Mexiko | Nummer 509 – November 2016

DER PROTEST IST UNGEBROCHEN

Der Lehrer*innenstreik in Mexiko ist vorbei, doch der Widerstand geht weiter

Der Streik der linken Lehrer*innengewerkschaft CNTE gegen die umstrittene Bildungsreform wurde Mitte September für beendet erklärt. Inzwischen sind auch die letzten Lehrer*innen aus den südlichen Bundesstaaten Oaxaca, Chiapas, Guerrero und Michoacán in die Klassenräume zurückgekehrt, nachdem bereits am 22. August das Schuljahr begonnen hatte. Bildungsminister Aurelio Nuño Mayer betonte, dass sich die angekündigten Gespräche auf lokaler Ebene nur mit administrativen Fragen, nicht aber mit Änderungen oder gar der Aussetzung der Bildungsreform befassen werden.

Von Robert Swoboda

Macht und Gewalt sind in Mexiko nicht zu trennen. Während der viermonatige Streik der Lehrer*innengewerkschaft CNTE ebenso beendet wurde wie die gewaltsame Repression der Regierung gegen die streikenden Lehrer*innen, geht der Kampf um die Deutungshoheit über die Anliegen und Methoden der bereits 2013 vom Parlament beschlossenen Bildungsreform weiter. Beide Seiten halten die Überarbeitung des veralteten Bildungssystems für notwendig, doch eben aus unterschiedlichen Perspektiven. Dass mexikanische Schüler*innen bei Pisa-Umfragen regelmäßig sehr schlecht abschneiden ist dabei kein Streitpunkt. Die enorme Ungleichheit bei der Verteilung von Geldern zwischen sozioökonomisch starken und schwachen Teilen des Landes – wobei den jahrgangsübergreifenden Schulen in armen ländlichen Gemeinden die geringsten Mittel zur Verfügung stehen – bemängeln die benachteiligten Schulen. Diese konzentrieren sich vor allem im Süden Mexikos, wo die CNTE die meisten Mitglieder hat.
Ein Dorn im Auge der Regierung ist vor allem der traditionell starke Einfluss der Gewerkschaft unter anderem bei der Vergabe von Arbeitsplätzen, die oft nicht nach objektiven Kriterien, sondern nach klientelistischen Motiven vergeben werden. Dem soll eine regelmäßige Evaluation der Lehrkräfte entgegenwirken, die Lehrer*innen bei Nichtbestehen den Beruf kosten würden. Gegen eine solche „bestrafende Evaluierung“ wehrt sich die CNTE seit Jahren, nicht aber gegen eine Bewertung ihrer Arbeit als solcher. Sie argumentiert, dass mit einer Sanktionierung nicht die strukturellen Probleme beseitigt, sondern durch die Unsicherheit des Arbeitsplatzes sogar verschärft würden. Außerdem sei die Bewertung einseitig, da es in den ländlichen Gemeinden Mexikos neben der Wissensvermittlung auch um die ergänzende soziale Arbeit der Lehrer*innen gehe. Laut CNTE haben bereits 25.000 Beschäftigte im Bildungswesen ihren Arbeitsplatz verloren. Die Protestierenden werfen der Regierung darüber hinaus die Deregulierung des Bildungssystems vor, wodurch dessen Privatisierung ermöglicht würde.
Als am 15. Mai die Lehrer*innen mit einer Mahnwache vor dem Innenministerium in Mexiko-Stadt ihren Protest begannen und in mehreren Bundesstaaten Schulen geschlossen blieben, war noch nicht abzusehen, wie weit der Streit eskalieren würde. Dass dieses Thema großes Potenzial für Mobilisierung und anschließende Repression birgt, wurde allerdings schon im Vorjahr bewiesen (LN 495/496). Der Streik dieses Jahr kostete im Verlauf der vier Monate mindestens elf Menschen das Leben und einigen Gewerkschaftsfunktionär*innen die Freiheit. Im Juni erreichte die Auseinandersetzung ihren traurigen Höhepunkt als die Regierung mit Hilfe der Bundespolizei versuchte, den Streik zu beenden und strategisch wichtige Straßen und Orte im Bundesstaat Oaxaca von Streikposten und Barrikaden zu räumen (LN 505/506). Zwischenzeitlich begonnene Gespräche der Konfliktparteien wurden ergebnislos abgebrochen. Die Regierung hat das Ende des Streiks erreicht, nicht jedoch das der Proteste, da die CNTE ein Mitspracherecht bei der Reform fordert. Die von Bildungsminister Nuño Anfang Oktober angekündigten Gespräche bergen mit der bisherigen Kompromisslosigkeit damit auch den Zündstoff für kommende Auseinandersetzungen.

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