Argentinien | Nummer 303/304 - Sept./Okt. 1999

Der König dankt ab

Am 24. Oktober wählt Argentinien einen neuen Präsidenten

Mit den kommenden Präsidentschaftswahlen wird sich Carlos Menem endgültig von der Macht verabschieden müssen. Es ist ruhig geworden um einen Mann, der die Geschicke Argentiniens zehn Jahre lang beinahe im Alleingang beherrschte. Am 24. Oktober steht jedoch nicht nur die politische Stellung Menems, sondern auch die seines Partido Justicialista (PJ), allgemein bekannt als „Die Peronisten“, zur Disposition. Der Spitzenkandidat des Oppositionsbündnisses Alianza, Fernando De la Rúa, ist sich sicher, daß er am 10. Dezember in der Casa Rosada, dem Präsidentenpalast im Herzen der Hauptstadt, die Amtsgeschäfte wird aufnehmen können. Vielleicht zu sicher, denn trotz der positiven Umfrageergebnisse, nach denen De la Rúa mit großem Vorsprung vor dem peronistischen Kandidaten Eduardo Duhalde landen wird, ist jetzt noch einmal Bewegung in die Szenerie gekommen.

Michael Goebel

Seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 1816 war Argentinien formal eine Republik. Das änderte sich ein wenig, als 1989 der Peronist Carlos Menem, „el Rey de Argentina“ (Der König von Argentinien), wie ihn die linksliberale Tageszeitung Pagína12 einmal nannte, zum Präsidenten gewählt wurde. Tatsächlich erinnert sein Regierungsstil eher an einen absolutistischen Herrscher als an einen demokratisch gewählten Präsidenten.

Opposition in den Startlöchern

Doch für Menem hat jetzt der Herbst begonnen. 1994 war es ihm noch gelungen, durch geschickte Manöver die Verfassung zu ändern, so daß sie ihm eine Amtszeit erlaubte. Um ein drittes Mal kandidieren zu können, wollte er die Verfassung diesmal mit Hilfe der ihm wohlgesonnenen Justiz zu seinen Gunsten interpretieren lassen. Dieses Vorhaben hat jedoch nun als letzter auch er selbst abgeschrieben, so daß mit den Wahlen eine Ära endet.
Auf Menems massiven Popularitätsverlust gründet der Spitzenkandidat der Oppositionsallianz und derzeitige Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires, Fernando De la Rúa, seine Hoffnungen. Die Alianza ist ein 1997 vollzogenes Bündnis der beiden wichtigsten Oppositionsparteien, der liberalen Unión Cívica Radical (Radikale Bürgerunion, UCR) und der linken Frente para un País solidario (Front für ein solidarisches Land, FREPASO).
Bei den Teilwahlen zum Abgeordnetenhaus im Oktober 1997 konnte die Alianza bereits 110 von 257 Sitzen erringen (vgl. LN 282). Doch erst durch die Zerstrittenheit innerhalb des PJ legte sie seit Februar in der Wählergunst deutlich zu. Ihrem Kandidaten De la Rúa werden für den 24. Oktober derzeit zehn Prozentpunkte Vorsprung vor dem PJ-Anwärter Eduardo Duhalde vorausgesagt. De la Rúa scheint sich seiner Sache schon jetzt ganz sicher und plant in aller Öffentlichkeit für die Übergangszeit bis zum 10. Dezember, in der Menem zwar schon abgewählt, aber immer noch Amtsinhaber sein wird.

Vorsicht ist geboten

In letzter Zeit kam jedoch noch ein wenig Bewegung in die politische Szenerie, so daß sich De la Rúa keinesfalls in Sicherheit wähnen kann. Zunächst einmal wurden die Differenzen zwischen Duhalde und anderen Granden seiner Partei weitgehend beigelegt. Zwar beschwert er sich nach wie vor über fehlende Unterstützung durch die Parteispitze, doch seit er in den internen Wahlen des PJ offiziell zu dessen Kandidaten gekürt wurde, muß er immerhin keine öffentlichen Breitseiten gegen Menem mehr abfeuern. Und auch mit Carlos Ruckauf, im Moment noch Vizepräsident und Innenminister, scheint sich Duhalde geeinigt zu haben. Ruckauf wurde zum PJ-Kandidaten für den wichtigen Posten des Gouverneurs der Provinz Buenos Aires ernannt und fischt jetzt in den villas miserias, den armen Vororten der Hauptstadt, im trüben rechten Rand nach Wählerstimmen. Mit Parolen wie „Eine Kugel für jeden Kriminellen“ glaubt er bei den parallel stattfindenden Provinzwahlen die Gegenkandidatin Graciela Fernández Meijide (FREPASO) ausstechen zu können.

Von der Opposition gelernt

Auch Meijide wurde nach den primarias, den parteiinternen Wahlen zur Bestimmung des Präsidentschaftskandidaten, mit einer Kandidatur für die Gouverneurswahlen der weitaus größten Provinz Buenos Aires abgespeist. Sie kandidiert dort also gegen Ruckauf, der angesichts der Übermacht der Linken in der Hauptstadt und ihrer Vororte verzweifelt versucht, die Bevölkerung mit seinen „Law and order“– und tolerancia cero–Konzepten einzufangen, die ein hartes Durchgreifen gegen jede Ordnungswidrigkeit ankündigen.
Das Ergebnis der KandidatInnenkür im November 1998 (vgl. LN 295) hatte im Wesentlichen zwei Folgen: Weil sich statt Meijide der liberale De la Rúa durchgesetzt hat, unterscheiden sich die politischen Programme der beiden wichtigsten Präsidentschaftskandidaten im Oktober nicht wesentlich voneinander. Duhalde und De la Rúa sind sich einig, die neoliberale Wirtschaftspolitik Menems fortführen und Kriminalität und Korruption bekämpfen zu wollen. Eine wirkliche Richtungsentscheidung zwischen links (Meijide) und rechts (Ruckauf) wird es wohl nur in der 13-Millionen-Provinz um die Hauptstadt geben.
Eine Einigung zwischen so verschiedenen Parteien wie der UCR und der FREPASO war lange gar nicht für möglich gehalten worden. Die zehn Prozentpunkte Vorsprung hat De la Rúa wohl auch mehr der Geschlossenheit zu verdanken, mit der die Alianza in letzter Zeit aufgetreten ist, denn besonders die konservativen Kreise der Öffentlichkeit spekulieren über das Auseinanderbrechen der Alianza im Falle ihres Wahlsieges und sehen chaotische Zustände auf Argentinien zukommen. Noch ist aber alles ruhig in den Reihen der Opposition.

Wahlsiege für Peronisten

Der PJ scheint ebenfalls dazugelernt zu haben. Auch bei den Peronisten demonstriert man neuerdings wieder Einigkeit. Selbst mit seinem Intimfeind Carlos Reutemann schloß Duhalde vor kurzem ostentativ Freundschaft bei einem Bummel durch die Fußgängerzone von Santa Fe. Die Versöhnung war wahltaktisch bitter nötig, steht doch Reutemann seit dem 8. August für den erfolgsorientierten Peronismus. Zwar war bei den Gouverneurswahlen von Santa Fe, der zweitgrößten und traditionell konservativen Provinz, ein Sieg des PJ-Kandidaten vorhergesagt worden. Dieser fiel dann aber mit sechzehn Prozentpunkten Vorsprung vor dem Kandidaten der Alianza überraschend deutlich aus. Die Peronisten brauchen diese Siege im Hinterland, da sie in der Hauptstadt keinen Fuß in die Tür kriegen werden. Und sie konnten in diesem Sommer nicht nur in Santa Fe triumphieren, sondern zudem in fünf weiteren Provinzen, darunter auch Córdoba.
Neben diesen für die Alianza ein wenig beunruhigenden Entwicklungen der letzten Zeit wird bei den Präsidentschaftswahlen vielleicht noch eine dritte Kraft für Unruhe sorgen: Domingo Cavallo, der ehemalige Wirtschaftsminister Menems, mit seiner nach dem Rausschmiß aus dem PJ neugegründeten Acción por la República. Zwar rechnen Wahlforscher kaum mit einem Erfolg der im rechten Spektrum anzusiedelnden Partei. Doch hatte Cavallo mit seinen spektakulären Medienauftritten Erfolg. Wie ein Springteufelchen platzte er einmal vollkommen unerwartet in einen Fernsehauftritt Menems und warnte vor einer schreckenserregenden Rezession, falls er nicht umgehend wieder auf seinen Posten als Wirtschaftsminister gesetzt werde. Und im August konnte seine Partei einen Abgeordneten aus dem tiefen Süden in den Kongress schicken. Doch ist Feuerland die nach Einwohnern kleinste Provinz Argentiniens. Bei den Wahlen gilt er so auch als Außenseiter ohne Chancen auf das Amt des Präsidenten. Allerdings könnte er einen zweiten Wahlgang verursachen, falls im ersten Versuch keiner der beiden Favoriten eine absolute Mehrheit erreichen sollte.

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