Nachruf | Nummer 453 - März 2012

Der Brückenbauer

Zum Tod des Übersetzers Curt Meyer-Clason

Valentin Schönherr

Zugegeben, mit Curt Meyer-Clason hat nicht alles angefangen, schließlich wurde auch vor ihm schon aus dem Portugiesischen und Spanischen übersetzt. Trotzdem: Für viele Leserinnen und Leser im deutschen Sprachraum werden die ersten lateinamerikanischen Lektüren von Meyer-Clason geprägt worden sein. Keiner hat so viele wichtige Autorinnen und Autoren übersetzt wie er – von Gabriel García Márquez über Juan Carlos Onetti und José Lezama Lima bis hin zu Pablo Nerudas Autobiographie Ich bekenne, ich habe gelebt, dazu João Guimarães Rosa, Clarice Lispector, Machado de Assis, Jorge Amado. Weit über einhundert Titel sind es geworden, dazu wichtige Anthologien.
Meyer-Clasons ungeheurer Erfolg mag mit seinem großen Wirkungskreis zu tun haben: Kaum jemand übersetzte gleichermaßen aus dem Spanischen wie aus dem Portugiesischen und übertrug sowohl Lyrik wie auch Prosa. Erklärbar ist dieser Erfolg aber nur durch seine unbändige Leidenschaft, für ein zu übersetzendes Werk den richtigen Ton zu finden. Als Übersetzer müsse man „das fremde Lebensgefühl einfangen“, den Text „zugleich vertraut machen und doch fremdartig erscheinen lassen“, hat er einmal bekannt. Eine Treue zum Originaltext, die sich nicht zu eng an die genaue Syntax und Semantik bindet (für seine recht freien Lösungen ist Meyer-Clason viel gescholten worden), sondern der es um die getreue Nachbildung des Ausdrucks geht – dieses Konzept scheint aufgegangen zu sein. Zwar mag, wer viel gelesen hat, einen „Meyer-Clason-Sound“ heraushören. Aber schon der Vergleich zwischen ein paar Zeilen García Márquez und einem Absatz Onetti führt plastisch vor Augen, wie sehr sich der Übersetzer auf seine Autoren und ihre Originalität eingelassen hat.
Curt Meyer-Clason war eine literarische Karriere eigentlich nicht vorgezeichnet. Der 1910 in Ludwigsburg geborene Bürgerssohn schlug eine Kaufmannslaufbahn ein, die ihn 1937 nach Brasilien führte. 1942 wurde er wegen angeblicher Spionage für Nazi-Deutschland (der Fall wurde nie restlos geklärt, Meyer-Clason hat den Vorwurf stets abgestritten) verhaftet. Und erst hier im Gefängnis, er hat das gern als „zweite Geburt“ beschrieben, begann im Überfluss an Zeit seine Neigung zur geformten Sprache, zur Literatur. Als er 1955 nach (West-) Deutschland zurückkehrte, wurde daraus sein Beruf.
Von 1969 bis 1976 leitete Meyer-Clason das Goethe-Institut in Lissabon, zur Zeit der späten Salazar-Diktatur und über die Nelkenrevolution von 1974 hinweg; im Portugiesischen Tagebuch hat er seine Beobachtungen festgehalten. Er war ein offener Geist, der die Arbeit der Kulturvermittlung als wechselseitigen Vorgang betrachtete und politischen Grabenkämpfen aus dem Weg ging. Oder, genauer, die Gräben zu überwinden trachtete. In der 1988 bei dtv erschienenen Anthologie Lyrik aus Lateinamerika finden sich beispielsweise kubanische Dichter von der Insel wie aus dem Exil, ein Kuriosum für jene Zeit. Und nichts anderes als die Gedichte von Jorge Luis Borges stehen in der illustren Sammlung ganz zu Anfang – ausgerechnet Borges, den sich die Linke damals zum Feind erklärt hatte, weil er dem chilenischen Diktator Pinochet seine Aufwartung gemacht hatte (Borges hat dies später sehr bedauert – verziehen wurde es ihm dummerweise lange nicht).
Mit Curt Meyer-Clason hat nicht alles angefangen – und mit seinem Tod am 13. Januar 2012 ist auch nicht alles zu Ende. 2013 jedenfalls, wenn Brasilien Gastland der Frankfurter Buchmesse ist, wird von Curt Meyer-Clason noch viel gesprochen und gelesen werden.

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