiv zu bewerten, dass sich die Gesetzesgrundlage ändert. Dies gilt zwar nicht für alle institutionellen Räume, aber es ist nun möglich, zusammen mit anderen Organisationen daran zu arbeiten. Ein Beispiel: In Kooperation mit der Stadtregierung wurde ein offenes Treffen organisiert, bei der Herausforderungen der Karawane und Fragen zum Thema Integration besprochen wurden. Es ist ein gutes Zeichen, dass Organisationen, die auch nur Teile der Zivilgesellschaft einbeziehen, zur Besprechung solcher Fragen zu Rate gezogen werden, denn wir sind diejenigen, die den direkten Kontakt zu den betroffenen Personen haben.