Das Gespenst der Inflation bereitet Sorgen
Kaufkraftverfall bringt Regierung Kirchner in Handlungszwang
Argentiniens Inflationsrate gehört derzeit zu den höchsten der Welt: Vor einigen Wochen gab der argentinische Wirtschaftsminister Axel Kicillof bekannt, dass sich die Inflation im Februar nach offiziellen Berechnungen auf 3,4 Prozent belief. Die kumulierten Werte für Januar und Februar betrugen laut Berechnung des nationalen Statistikamtes INDEC bereits 7,1 Prozent. Verschiedene Prognosen gehen für das gesamte Jahr 2014 von einer Inflation von 35 bis 50 Prozent aus – ein für die seit 2003 andauernde Ära des Kirchnerismo überdurchschnittlich hoher Wert. Der von den rechtskonservativen und regierungskritischen Medien in Argentinien als „marxistischer“ Ökonom bezeichnete Kicillof führte diese Entwicklung auf Währungsspekulationen und unbegründete Preisanhebungen zurück. Er betonte zudem, dass eine stärkere Geldentwertung durch die Wechselkursstabilisierung des Pesos und einen verlangsamten Abfluss von US-Dollar-Reserven aus Zentralbank-Beständen seit Mitte Februar verhindert werden konnte.
Der heißeste argentinische Sommer seit Jahren ist vorbei – ebenso die sehr angespannte Situation und die Wirtschaftsturbulenzen nach dem starken Verfall des Pesos gegenüber dem Dollar im Januar um etwa 20 Prozent. Das Wirtschafts-team der Regierung setzte alle Hebel in Bewegung, um eine Panik und die von oppositionsnahen Wirtschaftsexpert_innen heraufbeschworene wirtschaftliche Katastrophe zu verhindern. Die kurzfristigen Ziele der Regierung bestanden darin, den offiziellen sowie den Schwarzmarkt-Wechselkurs der nationalen Währung zu stabilisieren, das Abschmelzen der Dollar-Reserven der Zentralbank zu reduzieren und einen rapiden Anstieg der Inflation zu verhindern. Die ersten zwei Ziele wurden bisher erreicht.
Es war keine leichte Arbeit für die Ökonom_innen der argentinischen Regierung. Die Strategie bestand einerseits darin, mit den Agrarkonzernen zu verhandeln, damit die durch Agrarexporte erzielten Devisen in das Land zurückfließen. Dies ging mit einem wochenlangen Armdrücken einher, da die Agrarunternehmen auf eine weitere Abwertung des Pesos spekulierten. Eine zentrale Rolle bei der Stabilisierung spielte die Zentralbank unter ihrem seit November amtierenden neuen Chef Juan Carlos Fábrega. Mit einer Verdoppelung der Zinsen auf etwa 30 Prozent schöpfte die Zentralbank signifikant Liquidität ab. Gleichzeitig erließ sie Vorschriften, die Geschäftsbanken dazu zwingen, ihre Devisenpositionen abzubauen. Während die Banken Dollar auf den Markt werfen mussten, wurden Pesos knapp. Der Wechselkurs stabilisierte sich zwischen 7,8 und 8 Pesos je Dollar.
Andererseits lockerte die Regierung die Devisenkontrollen zur Sättigung der Dollar-Nachfrage. Eine riskante Maßnahme vor dem Hintergrund einer drohenden Panik, die einen Abfluss der US-Dollar-Reserven der Zentralbank hätte beschleunigen können. Aber das Manöver glückte.
Im Kampf gegen Preissteigerungen erhöhte die argentinische Notenbank die Leitzinsen und verknappte damit das Kreditangebot. Außerdem setzte die Regierung – wie schon in den Jahren zuvor – auf Preisvereinbarungen mit den größten Supermarktketten, die darauf abzielen, die Preise für die wichtigsten Bedarfsartikel stabil zu halten. Obwohl dieses Programm im Vergleich zu den übrigen Maßnahmen gut funktionierte, brachte es vorerst nicht den gewünschten Effekt. Die vereinbarten Preisregelungen lassen sich schwer kontrollieren. Viele der betroffenen Produkte werden von den Supermärkten aus dem Sortiment genommen oder die festgesetzten Preisgrenzen oft nicht eingehalten.
Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner nutzte am 12. Februar die cadena nacional, die zentral verordnete Zusammenschaltung aller argentinischen Rundfunk- und Fernsehsender, für einen Medienauftritt. Darin beschuldigte sie Finanzmärkte und Großkonzerne durch Währungsspekulationen die Wirtschaftsturbulenzen ausgelöst zu haben und gab den großen Supermarktketten eine Mitschuld durch unbegründete Preisanhebungen. Die Präsidentin zitierte Äußerungen Miguel Beins. Der oppositionsnahe Wirtschaftsexperte stellte eine finanzielle Destabilisierung der Finanzmärkte fest. „Sie versuchten, die Regierung zu sprengen und in der Tat hätten sie das Land explodieren lassen“, erklärte die Präsidentin im argentinischen Präsidentenpalast casa rosada.
Es ist kein Geheimnis, dass in dem südamerikanischen Land Währungsspekulationen und Phasen hoher Inflation eine lange Tradition haben. Die Argentinier_innen sind noch immer traumatisiert von den vergangenen Wirtschaftskrisen. Die drastischen Abwertungen des Pesos, Hyperinflation in den 80er Jahren, mehrere Währungsreformen sowie der Staatsbankrott 2001 sind im öffentlichen Bewusstsein immer noch sehr präsent.
Seit 2007 ist das Inflationsgespenst nach Argentinien zurückgekehrt. Schon kurz vor dem ersten Amtsantritt der Regierung von Cristina Fernández de Kirchner begann der Anstieg der Inflation, der sich ein Jahr später im Zuge des Konflikts mit den Agrarexporteur_innen beschleunigte.
Im Gegensatz zu heute verzeichnete Argentinien damals jedoch chinesische Wachstumsraten sowie einen Leistungsbilanzüberschuss und verfolgte eine strenge Haushaltsdisziplin. Außerdem waren die Dollar-Reserven der argentinischen Zentralbank größer und der Krieg mit den mächtigen Mediengruppen hatte noch nicht begonnen. Es waren die fetten Jahren des Kirchnerismus und die Inflation blieb hinter dem Anstieg der Löhne und Gehälter zurück. Die hohe Beschäftigung und der erfolgreiche Kampf der Gewerkschaften um höhere Löhne stimulierten den Konsum und trieben die Binnennachfrage nach oben. Die argentinischen Unternehmen erhöhten jedoch die Preise statt in eine Ausweitung der Produktionskapazitäten zu investieren. Erschwerend kam die Marktkonzentration in einigen Branchen hinzu. Produktion und Vertrieb von Grundnahrungsmittel in Argentinien konzentrierte sich in der Hand weniger Nahrungsmittel-Produzenten und großer Supermarktketten. Diese Faktoren spielten eine entscheidende Rolle bei der Preisgestaltung, die von oppositionsnahen Wirtschaftsexperten oft verschwiegen wird.
Das zweite Präsidentschaftsmandat von Cristina Fernández de Kirchner begann 2011 in einem ungünstigeren politischen wie wirtschaftlichen Kontext. Vor dem Hintergrund von Kapitalflucht und einem Abschmelzen des Devisenbestandes der Zentralbank traf die argentinische Regierung die radikale Entscheidung für eine strikte Währungsrationierung. Seit dem Staatsbankrott von 2001 gilt Argentinien als „schwarzes Schaf“ auf den internationalen Finanzmärkten und erhält dort keine Kredite mehr. Ohne die Möglichkeit zur Außenfinanzierung tilgte die Regierung die Schuldenraten mit den Dollar-Reserven der Zentralbank und finanzierte mit der Notenpresse die hohen Staatsaugaben, um Haushaltskürzungen zu vermeiden.
Die strikte Kontrolle des Devisenhandels – der Erwerb von ausländischen Währungen ohne Autorisierung war Argentinier_innen für eine beistimmte Zeit komplett verboten – das Schönen der Inflationszahlen durch das nationale Statistikamt INDEC und die Verschlechterung der Staatsfinanzen förderte die Flucht aus dem argentinischen Peso und trieb die Inflation weiter nach oben.
Die Manipulation der offiziellen Inflationsrate war ein Fehler, den die Regierung nicht offen eingesteht, den sie jedoch zukünftig vermeiden möchte. Es ist ein schwieriges Unterfangen für die Ökonom_innen der Regierung, die Glaubwürdigkeit auf den internationalen Finanzmärkten und in der eigenen Bevölkerung zurückzugewinnen. Das jahrelange Schönen der Inflationsstatistiken hat nicht nur das reale Inflationsproblem verschärft sondern verschlechterte auch das Ansehen der Regierung.
Im Februar führte das INDEC mit technischer Unterstützung des Internationalen Währungsfonds eine Neuberechnung des Verbraucherpreisindexes mit einem aktualisierten Warenkorb durch. Die Belastbarkeit der argentinischen Inflationszahlen ist eine wichtige Bedingung für Argentiniens Rückkehr auf die internationalen Finanzmärkte, auf denen die argentinische Regierung wieder ihren Geldbedarf decken will. Außerdem verfolgt die Regierung weiterhin mit Nachdruck die Verhandlungen mit dem Pariser Club, indem staatliche Gläubiger zusammengeschlossen sind, und mit Privatgläubiger_innen um noch ausstehende Schuldenzahlungen. Positive Verhandlungsergebnisse sollen ebenfalls helfen, das Vertrauen in die argentinische Wirtschaft zurückzugewinnen.
Die Zukunft des Kirchnerismus hängt in hohem Maße von der Eindämmung der Inflation ab – keine leichte Aufgabe für eine Regierung, die auch in schwierigen Zeiten nicht auf ihre Umverteilungspolitik verzichten will und neoliberale Rezepte kategorisch ablehnt.