Das Megaprojekt
Wie der Isthmus von Tehuantepec zerstört werden soll
Nur 304 Kilometer Land trennen am Isthmus den Golf von Mexiko vom Pazifischen Ozean, doch das Nadelöhr ist eine Region mit vielfältigen natürlichen Reichtümern und Bodenschätzen. Außerdem ist der Isthmus aufgrund seiner geographischen Lage von großer strategischer und politischer Bedeutung. Das hatte bereits Alexander von Humboldt erkannt, als er Anfang des 19. Jahrhunderts den Vorschlag machte, hier einen Kanal zu öffnen, der die beiden Weltmeere verbinden sollte. Der Kanal wurde letzten Endes dann 1915 in Panama eingeweiht, aber in den Jahren davor war dafür am Isthmus von Tehuantepec bereits eine Eisenbahnlinie gebaut worden. Und das mit gutem Grund: In der Region und den angrenzenden Gebieten hatten nordamerikanische Holzgesellschaften mit dem Raubbau an tropischen Edelhölzern begonnen, die nun mit der Eisenbahn an die beiden Küsten und von dort aus in die USA und Europa transportiert wurden. Im Grunde ist es so geblieben, nur die Produkte haben sich mit den Jahrzehnten verändert: Kautschuk, Kaffee, Vieh und Öl haben die Edelhölzer nach deren Abholzung ersetzt.
Alternative zum Panama-Kanal
Doch jetzt droht dem Isthmus eine Intensivierung der Ausbeutung, die das soziale und ökologische Überleben der Region endgültig bedroht. Mit dem vor einigen Monaten von der Regierung vorgestellten Programa Integral de Desarollo Económico para el Istmo de Tehuantepec (Oaxaca-Veracruz), kurz “Megaprojekt” genannt, gewinnt die Zukunft ein Gesicht. Eisenbahnstrecken, Autobahnen, ein Ausbau der Häfen, Ansiedlung petrochemischer Industrie, die Intensivierung der Ölförderung, Maquiladoras und landwirtschaftliche Großprojekte sollen, wie aus dem Dokument hervorgeht, die Landenge in einen industriellen Korridor verwandeln, der auf ganz Südmexiko ausstrahlen soll.
Ende 1999 müssen sich die USA, dem Torrijos-Carter-Abkommen zufolge, aus der panamaischen Kanalzone zurückziehen. Doch ein Transportweg zwischen den Ozeanen ist nach wie vor von enormer strategischer Wichtigkeit für die USA, aber auch für die ostasiatischen Industriemächte. So ist es kein Wunder, daß an anderer Stelle über Konkurrenzprojekte zum Panama-Kanal nachgedacht wird. In Nicaragua, Costa Rica und Kolumbien wird bereits an konkreten Projekten gefeilt. Und am Isthmus von Tehuantepec hat die mexikanische Regierung zu diesem Anlaß den alten Humboldtschen Gedanken wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Es ist zwar kein Kanal geplant, dafür aber der Ausbau der seit 1907 bestehenden Eisenbahnstrecke zwischen dem Atlantikhafen Cotzacoalcos und Salina Cruz, seinem Kontrapart am Pazifik. Hier sollen, nach dem Ausbau auch der Häfen, in Zukunft Container über die Landenge rollen. Gleichzeitig soll eine vierspurige Autobahn entstehen, finanziert von ausländischem Kapital.
Die Transportwege werden, der Planung entsprechend, nur das Rückgrat einer neu zu schaffenden Industrieregion sein. Bereits heute konzentriert sich die mexikanische Ölindustrie auf der Atlantikseite des Isthmus in den Bundesstaaten Veracruz, Tabasco und Campeche. 80 Prozent der noch unerschlossenen Ölreserven liegen hier außerdem im Untergrund. Insgesamt werden laut La Jornada 39 Milliarden Barrel Rohöl unter der Erde vermutet, die zu momentanen Preisen auf den internationalen Märkten über 500 Milliarden US-Dollar Erlös brächten. Seit Jahren machen internationale Ölkonzerne Druck auf die mexikanische Regierung, die staatliche Ölgesellschaft PEMEX endlich zu privatisieren, wie das mit den meisten anderen Staatsbetrieben im zurückliegenden neoliberalen Jahrzehnt bereits geschehen ist. Doch die Widerstände sind groß: Die 1938 gegen erbitterten Widerstand ausländischer Ölkonzerne verstaatlichte PEMEX stellt das Symbol nationaler Souveränität in Mexiko dar. Nichtsdestotrotz wurden bereits lukrative Bereiche zumindest der Erdölverarbeitung privatisiert oder für ausländisches Kapital geöffnet. Mit dem Megaprojekt soll nun die Förderung intensiviert werden und neue Raffinerien (in Salina Cruz) und petrochemische Industrien (in Cosoleacaque, Coatzacoalcos, Ixhuatlán del Sureste und Salina Cruz) angesiedelt werden. Neben transnationalen Ölmultis haben auch die deutschen Konzerne BASF, Bayer und Hoechst Investitionen angekündigt. (Financiero, 27. September 1996)
Vom Regenwald zur Abfallhalde
Das Mündungsbecken des Rio Coatzacoalcos zählt bereits jetzt zu den am stärksten verschmutzten Regionen der Erde. Sowohl das Wasser als auch die Luft und Erde werden durch Gifte verschmutzt, die durch Rohölförderung und -verarbeitung entstehen. 2400 Fischerfamilien haben bereits ihre Existenzgrundlage verloren. Im Februar 1995 kam es unter anderem deshalb zu aufstandsartigen Protestaktionen der Chontales-Indígenas in Tabasco, als sie Erdölförderanlagen blockierten. Aus Los Pantanos, einem 150 Quadratkilometer großen einmaligen Ökosystem, wurde eine Abfallhalde der Petrochemie von Cosoleacaque und der Raffinerien in Minatitlán, Pajaritos und Cangrejera, die am Fluß Coatzacoalcos liegen. Es gehört keine große Phantasie dazu sich auszumalen, was die ökologischen Folgen einer weiteren Intensivierung der Erdölproduktion sein werden.
Neben der Petrochemie existieren außerdem konkrete Investitionsvorhaben in verschiedene Maquiladora-Großprojekte, die entlang der Transportwege entstehen sollen. Aus Oaxaca und Veracruz wandern jährlich Hunderttausende Menschen, hauptsächlich Kleinbauern, deren Existenzgrundlage durch die neoliberale Agrarpolitik vernichtet wurde, in die Städte oder an die Nordgrenze zu den USA ab, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Mit dem Megaprojekt soll jetzt die Billiglohnindustrie in der Region angesiedelt werden, aus der die Arbeitsmigranten stammen. In Coatzacoalcos und Los Tuxtlas wurden die ersten Textilfabriken bereits eröffnet. Auch für die Förderung von Mineralien wie Marmor, Schwefel, Meersalz und Kalk bestehen konkrete Investitionsprojekte, die im Infrastrukturplan der Regierung feinsäuberlich aufgelistet sind.
International Paper holzt ab
Neben den Transportwegen und der Petrochemie kommt der Papierproduktion der größte Stellenwert im Rahmen des Megaprojektes zu. Auf über 300.000 Hektar – zum Vergleich: eine Kleinbauernfamilie bewirtschaftet drei bis fünf Hektar – sollen riesige Eukalyptusplantagen für die Papierproduktion gepflanzt werden. Die wasservergiftenden Zellulosefabriken stehen ebenfalls bereits auf dem Reißbrett. Niemand geringeres als die International Paper, die mit einem Umsatzvolumen von nach eigenen Angaben 14,966 Milliarden US-Dollar zu den größten Papierkonzernen der Welt zählt, möchte im großen Stil investieren. Offiziell firmieren die Eukalyptus-Plantagen als Wiederaufforstungsprojekte, tatsächlich entzieht der Eukalyptusbaum dem Boden jedoch Wasser und Mineralien, so daß die gesamte Flora und Fauna in seinem Umkreis abstirbt. In vielen Regionen der Erde hinterließen Eukalyptusplantagen ausgelaugte und zerstörte Flächen.
Mit knallhartem Lobbyismus sorgte International Paper dafür, daß ihr hervorragende Rahmenbedingungen geschaffen werden. In einem Brief vom 27. Juli 1997 stellte Edward Kobacker von der International Paper Bedingungen an Luis Téllez Kuenzler, Chef des Büros des Präsidenten der Republik. Deren Erfüllung, von der Zuweisung von geeigneten Geländen, über die Privatisierung von Häfen und Transportwegen bis zu Subventionen wurden einen Monat später in einem hundertseitigen Memorandum des Ministerium für Umwelt, natürliche Ressourcen und Fischerei (Semarnap) flugs versprochen. Kein Wunder, denn Verhandlungsführer auf mexikanischer Seite war Claudio Xavier González. Er ist mexikanischer Präsident des multinationalen Kimberley Clark Konzerns, der ebenfalls Papierprodukte herstellt und ein starkes Interesse an der Eukalyptusproduktion hat. Das Eukalyptus-Projekt bedroht nun nicht zuletzt die Region Los Chimalapas, den mit 462.000 Hektar größten zusammenhängenden noch unangetasteten tropischen Regenwald Mexikos, einer Region mit einer der höchsten Biodiversitäten in ganz Zentral- und Nordamerika. Vom Aussterben bedrohte Jaguare, Quetzalvögel, Adler, Reptilien, Affen und Tapire sind hier ebenso heimisch wie über 1600 verschiedene Pflanzensorten.
Das gesamte Megaprojekt folgt einer Entwicklungsstrategie, die den Interessen exportorientierten Kapitals und geostrategischen US-Interessen entspricht. Für die Bewohner des Isthmus und ihre kleinbäuerlichen und indigenen Traditionen bleibt da kein Platz. Ihre Zukunft werden sie, wenn sich die Planungen in Realität verwandeln, in den Billiglohnfabriken verbringen. Aber so weit ist es noch nicht: Auf einem Foro Nacional El Istmo es nuestro Ende August haben mehrere Dutzend Campesino- und Indígena-Organisationen sowie zahlreiche NGOs ihren Widerstand angekündigt. Darunter befindet sich die stark verankerte COCEI (Arbeiter, Bauern und Studentenkoalition des Isthmus) genauso wie ökologische Gruppen und die oppositionelle PRD. Wie die Tageszeitung La Jornada herausfand, liegen die Pläne für das Isthmus-Projekt bereits seit Anfang 1995 in den Schubladen des Ministerium für Kommunikation und Transport (SCT). Im September 1996 wurde dann bekannt, daß aufgrund der politischen Instabilität der Region – das unruhige Chiapas grenzt südlich an den Isthmus und nördlich operiert die EPR (Revolutionäres Volksheer) – die Ausschreibung für die Konzessionierung der Eisenbahn verschoben wurde. Jetzt scheint es allerdings ernst zu werden.