Mexiko | Nummer 485 - November 2014

Auf sumpfigem Boden

Das Projekt für den Flughafen-Neubau in Mexiko-Stadt ist riskant, umwelt­gefährdend und wenig transparent

Das 13 Milliarden US-Dollar teure Bauprojekt rund um den neuen Flughafen in Mexiko-Stadt sorgt für Aufregung. Seit der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto Anfang September Details bekannt gegeben hat, verhindert die Regierung eine öffentliche Diskussion über die Risiken in der für den Bau vorgesehenen Region. Dabei stehen Expert_innen zufolge sowohl die Sicherheit der zukünftigen Flughafennutzer_innen als auch ein empfindliches Ökosystem auf dem Spiel.

Luisa Cantú, Übersetzung: Alois Vontobel

Der neue Flughafen von Mexiko-Stadt soll fünf Kilometer entfernt vom heutigen Internationalen Flughafen Benito Juárez auf einer Fläche von 4.600 Hektar im bundeseigenen Gebiet des Texcoco-Sees entstehen. Das vom englischen Architekten Norman Foster und Fernando Romero, dem Schwiegersohn des Telekommagnaten und reichsten Mannes der Welt, Carlos Slim, entworfene Neubauprojekt soll im Jahr 2018 teilweise abgeschlossen sein. Der neue Flughafen soll über ein dreiteiliges Terminal mit 95 Abfluggates und sechs Start- beziehungsweise Landebahnen verfügen, in seinem Innern eine Anlage mit Kakteengewächsen und ausgestellten anthropologischen Fundstücken entstehen. Ein Businesscenter, eine Universität und eine landwirtschaftliche Forschungsanstalt sollen ihre Türen öffnen, Restaurants, Hotels, Fitnesszentren und Läden für Kundschaft bereit stehen.
Städtebauer_innen und Umweltschützer_innen sind sich einig: ein Gebäude von solchem Ausmaß auf einem Grund zu erbauen, wo einstmals ein See existierte, führt zwangsläufig zu deren buchstäblichem Untergang. „Auf dem Gelände des heutigen Flughafens sinkt der Boden mehr weg als in irgendeinem anderen Gebiet der Metropolregion, zwischen zwanzig und dreißig Zentimeter jährlich. Unter diesen Umständen wird ein neues Flughafengebäude keinesfalls Bestand haben“, bestätigte Mario Garza, Dozent an der Iberoamerikanischen Universität in Mexiko-Stadt und Experte für Zivil- und Katastrophenschutz.
Das Absinken des Bodens ist nicht etwa nur eine spekulative Theorie der Spezialisten, sondern eine durch Untersuchungen der Regierung belegte Realität. Im Jahr 2008 wurde der heutige Flughafen Benito Juárez für umgerechnet über 600 Millionen US-Dollar um das sogenannte Terminal Dos erweitert. Nur sechs Jahre nach der Eröffnung hat der Boden unter dem Gebäude bereits so viel nachgegeben, dass mit Kosten von 70 Millionen US-Dollar gerechnet werden muss, um das Niveau wieder anzugleichen. Laut Garza ist die Technologie heute so weit, dass auch auf weichem Boden gebaut werden könnte und kein Absinken befürchtet werden müsste. Die dazu notwendigen Maßnahmen würden die Gesamtkosten aber um dreißig bis vierzig Prozent steigern, zudem wären danach stetige Wartungsarbeiten nötig.
Bereits im Jahr 2002 kündigte die Regierung ein ähnliches Projekt zum Flughafen-Neubau an, ebenfalls in der Region des Texcoco-Sees. Damals setzten sich Bäuerinnen und Bauern aus der Gemeinde San Salvador Atenco gegen die Enteignung ihrer Länder zum von der Regierung angebotenen Preis von weniger als einem Dollar pro Quadratmeter zur Wehr, sodass sich der damalige Präsident Vicente Fox gezwungen sah, das Projekt fallen zu lassen. Vier Jahre später, am 4. Mai 2006, kam es in San Salvador Atenco zu Unruhen zwischen Demonstrierenden und Polizeieinheiten der Stadt, des Bundesstaates und des Staates Mexiko. Dabei wurden zwei Minderjährige getötet und mindestens ein Dutzend Frauen von Polizisten vergewaltigt. Die repressiven Ordnungshüter standen sowohl unter dem Befehl der mexikanischen Regierung und somit des Präsidenten Vicente Fox wie auch des damaligen Gouverneurs des Bundesstaates Mexiko und heutigen Staatspräsidenten, Enrique Peña Nieto.
Dieses Mal sieht die Regierung allerdings bundeseigenes Territorium für den Bau des neuen Flughafens vor. Sie wird niemanden enteignen müssen. Im Gegenteil, sie hat in den letzten Jahren ganz im Geheimen die Ländereien der Bauern und Bäuerinnen neu unterteilt, die Besitzverhältnisse von Boden ändern lassen sowie Neuerungen beim Verkauf von kleinen Grundstücken eingeführt.
América del Valle, Leiterin der Organisation Volksfront zur Verteidigung des Bodens (FPDT), berichtete, dass die Regierung bereits 2010 damit angefangen habe, die aus der Zeit der Mexikanischen Revolution datierenden ejidos (eine Art genossenschaftliches Land, das gemeinsam bewirtschaftet wird) als veraltet zu verunglimpfen, und die Grundstücke zu Privateigentum erklärte. So konnten die Grundstücksverkäufe an den Staat leichter abgewickelt werden. Offerierte die Regierung im Jahr 2001 noch lediglich gut sieben Pesos (was weniger als einem US-Dollar entsprach) für den Quadratmeter, so erhöhte sie ihr Angebot ab dem Jahr 2010 auf 150 Pesos, also etwa elf US-Dollar.
Auch für Mexiko-Stadt bedeutet der Bau des neuen Flughafens ein Risiko. Gemäß Luis Zambrano, Forscher am Institut für Biologie an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM), erfüllt das Gebiet des Texcoco-Sees eine umwelttechnisch unerlässliche Aufgabe für die Landeshauptstadt. Der See funktioniert während der Regenzeit als eine Art Wasserauffangbecken und verhindert dadurch mögliche Überschwemmungen. Geht dieses natürliche System verloren, steigt auch die Wahrscheinlichkeit von Hochwasserschäden in Mexiko-Stadt.
Schon zu Zeiten prähispanischer Siedlungen im Tal von Mexiko begannen die Menschen, die Gegend trockenzulegen. Im Gebiet um den Texcoco-See lag ein Ökosystem von mehreren Seen. Heute existieren nur noch ein paar kleinere Seen, wie beispielsweise der Nabor-Carrillo-See. Trotzdem dient das Gebiet noch immer als Ziel für einige Hunderttausend Zugvögel aus den USA und Kanada, die dort den Winter verbringen. Eine dieser Vogelarten ist der vom Aussterben bedrohte Eckschwanzsperber (Accipiter striatus), eine andere der Silberreiher (Ardea alba) oder die Teichralle (Gallinula chloropus). Werde auf diesem Gebiet ein Flughafen gebaut, bedeute dies gleichzeitig, dass Nestbau und Fortpflanzung von mindestens hundert Arten akut gefährdet würden, mahnte José Luis Luege, ehemaliger Umweltminister unter Präsident Vicente Fox (2000 bis 2006).
Die Zugvögel stellen aber auch für Flugreisende und Besatzung eine Gefahr dar. Der pensionierte Pilot Alejandro Zapata, der 36 Jahre lang für Aeroméxico im Dienst war, sprach von Schäden, die durch Kollisionen mit Vögeln an Flugzeugen entstünden. Bisher seien solche Unfälle erst mit kleineren Stadtvögeln geschehen, größere, mehrere Kilo schwere Vogelarten könnten jedoch ein Flugzeug zum Absturz bringen, falls sie in die Turbinen gerieten.
Der Standort des neuen Flughafens bedeutet ein weiteres Problem für die Pilot_innen. Carlos García, der 30 Jahre für die mittlerweile bankrotte Fluggesellschaft Mexicana de Aviación im Cockpit saß, äußerte Bedenken, da auf einer Höhe von 2.300 Metern über dem Meeresspiegel, wie es in Mexiko-Stadt und Umgebung der Fall ist, die Motorleistung um zehn bis zwanzig Prozent abnehmen würde. „Das größte Problem für die Piloten ist das unter der englischen Bezeichnung wind shield bekannte Phänomen, das überall vorkommt, wo Winde auf umliegende Bergketten treffen und so Aufwinde entstehen. In Mexiko-Stadt ereignet sich das Phänomen auf der Südseite, am Vulkan Ajusco und den Bergen des Texcocogebietes. In dieser Gegend liegt der heutige Flughafen und genau dort läge auch der neue Flughafen“, führte García aus.
Die Regierung argumentiert, dass der Flughafen heute mit 32 Millionen Passagier_innen im Jahr an seine Kapazitätsgrenzen stößt. Dieses Problem würde mit dem Neubau gelöst, bis zu 120 Millionen Menschen jährlich könnten dann an einem der weltweit größten Flughäfen abgefertigt werden. Luis Zambrano befürchtet als Folge davon aber auch eine viermal stärkere Luftverschmutzung.
Mario Garza fragt sich, warum auch dieses Projekt unbedingt in der Gegend des Texoco-Sees realisiert werden soll. So sei doch bereits 2001 mit dem Gebiet Tizayuca im Bundesstaat Hidalgo ein alternativer Ort vorgeschlagen worden, wo weder die Umwelt gefährdet noch die Flughafenbenutzer_innen irgendwelchen Gefahren ausgesetzt würden. „Dort gibt es keinerlei Risiken. Erstens handelt es sich nicht um ein Erdbebengebiet, zweitens ereignen sich keine Überschwemmungen auf dem festen Boden und drittens tauchen auch keine Vogelschwärme am Himmel auf. Der einzige Nachteil ist die größere Entfernung bis ins Zentrum des Hauptstadtdistrikts“, zählte der Politikwissenschaftler auf.
Eine weitere Alternative wäre, die umliegenden, kleineren Flughäfen vermehrt in Betrieb zu nehmen. „Warum sollten wir bloß einen und dazu noch den drittgrößten Flughafen der Welt betreiben?“, führt Ökologe Zambrano fragend an. Für ihn ergäbe es mehr Sinn, die Flughäfen der an den Hauptstadtdistrikt angrenzenden Städte Toluca, Cuernavaca, Puebla oder Querétaro stärker zu nutzen und dazu das Straßen- sowie Eisenbahnnetz auszubauen. So könne man schnellere Verbindungen schaffen, den Flugverkehr nicht ausschließlich über einen Knotenpunkt abwickeln und weiteren Wirtschaftszweigen des Landes Schub verleihen.
Doch wird öffentliche Kritik und Diskussion von staatlicher Seite unterdrückt. Aktive Pilot_innen dürfen, nach eigenen Aussagen, nicht über das Flughafenprojekt sprechen. Es sei ihnen verboten worden, mit der Presse über die Planungen zu sprechen. Ihre Arbeitgeber_innen hätten ihnen schriftlich mitgeteilt, dass ihre Stellen auf dem Spiel stünden, sollten sie sich mit den Medien unterhalten.

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