Literatur | Nummer 269 - November 1996

Botschaften aus dem Lakandonischen Urwald

Ausgewählte Textsammlung der Zapatisten bei Edition Nautilus erschienen.

Dirk Pesara

“Also gut. Salud und guten Appetit. Die Lektüre ist eine Nahrung, die glücklicherweise nie sättigt.” (Subcomandante Marcos)
Mit den “Botschaften aus dem Lakandonischen Urwald” stellt Edition Nautilus wesentliche Schriften der mexikanischen Guerilla vor. Die Textauswahl umfaßt die Zeit vom Aufstandsbeginn bis zum 503. Jahrestag der Eroberung Lateinamerikas am 12.10.1995 und vermag auch ohne Begleitkommentare einen spannenden und lehrreichen Überblick über Ursachen und Verlauf der bewaffneten Rebellion zu vermitteln. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Anthologie politischer Pamphlete, sondern – und das macht den besonderen Reiz der Lektüre aus – um Literatur. Gerade dieser Aspekt, die brutale Beschreibung alltäglicher Erfahrungen und die humorvolle, oftmals selbstironische Bewertung aktueller Ereignisse, macht die Zeugnisse aus der Feder des Subcomandante Marcos so wertvoll. Offizielle Erklärungen der Generalkommandantur der EZLN, Grußworte an die Gründungsversammlung des Nationalen Demokratischen Konvents (CND) und die Internationale Solidarität, Briefe an SchriftstellerInnen und Gewerkschaften, Analysen über Wesen und Art des Neoliberalismus, Ausflüge zu Traditionen und Visionen indigener Völker und surrealistische Exkursionen des Zapatistensprechers bilden einen Lesestoff, der fasziniert und gleichzeitig zum Nachdenken anregt:
“Der Vizekönig träumt, daß sein Land von einem fürchterlichen Wind durchgeschüttelt wird. Daß ihm weggenommen wird, was er geglaubt hat. Daß sein Haus zerstört wird und das Reich, das er regiert, untergeht. Er träumt und kann nicht schlafen. Also geht der Vizekönig zu seinen feudalen Herren, und die sagen ihm, sie hätten dasselbe geträumt. Der Vizekönig findet keine Ruhe, er sucht seine Ärzte auf und die sagen ihm, es handele sich um indianische Hexerei. Und sie entscheiden, er könne sich nur mit Blut von diesem Fluch befreien. Und der Vizekönig befiehlt, zu töten und einzukerkern und baut mehr Gefängnisse und Kasernen und der Traum raubt ihm weiterhin den Schlaf. In diesem Land träumen alle. Es ist Zeit aufzuwachen. Der Sturm… den es gibt. Er wird geboren aus dem Zusammenstoß der Winde, schon naht seine Zeit, der Ofen der Geschichte wird angeheizt. Jetzt herrscht der Wind von oben, schon kommt der Wind von unten, schon naht der Sturm. So wird es sein. Die Prophezeiung… die es gibt. Wenn der Sturm nachläßt, wenn Regen und Feuer die Erde wieder in Frieden lassen, wird die Welt nicht mehr die Welt sein, sondern etwas Besseres.” (Subcomandante Marcos)
Nicht unerwähnt bleiben darf, daß das Autorenhonorar dem Solidaritätsfond des Geheimen Revolutionären Indigenen Komitees – Generalkomandantur der EZLN – zugeführt wird.

Subcomandante Marcos: Botschaften aus dem Lakandonischen Urwald. Edition Nautilus, Hamburg 1996, 250 Seiten, 29,80 DM (ca. 15 Euro)

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