Der Egoismus der Eliten
Die sozialdemokratische-liberale PLD gewinnt die Präsidentschaftswahlen der Dominikanischen Republik am 16. Mai 2004
Freude stand den Menschen ins Gesicht geschrieben. Nachdem die ersten Hochrechnungen bekannt gegeben wurden, gingen unzählige AnhängerInnen der PLD (Partido de la Liberación Dominicana) spontan auf die Straße, um ihren triumphalen Sieg zu feiern: Leonel schlägt Hipólito! Und umso mehr Stimmen ausgezählt wurden, umso eindeutiger war das Wahlergebnis zu Gunsten für Leonel Fernández und seine Partei der nationalen Befreiung.
Hunderte Glückwunschanrufe gingen im „Casa Nacional“, dem Parteibüro der PLD an der Avenida Independencia ein. Dort sprach auch der neugewählte Präsident Leonel Fernández zu der versammelten Menge: „Der Kampf ist vorbei! Es ist Zeit, das Land aus der Krise zu holen!“
Als am Montag danach die Ergebnisse von 80 Prozent aller Wahlbezirke vorlagen, erklärte der Zentrale Wahlrat (JCE) den Präsidentschaftskandidaten der PLD offiziell zum Sieger. Das vorläufige Endergebnis für die PLD lag zu diesem Zeitpunkt bei 56 Prozent der abgegebenen Stimmen. Deutliche Stimmenverluste musste hingegen die Regierungspartei unter Präsident Hipólito Mejía hinnehmen. Nach der letzten Auszählung fiel dessen sozialdemokratische PRD (Partido Revolucionario Dominicano) auf 35 Prozent zurück.
Was bedeutet dieser Wahlausgang für die Dominikanische Republik? Welche Chancen verbinden sich mit Präsidenten Leonel Fernández? Eine deutliche Mehrheit der DominikanerInnen glaubt, dass Fernández, der das Land bis zur letzten Wahl im Jahr 2000 regierte, die Probleme der Dominikanischen Republik lösen kann. So stöhnt Alfonso, ein Bewohner von Los Praditos, einem Armenviertel von Santo Domingo: „Die Inflation raubt uns Armen das letzte Hemd. Alles wird teurer, nur unsere Löhne stagnieren. So kann es nicht weitergehen.“ Im vergangenen Jahr herrschten Rezession und über 40 Prozent Preisanstieg – und auch für 2004 zeigen die ökonomischen Parameter nach unten.
Ohne Wasser und Strom
Alfonso steht am Wasserhahn und lässt Wasser in die bereit gestellten Eimer laufen – die nächsten drei Tage sind gerettet. Alfonso verzieht das Gesicht zu einem Grinsen und schleppt die vollen Wassereimer in sein Badezimmer. Jeweils Donnerstag und Sonntag drehen die Wasserwerke dem Stadtteil Los Praditos den Hahn auf. Dazwischen heißt es haushalten. Schwieriger wird es, wenn alle paar Wochen der Strom ausfällt. Dann geht im Armenviertel nichts mehr. Die Ventilatoren bleiben stehen. Die Hitze wird unerträglich. Und der Schweiß rinnt.
In diesem Land hängt das Leben der Armen davon ab, ob jemand aus der Familie es schafft wegzukommen. In Los Praditos haben viele die Hoffnung auf ein besseres Leben bereits aufgegeben. Alfonso lebt dort mit seiner Frau Aurora und deren Mutter zusammen. Die beiden Kinder von Donna Aurora wanderten nach Miami und Puerto Rico aus. Ihre Nichte emigrierte nach Deutschland, eine weitere ist auf dem Sprung. Eine Million DomenikanerInnen emigrierten bereits in die USA, in Richtung Europa blüht eine Heiratsindustrie
Zur Arbeit geht Alfonso seit Monaten zu Fuß. Für die fünf Kilometer Fußmarsch durch das Zentrum von Santo Domingo benötigt er eine gute Stunde. Das Geld für den Transport kann er nicht aufbringen. 2000 Pesos (40 Euro) verdient er monatlich. Die Fahrt mit dem Sammeltaxi würde allein 800 Pesos verschlingen. Was Alfonso verdient, reicht nicht mal, um jeden Tag genügend Reis für alle zu kochen, geschweige denn die Telefonrechnung zu bezahlen. Ohne die Hilfe aus dem Ausland könnte die Familie nicht überleben. „Este pais es una mierda!“ (Dieses Land ist einfach scheiße) Da sind sich viele hier in Los Praditos einig.
Die Dominikanische Republik leidet wie viele andere Länder Lateinamerikas unter dem brutalen Egoismus seiner Eliten. Bis heute reibt sich das Land an einer aus oligarchischen Zeiten stammenden politisch-ökonomischen Struktur. Nur wenige Familien dominieren das Land mit einem Netz aus Firmen und Ländereien sowie Privatbesitz. Ein Großteil der erwirtschafteten Gewinne fließt in die eigenen Taschen. Aus ihren Reihen stammen die wichtige PolitikerInnen.
Für die Eliten waren Demokratie und Menschenrechte immer nur Mittel zum Zweck, doch wurde sich gerne das saubere Kleid eines westlich orientierten demokratischen Staates über gestreift. Darunter versteckt sich jedoch das von Militär und Oligarchie befleckte Hemd.
Verschiedene Organisationen verurteilten Menschenrechtsverletzungen der Regierung von Hipólito Mejía. Nach deren Berichten greift die Regierung weiterhin in die Justiz ein, welche gemäß der Verfassung unabhängig ist. Zudem wurde bemängelt, dass Polizeibeamte verdächtige Personen und deren Familienangehörige willkürlich festnähmen, sowie bei der Auflösung von Kundgebungen übermäßig Gewalt anwendeten. Bedauerlich seien nach wie vor auch die Haftbedingungen in den Gefängnissen. So verstarben einige Gefangene auf Grund von Nachlässigkeit während ihrer Haftzeit.
Bis heute leidet das Land unter der ungleichen Verteilung des bebaubaren Ackerbodens. Die GroßgrundbesitzerInnen bewirtschaften seit oligarchischen Zeiten fast 70 Prozent des urbaren Bodens. Sie besitzen die fruchtbaren Böden der Cordillera Central, dem Hochplateau, was sich von Nordwesten bis zum Südosten des Landes zieht. Dort besitzen sie riesige Fincas, der größte Teil der Kleinbauern und
-bäuerinnen hingegen muss auf den verbleibenden kargen Böden auf winzigen Parzellen arbeiten. Noch gut jede dritte Familie lebt offiziell von der Landwirtschaft.
Kranke karibische Schönheit
Die Erträge pro Hektar sind in der Dominikanischen Republik die niedrigsten in ganz Lateinamerika, die Arbeitslosenquote liegt im Hinterland bei über 70 Prozent, was die immense Landflucht noch verstärkt. Nicht ohne Grund lebt jedeR vierte DomenikanerIn heute in der Hauptstadt Santo Domingo. Das Leben in der Stadt birgt die Hoffnung, dass es aufwärts geht. Auch wenn die meisten ZuwanderInnen zuerst in den Slums der Metropole landen.
Die aktuelle Krise des Landes ist die Schwerste seit Jahrzehnten. Die Schönheit vom karibischen Meer – sie krankt. Jahrzehntelang galt das Land als karibischer Tiger. Die Dominikanische Republik verbuchte in den vergangenen zwei Dekaden die höchsten durchschnittlichen Wachstumsraten Lateinamerikas. Doch 2002 kam der Einbruch. Auslöser der Wirtschaftskrise war der Zusammenbruch der drittgrößten Bank Baninter, wodurch rund 50 Milliarden Pesos (eine Milliarde Euro) vernichtet wurden und viele KleinsparerInnen ihr Geld verloren. Grund des Banken-Crashs war der für Lateinamerika und die Karibik typische Klientelismus. Auf der Gehaltsliste der Bank standen viele wichtige politische FunktionsträgerInnen, darunter sowohl Präsident Mejía, als auch Kandidat Fernández.
Getrennte Welten
Die Ursachen der Krise liegen jedoch tiefer. Eine davon war das plötzliche Ausbleiben der Auslandsüberweisungen der in den USA lebenden DominikanerInnen. Infolge des Angriffs auf die New Yorker Twin Towers kappten die MigrantInnen ihre Überweisungen an die Familien – immerhin jährlich rund zwei Milliarden US-Dollar – und das Land bekam ein Devisen- und in Folge dessen ein Hun-gerproblem. Dazu gesellte sich die Krise der Internationalen Tourismusindustrie. In der Dominikanischen Republik war der All-Incusive-Tourismus in den letzten vier Jahrzehnten zum boomenden Wirtschaftssektor angewachsen. Hundertausende fanden einen Job als KellnerIn, Zimmermädchen oder Koch. Das Land teilte sich in zwei getrennte Welten: Das touristische All-inclusive-Leben gestaltete sich wie ein Paradies, drum herum fielen lange Schatten – der gesellschaftliche Überlebenskampf der Einheimischen. Der Einbruch der Touristenzahlen nach dem 11. September 2001 traf die Dominikanische Republik wie alle Karibikstaaten knallhart.
Pingpong mit dem Peso
Das größte Problem in der Ökonomie des Landes ist jedoch die anhaltende hohe Inflation, die den Peso in seinen Austauschrelationen schwach hält. Als jüngst die Zentralbank ihre Machtlosigkeit gegenüber der Devisenspekulation offenbarte, wurde das Dilemma sichtbar, indem sich das Land aktuell befindet. Der Peso hat gegenüber dem Dollar und dem Euro zwei Drittel seines Wertes verloren. Bekam man als TouristIn vor zwei Jahren noch 18 Pesos für einen Dollar, ist der Wechselkurs nun bei 50 zu eins, teilweise waren es schon bis zu 60. Sollte sich nun bewahrheiten, dass große private Kapitale mit dem schwachen Peso Pingpong spielen und die Zentralbank machtlos in der Ecke sitzt und zuschaut, dann hat das Land wenig Möglichkeiten, die aktuelle Krise zu meistern.
Klar ist: Sowohl die Exportindustrie in den Zonas Francas als auch die Tourismusindustrie in Punta Cana und Puerto Plata leben mit einem schwachen Peso besser. Sie können ihre Angebote verbilligen. Den Verdacht, dass die Krise ähnlich wie in Thailand 1997 von einigen großen Devisenspekulanten provoziert und damit künstlich geschaffen wurde, wollen die Wirtschaftsintellektuellen im Land nicht bestätigen. Doch sicher ist, darauf verweist die Zentralbank in ihren Entschuldigungen, dass es durch die vom IWF durchgesetzte Liberalisierung des Finanzsektors überhaupt zu dem neuen Kräfteverhältnis zwischen Zentralbank und privaten Kapitalen kommen konnte.
Leere Teller – hohe Preise
Gewerkschafter Ramón Pérez Figuereo, Präsident der Nationalen Transportarbeiter-Gewerkschaft, hält sich mit Prognosen zurück, was eine neue Regierung dem Land bringen könnte. Gegen die Regierung von Hipólito Mejía hatte er zwei Generalstreiks mitorganisiert. Einen im August vergangenen Jahres, der mit fünf toten GewerkschafterInnen endete, den anderen im Januar 2004, bei dem elf Menschen ums Leben kamen. 500 DemonstrantInnen wurden vorläufig festgenommen. „Den ersten Generalstreik haben wir für unser Essen gemacht. Der Teller ist leer und die Preise steigen. Die Regierung Mejía weigerte sich den Mindestlohn zu erhöhen“, sagt Figuereo. Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich teilweise verdoppelt und nach einer Studie des UN-Welternährungsprogramms hungert jedeR fünfte DominikanerIn.
Auch bei Leonel Fernández sei zu unterscheiden „zwischen dem, was er vor der Wahl verspricht und dem was er hinterher tut!“ sagt Figuereo und fügt hinzu. „Gesundheit, Versorgung mit Lebensmitteln, Bildung, das sind unsere Hauptprobleme.“ Er erlebe in seiner Arbeit viel Repression. Nach wie vor verbieten viele Industriebetriebe in den Zonas Francas die gewerkschaftliche Organisation. Und Demonstrationen würden regelmäßig niedergeprügelt.
Auch José Pérez Labour, Direktor vom Fachbereich Ökonomie der UASD (Universidad Autonoma de Santo Domingo), zweifelt daran, dass Leonel Fernández das Land aus der Krise führen kann. Das Land habe noch bis zu zwei Jahre zu kämpfen, um aus der Krise wieder heraus zu kommen.
Was kann der neue Präsident Fernández also tun? Sollte er die Kraft haben, die Mindestlöhne zu erhöhen und damit die Kaufkraft der unteren Bevölkerungsschichten zu verbessern, dann würde er einen Teil der in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllen. Allerdings müsste er dann gleichzeitig die Preise einfrieren. Ob dies in einer stark liberalisierten Volkswirtschaft möglich ist bleibt fraglich. Seine WählerInnen schätzen ihn dafür, dass er in seiner Amtszeit von 1996 bis 2000 die Preise stabil hielt. Nur hatte das Land in diesen vier Jahren durchschnittlich sieben Prozent Wachstum. Nun taumelt es im zweiten Jahr der Rezession und mit rund 15 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden (75 Prozent des BIP) in der Krise. An den Schulden ist das Besorgnis erregende, dass 40 Prozent davon in den vergangenen vier Jahren zusammenkamen. Zwar wurde mit dem Pariser Club eine Vereinbarung zur Schuldentilgung getroffen, nur betrifft diese nicht das von den Kapitalmärkten mit hohen Zinsen belegte geliehene Geld. Nimmt man die gesamten Krisenursachen zusammen, wird es der neue Präsident Fernández nicht leicht haben.
Unter dem Regime von WTO und IWF ist das Spielfeld klar eingegrenzt. Man könnte auch sagen, die Möglichkeiten der neuen Regierung sind so zahlreich wie die Wolken am Himmel über der Dominikanischen Republik. Dieser ist meist tiefblau und wolkenlos.