Bolivien | Nummer 332 - Februar 2002

Der Mallku und die 1000 Traktoren

Mit einem Kuhhandel zur Mechanisierung der Landwirtschaft auf dem Altiplano

Zur Beendigung der landesweiten Straßenblockaden im Juni und Juli 2001, versprach die Regierung den Bauern 1.000 Traktoren sowie 47 Millionen Dollar für die Entwicklung der Landwirtschaft. Eingelöst wurde davon bisher nichts, und die nach und nach ans Licht der Öffentlichkeit gelangten Einzelheiten über den geplanten Kauf der Traktoren lassen an der Ernsthaftigkeit der Regierung zweifeln. Bauernführer Felipe Quispe, der Mallku, sieht sich in Kungeleien mit führenden Regierungspolitikern verstrickt und droht mit der erneuten Mobilisierung seiner Basis.

Marc Zackel

In einem 70 Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog hatte die bolivianische Regierung am 23. August 2001 den Bauerngewerkschaften erhebliche Zugeständnisse gemacht, um das Ende der erneuten landesweiten Straßenblo- ckaden zu erreichen. Der erst kurz zuvor neu ins Präsidentenamt eingeführte Jorge “Tuto” Quiroga brauchte Ruhe im Land, und so wurden von der neuen Regierung kaum einzulösende Forderungen pauschal unterschrieben. Um den radikalen Aymara (Aymara: Indígena-Gruppe im Altiplano) und Bauernführer Felipe Quispe war es in diesen Monaten eher still geworden. Auch von der von ihm Ende 2000 mit viel Zeremoniell und öffentlichem Aufsehen gegründeten Aymara-Partei (siehe LN 317) war nicht einmal am Jahrestag der Gründung, dem 14. November, mehr die Rede. Nun fordert Quispe als Führer des Dachverbandes der Bauerngewerkschaften CSUTCB die Einlösung der Versprechen von der Regierung.
Die Regierung behauptet, die Hälfte der Forderungen sei bereits umgesetzt und man wäre weiterhin an der Arbeit: Die Blockade-Opfer vom November 2000 seien entschädigt, die Strom-Kooperative zurück in die Hände der ländlichen Bevölkerung gegeben und die Basisgesundheitsversicherung für die indígene Bevölkerung erfolgreich auf den Weg gebracht.
Die CSUTCB hält dem entgegen, dass lediglich 20 Prozent der Forderungen eingelöst seien und es derzeit keinerlei Bewegung gäbe: Die versprochenen 47 Millionen Dollar für die landwirtschaftliche Entwicklung seien nicht in Sicht, ebenso wenig die versprochenen 3,8 Millionen Hektar Fiskalland oder die 1.000 Traktoren.

Trekker-Kauf per Regierungs-Dekret

Wie erst Mitte Januar 2002 durch Äußerungen des Landwirtschaftsministers Wálter Núnez bekannt wurde, hatte es bereits zu Jahresanfang 2000 Verhandlungen zwischen Felipe Quispe und der damaligen Regierung von Hugo Banzer über den Kauf von 1.000 Traktoren gegeben. Motivation und Hintergrund der damaligen Gespräche sind noch nicht geklärt, doch gibt es ein Regierungs-Dekret vom 16. März 2000, in dem die Bereitstellung von 8 Millionen Dollar zur Finanzierung der Traktoren für die Bauern des Altiplano angewiesen wird. Unklar ist bisher auch, warum der Kauf von 1.000 Traktoren später bei den Forderungen der Wortführer der heftigen landesweiten Blockaden vom April und Oktober des Jahres 2000 keine Erwähnung fand.
Fest steht immerhin, dass der Mallku Quispe im gleichen Oktober 2000 mit dem damals noch stellvertretenden Landwirtschaftsminister Wálter Núnez nach Brasilien geflogen ist, um mit einem möglichen Importeur von Massey-Ferguson-Traktoren zu verhandeln. Auch der weitere Hergang der Ereignisse lässt sich mittlerweile gut rekonstruieren: Am 20. Oktober 2001, also ein Jahr nach der Brasilien-Reise, unterschrieb Felipe Quispe in La Paz und im Beisein von Wigberto Rivero, dem Minister für Bauern-Angelegenheiten, mit der brasilianischen Importfirma eine Vereinbarung über den Kauf von 1.000 Traktoren. Wenig später, am 19. November 2001, verabschiedet die Regierung Quiroga ein weiteres Dekret, das die Bestimmungen des Dekretes vom März 2000 bekräftigt und gleichzeitig die Auszahlung der ersten 50 Prozent der zugesagten 8 Millionen Dollar autorisiert. Bis hierhin scheint das Verfahren, wenn auch wenig transparent, doch einer gewissen Logik zu folgen.
Im Dezember 2001 erfolgt eine plötzliche Kehrtwendung der Regierung. Der Kauf der Traktoren könne nicht erfolgen, da keine öffentliche Ausschreibung gemacht worden sei; dies sei aber bei Anschaffungen der Regierung von über 60.000 Bolivianos (ca. 9.000 US-Dollar) gesetzlich vorgeschrieben, hieß es nun. Ein wenig stichhaltiges Argument, denn es war vereinbart worden, dass die Bauern für Auswahl und Kauf der Traktoren zuständig sein sollten und die Regierung ihrerseits das Geld über ländliche Finanzorganisationen kanalisieren würde. Auch muss man sich fragen, ob die Regierung sich dieser gesetzlichen Bestimmung etwa im gesamten vorigen Jahr nicht bewusst war. Zu den weiteren Ungereimtheiten gehört, dass bei der Nachbesserung des Haushalts 2001 im Juli des Jahres kein Titel für den Kauf von Traktoren ausgewiesen wurde. Hat die Regierung also tatsächlich nie beabsichtigt, ihr Versprechen einzuhalten?

Hinhaltetaktik der Regierung

Die Reaktion von Felipe Quispe ließ nicht auf sich warten: „Die Regierung versucht uns auszuboten, zu betrügen. Sie stehen noch immer nicht zu ihrer Unterschrift mit Bauernführern, wie schon in der Kolonialzeit. Die (spanischen) Vize-Könige sagten, ‘wir stellen das Gesetz nicht in Frage, doch wir halten uns nicht daran’. Heute sagen ihre Nachfahren, ‘wir unterschreiben, aber wir halten nicht ein’.” Dem setzt der Minister für Bauern-Angelegenheiten Rivero das Versprechen über die Lieferung der ersten 300 Traktoren bis Februar entgegen.
Es sieht alles danach aus, als würde die Regierung, so wie Quispe behauptet, auf Zeit spielen, um sich bis zu den Wahlen im Juni über die Runden zu retten. Oder spekuliert sie darauf, dass die Kungeleien Quispes mit Regierungsvertretern aufgedeckt werden und so dessen Stellung innerhalb seiner Gefolgschaft schwächen wird?

Druckmittel Wahlboykott

Was bei der Debatte um das Vorgehen und die Vorgeschichte der 1.000 Traktoren auf der Strecke bleibt, ist die Diskussion um eine neue Landwirtschaftspolitik für das Altiplano, ganz zu schweigen vom Fehlen einer kohärenten Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums generell. Hier müssten sich sowohl die Regierung als auch Gewerkschaftsführer Quispe verschiedene Fragen gefallen lassen: Warum müssen es unbedingt Traktoren sein für das karge Altiplano? Gäbe es nicht kreativere und vielversprechendere Formen der ländlichen Entwicklung? Was ist beispielsweise mit dem Anbau bestimmter Gemüsesorten in Treibhäusern, der Herstellung von Kunsthandwerk nach internationalem Geschmack, der touristischen Entwicklung in Händen der ländlichen Bevölkerung? Die Begrenzung der Forderungen auf symbolträchtige 1.000 Traktoren scheint eher geeignet, das Image eines autoritären Bauernführers zu stärken, als tatsächlichen einen relevanten Entwicklungsbeitrag zu leisten. Also ebenfalls nur ein Ablenkungsmanöver für eigentlich andere Ziele? Durchaus möglich, denn auch der Mallku befindet sich im Wahlkampf.
Anfang Januar diesen Jahres jedenfalls schrieb das Landwirtschafts-Ministerium der CSUTCB den Text für eine öffentliche Ausschreibung vor, die bis ins Detail auf die Charakteristika der bereits vor einem Jahr von Felipe Quispe und dem jetzigen Landwirtschafsminister Rivero ausgesuchten Massey-Ferguson-Traktoren passte. Felipe Quispe protestierte erneut gegen dieses Vorgehen. Als die Regierung auf der Ausschreibung beharrte, verließ der Mallku den Verhandlungstisch und drohte mit der Mobilisierung seiner Basis sowie dem Boykott der für den 30. Juni diesen Jahres angesetzten Präsidentschaftswahlen. „Wir werden boykottieren. Wir verfügen noch immer nicht über ein Instrument der politischen Vertretung verfügen. Warum sollten wir dann also jemanden von diesen Schurken wählen?”, erklärte er der Presse.
Am 14. Januar zog Quispe mit seinen Anhängern in einem Protestmarsch durch La Paz. Der Führer der Coca-Bauern des Chapare, Evo Morales, zog mit seinen cocaleros zeitgleich durch das Zentrum von Cochabamba. Beides war wohl mehr eine erste Drohgeste an die Regierung. In Cochabamba und dem Chapare stehen die Zeichen auf Sturm, seit es bei Auseinandersetzungen um die von der Regierung verfügte Schließung eines bis dato legalen Coca-Marktes zu mehreren Toten auf beiden Seiten gekommen ist. Die Prognosen für die weitere Entwicklung sind hier mehr als düster. Über das weitere Vorgehen der campesinos will Gewerkschaftsführer Quispe auf dem für Ende Januar angesetzten Generalkongress der Landgewerkschaften entscheiden.

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