Dossier | Gewerkschaften | Nummer 495/496 – September/Oktober 2015

„Der internationale Druck war am erfolgreichsten“

Interview mit William Mendoza von Sinaltrainal über Gewerkschaftsarbeit unter Morddrohungen und die Wirkung internationaler Solidarität

Seit mehr als 10 Jahren kämpft die Gewerkschaft von Sinaltrainal für menschenwürdige Arbeitsverhältnisse in den Fabriken von Coca-Cola in Kolumbien. Nach mehreren Morddrohungen und Morden an Mitgliedern der Gewerkschaft hat das Unternehmen aus den USA kaum etwas getan, um einen Dialog aufzubauen und diesen Konflikt zu lösen. Die kolumbianische Regierung zeigt sich unbeeindruckt und leitet juristische Prozesse gegen jeglichen sozialen Widerstand ein. Die einzige reale Unterstützung kommt aus der Solidarität von internationalen Organisationen. Die LN trafen William Mendoza Anfang April in Bogotá, als fünf Coca-Cola-Arbeiter und Sinaltrainal-Mitglieder in Hungerstreik getreten waren, um eine Intervention der Regierung zu erreichen. Im Interview spricht Mendoza über den gewerkschaftlichen Widerstand und die Rolle der Paramilitärs.

Interview: Eric Cortés

Wie gehen Sie heute – nach mehr als 10 Jahren Kampf – gegen Coca Cola vor?
Wir haben auf unterschiedlichsten Ebenen Widerstand geleistet. Wir haben uns an die kolumbianische Justiz gewendet und wir haben eine internationale Unterstützungskampagne gestartet. Im März vergangenen Jahres ist es bei einem Treffen des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs zwischen Sinaltrainal, der kolumbianischen Regierung und der UNP (Nationale Schutzeinheit, Institution mit dem Ziel Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Anwält*innen in Kolumbien, die wegen ihrer Arbeit bedroht werden, zu beschützen, Anm. d. Red.) zu einer gemeinsamen Vereinbarung gekommen. Darin verpflichtet sich die Regierung, ein Treffen mit Coca-Cola zu erzwingen, um über den Konflikt zu reden.
Bis heute hat die Regierung diese Abmachung nicht erfüllt. Coca-Cola will absolut nichts von uns wissen. Sie zwingen uns dazu, diese Art von Protest zu führen, den Hungerstreik. Wir müssen neue Wege finden, auf diese Problematik aufmerksam zu machen. Die Gewerkschaft hat sogar die Bevölkerung und unterstützende Organisationen aufgerufen, bei Coca-Cola Beschwerde einzulegen, um einen Dialog mit uns zu erreichen und dem Konflikt ein Ende zu setzen. In der Tat hat der internationale Druck am meisten Erfolg gebracht.
Heute interessiert sich die Regierung von Juan Manuel Santos nicht für dieses Problem. Das Unternehmen mit Hauptsitz in den USA ist fast unberührbar. Aber wir arbeiten weiter.

Welche Organisationen bieten Ihnen Unterstützung in diesem Prozess?
Die Vereinten Nationen, die italienischen Basisgewerkschaften Cobas und das Solidaritätsnetzwerk Red de Hermandad y Solidaridad con Colombia aus Berlin, sowie Gewerkschaften aus Nicaragua und USA. Das sind einige der Organisationen, die uns unterstützen und begleiten.

Welchen Einfluss hat die Intervention der internationalen Organisationen im Konflikt?
Auf verschiedene Weise haben uns die interna­­tionalen Kampagnen geholfen. Gegen 30 von uns bei Sinaltrainal läuft ein Gerichtsverfahren. Zum Beispiel habe ich ein Verfahren wegen mutmaßlichen Terrorismus und Bildung einer kriminellen Vereinigung, weil wir von Paramilitärs angezeigt wurden. Nach Auffassung der kolumbianischen Justiz sind wir angeblich Terroristen!
Aber der internationale Druck hat dieses Verfahren beeinflusst. Die Aufmerksamkeit der verschiedenen Nichtregierungs-Organisationen auf den Prozess hat zugelassen, dass uns alle Grundrechte gewährt wurden: Die Unschuldsvermutung und das Recht auf Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft kommt nicht weiter im Prozess, weil immer wieder NGOs und andere Institutionen nachforschen, wie die aktuelle Situation ist und welche Beweise vorgelegt werden. Da wir unschuldig sind, gibt es natürlich keine Beweise und dank dieser internationalen Beobachtung sind wir seit 2008 auf freiem Fuß. Darüber hinaus haben wir während der Kampagne gegen Coca-Cola in den US-amerikanischen Universitäten viel Unterstützung bekommen. Es konnte ein Treffen mit dem Unternehmen erreicht werden, doch auf Grund von mangelnden Englisch-Kenntnissen haben wir damals eine falsche Entscheidung getroffen und ein vertrauliches Dokument unterschrieben, sodass wir hinterher nichts mehr machen konnten.
Es gibt ungefähr 80 Compañeros, die Morddrohungen erhalten haben Mich eingeschlossen. Die internationalen Organisationen haben in diesen Fällen die kolumbianische Regierung dazu verpflichtet, uns Schutz zu gewähren, sodass uns nichts geschieht. Das sind die Vorteile und Ergebnisse dieser Zusammenarbeit zwischen der Gewerkschaft und der internationalen Öffentlichkeit.

Wie ist es zu diesem juristischen Verfahren gekommen und wie war der Ablauf?
In einem Kommuniqué von 1998 räumte die EPL (Guerilla-Gruppe, Anm. d. Red.) ein, die Bombe im Coca-Cola-Gebäudekomplex in Barancabermeja gelegt zu haben. Sinaltrainal initiierte eine Kampagne gegen die Schließung der Fabrik und den Verlust von mehr als 115 Arbeitsplätzen. Beteiligt waren die Kirche, der Stadtrat und Vertreter der Regierung für den Frieden in Santander. Es gab einen großen Unmut gegenüber der EPL, weil neben dem Attentat auf das Unternehmen auch Straßenbau-Pläne verhindert wurden. Mit der Unterstützung von sozialen Organisationen in Barancabermeja, darunter die Erdölgewerkschaft USO, starteten wir eine Aktion humanitärer Hilfe und erreichten damit, dass sich diese Guerilla-Gruppe zurückzog und die Fabrik wiedereröffnet wurde.
Die Paramilitärs merkten, dass wir viel bewegt haben und es kam zu den Anklagen. Ein Kommandant der Paramilitärs, Wilfred Martínez, organisierte ein Plot gegen Juan Carlos Galvis, Vorsitzender Sinaltrainals in Kolumbien und gegen mich. Er behauptete, dass wir die Bombe platziert hätten, was nach dem Gesetz 975 für Gerechtigkeit und Frieden strafmildernd für ihn wirken kann. So werden aus falschen Aussagen Schutzmechanismen für Paramilitärs und der EPL erzeugt. Das Ganze ist zudem mit dem „Kartell der falschen Zeugen“ (die Zahl der Verurteilungen auf Grund von Falschaussagen im Zuge des Gesetztes „Gerechtigkeit und Frieden“ ist noch unklar, Anm. d. Red.) verknüpft. So kam es zum Prozess. Coca-Cola profitiert von all dem.

Welche Gruppen sind heute an den Drohungen beteiligt?
Heute nennt die Regierung diese Gruppen kriminelle Banden. Aber das sind immer noch dieselben paramilitärischen Strukturen wie früher. Die Drohungen richten sich gegen uns, weil wir Hungerstreiks organisieren, weil wir die Protestbewegung der Landwirte unterstützen, die Studentenbewegung und sogar weil wir die LGBTI-Bewegung unterstützen. Deshalb erhalten wir ständig Morddrohungen, wie 2013 im Fall von Juan Carlos Galvis. Aber diese Regierung ist völlig unfähig, die paramilitärischen Organisationen zu bekämpfen. Deren Strukturen sitzen tief im Kongress und in der kolumbianischen Oligarchie.
Hier auf der Plaza Simón Bolívar sitzen einige Menschen, deren Leben bedroht worden sind. Durch unsere Hungerstreikaktion werden leider mehr Drohungen entstehen.

William Mendoza
Vorsitzender der Gewerkschaft Sinaltrainal – Barrancabermeja in Santander, hat aufgrund seiner Tätigkeit und seines gewerkschaftlichen Engagements mehrmals Morddrohungen erhalten. Sinaltrainal steht für Nationale Gewerkschaft der Arbeiter der Lebensmittelindustrie in Kolumbien und wurde in den 1980er Jahren im Zuge des Widerstandskampfes gegen Nestlé gegründet. Die Gewerkschaft kämpft für die Anerkennung der Arbeitnehmer*innenrechte und gegen die ausbeuterische Politik von (multi-)nationalen Konzernen. Bekannt wurde sie 2003 durch die internationale Kampagne „Killer Coke“.

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