Nummer 373/374 - Juli/August 2005 | Regionale Integration

Die Achse der Subversion

Chávez und Castro kontern mit ALBA auf ALCA

Kuba macht den Unterschied. Die Karbikinsel ist das einzige Land der Region, das nicht in die Planungen der von den USA initiierten gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA einbezogen ist. Und Kuba ist das einzige Land, das bisher dem Gegenstück von ALCA, der ALBA-Initiative des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, bereits beigetreten ist. ALBA steht für den Traum einer sozialen Integration Amerikas, ALCA für das Ziel der beschleunigten Integration Lateinamerikas als verlängerte Werkbank und Rohstofflieferant in die Wirtschaft der USA. Kurzfristig haben beide keine Perspektiven.

Martin Ling

Die USA wissen nicht so recht, was sie tun sollen. Ist ALBA ernst zu nehmen oder doch nur ein Witz? „Ein Witz im Vergleich zu ALCA, die einen ernsthaften Prozess darstellt, der von 34 Staaten (allen Ländern des Kontinents außer Kuba) freiwillig auf die Bahn gebracht wurde und bereits drei Mal von den Regierungen bestätigt wurde, einschließlich der von Chávez“, hieß es jüngst aus Washington über die gesamtamerikanische Freihandelszone (ALCA), die ihren für Jahresbeginn 2005 geplanten Start wieder einmal auf unbestimmte Zeit verschieben musste. In der Tat ist die Bolivarianische Alternative für die Amerikas (ALBA) noch nicht weit gediehen. Sie ist aber auch noch jung. Erst am 14. Dezember 2004 wurde in Havanna von den Präsidenten Kubas, Fidel Castro Ruiz und Venezuelas Hugo Chávez Frías die Gründungserklärung unterzeichnet. Eine Erklärung, die ehrgeizige Ziele formuliert: ALBA hat das Ziel, die Gesellschaften der Länder Lateinamerikas und der Karibik so zu ändern, dass sie gerechter, gebildeter, solidarischer werden und sich durch größere Mitbestimmung auszeichnen. ALBA ist als eine integrale Entwicklung zu verstehen, welche die sozialen Ungleichheiten aus dem Weg räumt, die Lebensqualität sowie eine wirksame Partizipation der Völker an der Gestaltung ihrer Zukunft fördert. Das ist Zukunftsmusik, doch in Havanna wurden auch erste konkrete Schritte zwischen Venezuela und Kuba unternommen. Mit venezolanischem Kapital wurden zwei Unternehmen gegründet. Es handelt sich um Filialen des staatlichen Erdölkonzerns Petróleos de Venezuela (PDVSA) und der Venezolanischen Industriebank (Banco Industrial de Venezuela).

Erdöl schmiert Integration

Damit der bilaterale Handel besser floriert, wurde die Eröffnung einer Filiale der Kubanischen Außenhandelsbank in der venezolanischen Hauptstadt Caracas beschlossen und Verträge über die Lieferung von venezolanischen Produkten im Wert von 412 Millionen Dollar unterzeichnet. Zudem liefert Venezuela täglich 80.000 Barrel à 159 Liter Erdöl zu Vorzugsbedingungen nach Kuba. Im Gegenzug exportiert Kuba vor allem medizinisches Personal: Unglaubliche 20.000 kubanische Ärzte sollen inzwischen in Venezuela tätig sein. Dass der Integrationsprozess vorankommt, hat zwei zentrale Gründe: den politischen Willen auf beiden Seiten und die sprudelnden Erdöleinnahmen, die Chávez seinen politischen Vorstellungen entsprechend im Land und in der Region investiert. So haben sich Caracas und Havanna geeinigt, den Plan Milagro zur Behandlung von Augenkrankheiten auf hunderttausend bedürftige Lateinamerikaner auszuweiten.
Doch nicht nur Chávez setzt auf einen verstärkten intraregionalen Handel. 196 venezolanische Firmen nutzten das ALBA-Treffen, um ihre Produkte auf dem Messegelände der EXPOCUBA auszustellen: Von Nahrungsmittelproduzenten über Kleidungs- und Schuhhersteller bis hin zu Haushalts- und Industriegerätefirmen. Wenn Chávez Castro Kredit gibt, so ihre simple Rechnung, ist das von Devisenknappheit geplagte Kuba durchaus ein lohnender Absatzort. Eine Praxis, die reiche Industriestaaten übrigens schon längst üben: mit direkten Exportsubventionen oder über indirekte Exportkreditversicherungen werden die Absatzmöglichkeiten ihrer privater Unternehmen im Ausland verbessert. Schließlich sichert das neben Profiten auch Arbeitsplätze.

Mit ALBA gegen ALCA

Die Integration mit Kuba ist für Chávez freilich nur ein Mosaikstein. „Wir müssen weit über die kubanisch-venezolanische Kooperation hinausgehen“, Im selben Atemzug bietet der venezolanische Präsident den USA und Kanada an, doch ALBA beizutreten. Denn von ALCA hält Chávez nichts: „ALCA ist dazu da, Lateinamerika zu zerstören und für immer in der Unterentwicklung zu halten.“ Töne, die in den USA nicht gut ankommen. Otto Reich, einflussreicher Lateinamerikaberater von Bush, spricht von der „Achse der Subversion.“ „Die Kombination von Castros gefährlichem Genie, seine Erfahrung mit politischer Kriegsführung und verzweifelten wirtschaftlichen Situationen und Chávez’ unbegrenztes Geld und Rücksichtslosigkeit gefährden den Frieden in der Region“, brachte Reich in einem Artikel seine Besorgnis zum Ausdruck. Castro trug Reichs Worte zur Volksbelustigung in Havannas Karl-Marx-Theater vor und auch Chávez zeigte sich amüsiert: „Wenn wir von einer Achse sprechen, dann von einer Achse, die sich in alle Richtungen ausbreitet und sich in Menschenmassen verwandelt, die aufbegehren.“
Das ist zwar übertrieben, aber das wachsende Selbstbewusstsein Lateinamerikas ist nichtsdestotrotz augenfällig. Sei es, dass erstmalig mit dem Chilenen José Miguel Insulza ein Nicht-USA-Kandidat zum Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten gewählt wurde, oder dass Chávez während der Lateinamerika-Tour der USA-Außenministerin Condoleezza Rice Ende April verbale Rückendeckung erfuhr. Der Brasilianische Präsident Lula forderte Rice auf, die Souveränität Venezuelas zu respektieren und sein chilenischer Amtskollege Lagos forderte sie zu rhetorischer Mäßigung auf. Nur in Kolumbien fand Rice’ Kritik an Venezuela als regionaler Destabilisierungsfaktor überhaupt Anklang.

Integrationsbremse
Auslandsverschuldung

Auch wenn ALBA noch in den Kinderschuhen steckt, kommt der Unmut der USA nicht von ungefähr. Denn das 1990 von Bush senior gestartete Projekt ALCA steckt tief in der Krise. Für Lula steht es im Moment nicht auf der Tagesordnung und sein Außenminister Celso Amorim hält es frühestens 2009 für denkbar. Seit dem letzten Treffen der Handelsminister der am Verhandlungsprozess beteiligten 34 Staaten im November 2003 herrscht de facto Stillstand. Den US-Diplomaten gelang es nicht, ihre Vorstellungen für eine gesamtamerikanische Freihandelszone durchzusetzen: Beispielsweise sollte der Investitionsschutz für Unternehmen, nach Vorbild von Kapitel 11 des NAFTA-Abkommens, über die gesetzgeberischen Rechte der Nationalstaaten gestellt werden. Unternehmen sind demnach schadensersatzberechtigt, wenn sich durch Gesetzesänderungen Profiteinbußen ergeben. Des Weiteren sollten die Bestimmungen über geistiges Eigentum verschärft werden und im öffentlichen Beschaffungswesen sollen die lateinamerikanischen Staaten nicht mehr nationale Unternehmen bevorzugt behandeln dürfen. Nichts von letzteren Punkten findet sich im ausgehandelten Rahmenabkommen, das eigentlich seit Anfang 2005 mit Leben erfüllt werden sollte.
Die USA machen derweil ihre Drohung wahr, mit den weniger widerstandsfähigen oder -willigen Ländern Abkommen zu schließen. Bereits abgeschlossen ist das zentralamerikanische Freihandelsabkommen mit Honduras, El Salvador, Guatemala, Nicaragua und Costa Rica, das im Juni und Juli von US-Repräsentantenhaus und Senat ratifiziert werden soll. Die Strategie der USA hatte der Vorgänger des neuen Handelsbeauftragten Rob Portman, Robert Zoellick in seinem Bericht gegenüber dem Kongress offen benannt: „Tagein und tagaus arbeitet die US-Regierung aggressiv daran, abzusichern, dass Handelshindernisse für US-amerikanische Güter und Dienstleistungen beseitigt werden (…) Die Durchsetzung existierender Freihandelsabkommen ist ein vitaler Beitrag dazu, neue Freihandelsabkommen zu schaffen.“ Die von den USA vorangetriebene Deregulierung dient letztlich der Durchsetzung eines Wirtschaftsprogrammes für den ganzen Kontinent, das US-Konzerne begünstigt. Das ist das Konzept der ALCA.

Gleichberechtigung
ist das Ziel

Das Konzept von ALBA sieht eine gleichberechtigte Integration vor. »Das 21. Jahrhundert sieht uns vereint oder beherrscht.« Diese These vertritt der venezolanische Präsident Hugo Chávez und er handelt danach. Sein strategisches Mittel: der Erdölreichtum Venezuelas. Seine strategischen Partner: Kubas Präsident Fidel Castro, Brasiliens Präsident Lula, und Argentiniens Präsident Néstor Kirchner. Mit Argentinien hat Venezuela Anfang Juli 2004 eine strategische Zusammenarbeit im Energiesektor beschlossen. Eine Zusammenarbeit, die schließlich in die wirtschaftliche, soziale und politische Integration münden soll, so jedenfalls das ehrgeizige Ziel.
So weit gehen die Vereinbarungen Venezuelas mit anderen lateinamerikanischen Staaten außer Kuba noch nicht, doch in Sachen Energie schreitet die Zusammenarbeit voran. Das Interesse an venezolanischem Erdöl, aber auch venezolanischer Technologie ist groß – ob in Kuba, Bolivien, Trinidad oder auch Brasilien. Die Integration in Lateinamerika kommt derzeit voran, weil sie politisch gewollt ist. Doch damit sie nachhaltig Fuß fassen kann, bedarf es mehr als einer Kooperation im Energiesektor und eines Ausbaus des Süd-Süd-Handels, dessen Dynamik durch den Zwang zur Devisenmaximierung der hochverschuldeten Länder begrenzt wird. Die lateinamerikanischen Staaten müssen die Auslandsverschuldung gemeinsam auf die Tagesordnung bringen und gemeinsam auf eine tragfähige Lösung dringen. Bleibt die Auslandsverschuldung in den jetzigen Dimensionen bestehen, sind alle realwirtschaftlichen Integrationsfortschritte auf Sand gebaut. Die Zeit drängt, denn dass gleichzeitig in Brasilien, Argentinien und Venezuela progressive Regierungen im Amt sind, ist eine historische Ausnahmesituation. Sie gilt es zu nutzen und ALBA könnte ein Anfang sein.

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