Land und Freiheit | Nummer 368 - Februar 2005

Chávez verspricht eine „Agrarrevolution“

Kampf gegen den Großgrundbesitz in Venezuela

Mit einer Offensive im landwirtschaftlichen Bereich beginnt die Regierung Venezuelas nun verstärkt mit der Umsetzung des bereits 2001 erlassenen Landgesetzes. Präsident Chávez kündigte nicht nur eine Umverteilung von Agrarland an kleine ProduzentInnen an, sondern betonte zudem die Bedeutung von begleitenden Maßnahmen, wie beispielsweise Fortbildungsmaßnahmen und die Bereitstellung von Maschinen. Während die Opposition gegen eine solche Landreform mobil macht und sich GroßgrundbesitzerInnen bedroht sehen, fordern Landarbeiterorganisationen ein energisches und unbürokratisches Vorgehen der Regierung und die direkte Beteiligung der Organisationen im Kampf gegen Korruption und Ineffizienz.

Dario Azzellini

Dies ist ein historischer Tag: Das Land soll denen gehören, die es bearbeiten“, sagte Hugo Chávez Anfang Januar vor 10.000 KleinbäuerInnen in Caracas. Dort unterzeichnete der venezolanische Präsident ein Dekret zur Gründung einer Kommission für eine Landreform, die die Besitzverhältnisse und den brachliegenden Anteil großer Landgüter überprüfen soll. Aus Anlass des 145. Todestages des venezolanischen Bauernführers Ezequiel Zamora erklärte Chávez, der Kampf gegen den Großgrundbesitz sei vordringlich, da in Venezuela fünf Prozent aller LandeigentümerInnen über 80 Prozent des Agrarlandes verfügten, während 75 Prozent der ProduzentInnen lediglich sechs Prozent des Landes in ihren Händen hielten. Eine „Revolution auf dem Land“ solle erfolgen, denn werde die Landfrage nicht gelöst, verdiene der venezolanische Transformationsprozess den Namen Revolution nicht, so der Präsident.
Die verschiedenen Landarbeiter- und Kleinbauernorganisationen Venezuelas begrüßten die landwirtschaftliche Offensive. Denn seit Verabschiedung des Landgesetzes im Dezember 2001, das die in der Verfassung festgeschriebene Abschaffung des Großgrundbesitzes juristisch umsetzen sollte, war kein Land enteignet worden. Zwar verteilte das Nationale Landinstitut INTI (Instituto Nacional de Tierras) in den Jahren 2003 und 2004 insgesamt 2,3 Millionen Hektar Land an Kooperativen, doch dabei handelte es sich vorwiegend um brachliegendes Staatsland. Nun sollen innerhalb von sechs Monaten 100.000 landlose Familien enteignetes Agrarland zugeteilt bekommen. Laut Verfassung kann der Staat Agrarland, das nicht zu mindestens 80 Prozent produktiv genutzt wird, enteignen.
Chávez wies auch darauf hin, dass es nicht bei einer Umverteilung bleiben könne. Die Maßnahmen müssten von „integralen produktiven, wissenschaftlichen und technologischen Projekten sowie der Bereitstellung von Maschinen, Fortbildungen und Häusern“ begleitet werden. Er kündigte diesbezüglich an, dass die – in Kooperation mit dem Iran – anlaufende Produktion von 5.000 Traktoren jährlich für kleine AgrarproduzentInnen gedacht sei.
Mit der beschleunigten Umverteilung soll auch die Abhängigkeit Venezuelas von Nahrungsmittelimporten reduziert werden. Aktuell importiert der Erdölstaat über 70 Prozent seiner Lebensmittel.

Illegale LandbesitzerInnen enteignen

Nur wenige Tage vor den Ankündigungen des Präsidenten war Landwirtschaftsminister Arnoldo Márquez abgesetzt worden. Laut Chávez hatte die Maßnahme zwar keinen politischen Hintergrund, doch Márquez war von Bauernverbänden wiederholt dafür kritisiert worden, dass das Landwirtschaftsministerium unter seiner Führung finanzielle Mittel weiterhin an die traditionelle Klientel der großen Produzenten leiten würde. Kurz vor dem Referendum um die Abberufung Chávez’ im August war die gesamte Führungsriege des Landinstituts INTI mit der Begründung zurückgetreten, die vorgesehene Politik bezüglich der Landverteilung und der Unterstützung kleiner BäuerInnen und Kooperativen sei aufgrund des Vorgehens des Landwirtschaftsministeriums nicht umzusetzen.
Die von Basisorganisationen lang erwartete Landoffensive war von Chávez bereits im September 2004 angekündigt worden. In den vergangenen Wochen hatte INTI bereits angekündigt, über Beweise dafür zu verfügen, dass viele der GroßgrundbesitzerInnen, die behaupteten rechtmäßige BesitzerInnen von ausgedehnten Ländereien zu sein, sich diese illegal angeeignet hätten. Das INTI, so der Direktor Eliécer Otaiza, habe bisher 57 Latifundien und 600 brachliegende Landgüter ausgemacht. Im Falle von 20 Latifundien seien bereits Verwaltungsmaßnahmen in die Wege geleitet worden.
Ende Dezember 2004 verabschiedeten die Gouverneure der Bundesstaaten Cojedes, Monagas und Yaracuys Dekrete gegen den Großgrundbesitz. In den meisten Fällen handelt es sich allerdings um Staatsland, das sich Private widerrechtlich angeeignet haben. In den anderen Fällen sollen Entschädigungen bezahlt werden. Der Bürgermeister von Maracaibo kündigte die Enteignung brachliegender Ländereien der Venezolanischen Industriebank (BIV) an. Im Bundesstaat Cojedes wurde mit der Inspektion der 13.000 Hektar großen Rinderfarm „El Charcote“ der britischen Vestey-Gruppe begonnen. Staatsbeamte wurden bei der Inspektion des 200 Kilometer südwestlich von Caracas gelegenen Gutes von 200 SoldatInnen und PolizistInnen begleitet. Laut Angaben des INTI und des Landwirtschaftsministeriums könne das Unternehmen keine legalen Besitztitel vorweisen und nutze Staatsland. 80 Prozent des Landgutes sind bereits seit etwa vier Jahren von mehreren Hundert Familien besetzt. Die BesetzerInnen allerdings beschimpften die anwesenden Politiker des chavistisch regierten Bundesstaates als „Verräter“. Sie befürchten bei der Verteilung der Ländereien leer auszugehen und geräumt zu werden, da sich die Regierung des Bundesstaates noch nicht eindeutig zu dem Fall geäußert hat.

„Sofortige Agrarrevolution“ gegen „Agrarreformismus“

Die venezolanischen Landarbeiterorganisationen rufen die Regierung zu einem energischeren Vorgehen auf. In einem Kommuniqué der Nationalen Bauernfront Ezequiel Zamora (FNCEZ), einer der größten und aktivsten Bauernverbände, wird die „sofortige Agrarrevolution“ gefordert. Die FNCEZ wendet sich gegen den „Agrarreformismus“ und weist darauf hin, zur Überwindung des kapitalistischen Modells abhängiger Entwicklung sei es notwendig gegen Ineffizienz, Bürokratie, Korruption, Boykott der Kooperativen und die geringe Bereitschaft der Institutionen vorzugehen. Ansonsten könne „die Revolution auf dem Land, wie Chávez sie vorschlägt, nicht vollzogen werden“. Dafür fordert die FNCEZ die Anerkennung der besetzten Ländereien, eine direkte Beteiligung der Bauernorganisationen an den Maßnahmen, das Vorgehen gegen die Morde an Bauern und den Aufbau von bäuerlichen Verteidigungsbrigaden. Weiterhin verlangt die Organisation die Umwandlung der „Agrartitel“, die die Bauern und Bäuerinnen augenblicklich erhalten und die wenig legale Sicherheit bieten, in kollektive Besitztitel und einen direkten Dialog mit dem Präsidenten.
Die FNCEZ kritisiert außerdem das Programm des Landwirtschaftsministeriums und des Unternehmens Agroisleña zur Verteilung von Maissaatgut in Guarico, im Rahmen dessen genmanipuliertes und verdorbenes Saatgut an Kleinbauern und -bäuerinnen sowie Kooperativen verteilt worden sei und fordert, das Programm zu stoppen. Es war unter der Leitung von Ex-Landwirtschaftsminister Arnoldo Márquez in die Wege geleitet worden, dem daher die gezielte Sabotage kleinerer und mittlerer ProduzentInnen vorgeworfen wird. Ebenso wird die Klärung bezüglich des Vorgehens der Streitkräfte in Guasdalito im Bundesstaat Apure gegen die LandarbeiterInnenbewegung verlangt. Dort wurden in den vergangenen Monaten sieben Bauern verhaftet, einige gefoltert und einer von Armeeangehörigen ermordet. Venezuela steht vor dem Problem, dass viele Institutionen auf lokaler Ebene, auch Teile der Armee und Nationalgarde, nach wie vor im Dienste der GroßgrundbesitzerInnen stehen.
Die radikalen Teile der Opposition machen nun mobil gegen die anstehende Landreform. Der oppositionelle Viehzüchterverband Fedenagas erklärte, die Dekrete zur Landreform würden das verfassungsmäßige Recht auf Eigentum verletzen. Fedenagas werden Verbindungen zu Paramilitärs und Killertrupps nachgesagt, die in den vergangenen Jahren über 100 LandaktivistInnen, zuletzt Ende Dezember Alejandro Márquez im Bundesstaat Barinas, ermordeten. Einige Fedenagas-Mitglieder erklärten in der Vergangenheit offen, eine „bewaffnete Verteidigung“ sei ihr gutes Recht.
Auch die katholische Kirchenhierarchie, die den Putsch im April 2002 unterstützt hatte, stellte sich gegen die Dekrete zur Landreform. Doch andernorts stoßen die Maßnahmen zur „Abschaffung des Großgrundbesitzes“ auf breite Zustimmung. Selbst die Gouverneure der einzigen beiden oppositionell regierten Bundesstaaten Zulia und Nueva Esparta (Isla Margherita) befürworten die Landreform.

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