Nicaragua | Nummer 449 - November 2011

Der Anfang vom Ende des Wahlbetrugs

Zweifel an der Rechtmäßigkeit der anstehenden Wahlen am 6. November

Der amtierende Präsident Daniel Ortega von der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) führt bei den Umfragewerten deutlich vor der oppositionellen Wahlallianz mit dem Kandidaten Fabio Gadea (PLI). Opposition und zivilgesellschaftliche Organisationen behaupten, der Wahlbetrug sei bereits von langer Hand vorbereitet worden, so dass Ungereimtheiten am eigentlichen Wahltag neben den Unregelmäßigkeiten und Verstößen gegen das Wahlrecht nur noch Kleinigkeiten wären.

Laura Fischer

„Ich bin nicht einverstanden mit der FSLN, aber die Opposition bietet mir keine wählbare Alternative.“ Der 26-jährige Sozialarbeiter Edgar Peréz möchte keinem Lager zugeordnet werden. Er kämpft lieber offen gegen das Verbot der therapeutischen Abtreibung. Dieses umstrittene Thema wurde im Wahlkampf unterschlagen, keiner der Kandidaten äußerte sich deutlich, während die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen und vor allem Frauen weiter auf die Straße gehen. „Wir fordern eine sofortige Abschaffung dieses Gesetzes, das jährlich vielen Frauen zum Verhängnis wird und sie in die Illegalität treibt.“ Das mag sowohl die Abneigung gegen Gadea, dem Erzkonservativen und Ortega, der mit der katholischen Kirche paktiert, erklären.
Für Greylin liegt ein Hauptproblem im defizitären Bildungssystem Nicaraguas: „Die staatlichen Schulen und Universitäten sind mit parteipolitischer Propaganda gepflastert.“ Die Gebäude zerfielen teilweise, Schulmaterialien, Bücher und Hefte fehlen und gerade die kleinen Schulen in den ländlichen Regionen litten unter dieser Situation. Aber um die Schüler_innen zu den Demonstrationen der Regierungspartei zu karren, dafür sei Geld da. Schüler_innen und Studierende werden instrumentalisiert und demonstrieren plötzlich in der Hauptstadt gegen die „imperialistische Politik der USA und EU in Libyen“.
„Ich weiß nicht, wofür das Ganze gut ist. Die Lehrer_innen haben uns nur gesagt, wir müssen am Samstag da hin“, antwortet einer von ihnen.„Um ein Stipendium zu erhalten, brauchst du eine Empfehlung der kommunalen Bürgerräte (CPC), entweder du bist der FSLN gewogen oder du erhältst eben keines“, ergänzt Greylin wütend. Aus Angst, dieses wieder zu verlieren, machen die Studierenden also das, was ihnen gesagt wird.
Die Arbeitslosigkeit und das Bildungssystem stellen für viele Jugendliche die größten Probleme dar. Sie beklagen die fehlende Programmatik der oppositionellen Parteien, die ihren Wahlkampf, statt auf inhaltliche Punkte, ganz auf die illegale Wiederwahl ausgelegt hätten.
Für Yamni Roque und Greylin Lanuza, 27 und 29 Jahre, ist die Arbeitssuche in Nicaragua seit zwei Jahren deprimierend. „Du bist für die Arbeit leider überqualifiziert“, bekamen die Akademikerinnen zu hören. Die beiden kommen aus dem nördlich gelegenen Estelí, stammen aus finanziell unabhängigen Familien. Während Yamnis Mutter in den 1980er Jahren noch für die Revolution kämpfte, kehrt sie der Politik heute enttäuscht den Rücken. Die Eltern von Greylin sind bekennende Liberale.
In den letzten fünf Jahren war Yamni bereits drei Mal in den USA und arbeitete als illegale Raumpflegerin in Hotels, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. „Was bleibt uns übrig? Alle, welche die Möglichkeit haben, wandern aus“, empört sich Yamni, „und die, die der Partei angehören, kriegen durch Beziehungen einen Arbeitsplatz oder ein Stipendium für ein Auslandsstudium.“
Derweil befassen sich sowohl die regierungskritischen Zeitungen, als auch der Oberste Wahlrat (CSE) mit Formalitäten. Ende September verkündete der Präsident des CSE, Roberto Rivas, dass es in diesem Jahr erstmals nur einen Wahlschein und nur eine Urne gebe, „um die Ausübung des Wahlrechts der Bürgerinnen und Bürger zu vereinfachen“. Rivas verspricht sich davon mehr Sicherheit und wolle „die Nicaraguanerinnen und Nicaraguaner nicht unnötig verwirren“. Außerdem spare diese Änderung Kosten.
Für viele Jurist_innen offenbart sich in diesem Zusammenhang ein weiterer Verstoß gegen das Wahlrecht, das in Artikel 115 verschiedene Wahlscheine für die jeweiligen zu wählenden Gremien vorschreibt. Im Jahr 2006 waren es noch vier Wahlscheine und Urnen für die Wahlen von Präsident, Vizepräsident, den nationalen Abgeordneten und denen der Departements und den Mitgliedern des zentralamerikanischen Parlaments.
Die Juristin und Leiterin der nicaraguanischen Menschenrechtsorganisation CENIDH, Vilma Núñez, beklagt die Reaktion der Parteien, die diese Änderung kleinlaut akzeptierten, gerade sie müssten „diese Verstöße verurteilen“.
Die regierungskritische Zeitung La Prensa nannte es eine Frechheit, Kosteneinsparungen als Begründung vorzuschieben, „wenn der Präsident dieser Institution der Korruption überführt wurde“. Er wird beschuldigt, der engste Verbündete Ortegas zu sein und ist damit für viele der Hauptverantwortliche für die illegale erneute Kandidatur (siehe LN 445/446).
Als erfreuliche Nachricht lässt sich derweil werten, dass internationale und nationale Organisationen für die Wahlbeobachtung zugelassen wurden. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) darf neben der Europäischen Union und dem Wahlrat Lateinamerikanischer Experten (CEELA) Beobachter_innen schicken. Jedoch warten einige nationale zivilgesellschaftliche Organisationen weiterhin auf eine Zulassung durch den CSE. Darunter ist die Organisation für Entwicklung und Demokratie (IPADE), die bereits in den letzten Monaten durchweg Kritik am Verlauf des Wahlprozesses äußerte. Durch die Medien geistert die Forderung „Beobachtung ohne Diskriminierung“, es verstoße gegen das Wahlrecht, dass internationale Organisationen zugelassen würden, während es den nicaraguanischen verwehrt bleibe. Rivas ließ verlauten, er könne einer Organisation „mit offensichtlich politischem Charakter“ die Beobachtung nicht erlauben, das verstoße gegen die Neutralität der Begleiter_innen.
Zudem gibt es Unklarheiten über die Art und Weise der Wahlbeobachtung. Zwischen CSE und dem Generalsekretär der OAS, José Miguel Insulza, wurde zwar ein Abkommen geschlossen, welches den 80 Begleiter_innen unter anderem die Bewegungsfreiheit im Land garantiert und ihnen den Austausch von Informationen mit dem CSE ermöglicht. „Wir akzeptieren die Form, in der die Länder souverän ihre Wahlen durchführen.“ Dennoch wird gebilligt, dass die Begleiter_innen bei der Auszählung der Stimmen nicht dabei sein dürfen und die Wahllokale verlassen müssen. Die lokalen Nichtregierungsorganisationen (NRO) kritisieren, dass damit der Manipulation der Stimmenauszählung der Weg geebnet würde. Daher fordern sie, beim gesamten Wahlgang dabei zu sein.
Gadea und zahlreiche zivilgesellschaftliche NRO trafen sich bereits mit Insulza, um ihm die Beobachtungen über den Wahlprozess mitzuteilen. „Ein Spießrutenlauf“, so Gadea über die Unregelmäßigkeiten. Die Antwort Insulzas fiel klar aus: Alle Beobachtungen würden dem CSE mitgeteilt werden, nicht er entscheide, ob die Wahlen ordnungsgemäß verliefen, „alles normal“ also.
Der Doktrin der FSLN folgend, sehen treue Anhänger_innen hinter den Beschwerden der nicaraguanischen NRO einmal mehr die „Marionetten“, die auf den Gehaltslisten der großen imperialistischen Geberländer stünden und somit versuchten die Innenpolitik Nicaraguas zu beeinflussen. Diese Stimmungsmache gegen Nichtregierungsorganisationen und ihren Leiter_innen nimmt gerade im Vorfeld der Wahlen stetig zu.
Als eine klare Drohung werten die nicaraguanischen Zeitungen die Äußerungen Rivas in einem Fernsehinterview. Es wäre hilfreich, wenn die PLI ihre nun schon mehrere Monate dauernden internen Querelen um den Führungsanspruch der Partei möglichst bald beenden würden, sonst müsse der CSE eine Entscheidung herbeiführen. Nicht, dass der aussichtsreichste Kandidat der Opposition Fabio Gadea aufgrund dieser „Querelen“ plötzlich von der Wahlliste verschwinde. Denn für die CSE sei eine eindeutige Kandidatur notwendig, die von der gesamten Partei getragen werde und nicht nur von einem Lager der Partei.
„Die ganze Wahl ist eine Farce, natürlich verstößt die Wiederwahl gegen die Verfassung. Doch die Opposition sollte die Nicaraguaner_innen besser davon überzeugen, dass sie besser Politik machen könnten“, befindet Edgar. Da ist es nicht verwunderlich, dass laut aktueller Umfragen 45,8 Prozent erneut Ortega wählen würden. Ein Großteil der Bürger_innen möchte die zahlreichen sozialen Projekte Ortegas, ob sie nun nur öffentlichkeitswirksam, populistisch oder nachhaltig sein mögen, nicht gegen die fehlende inhaltliche Programmatik der Opposition austauschen.

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