Nummer 307 - Januar 2000 | Peru

Die Anmaßung der Tattergreise

Die peruanische Regierung gerät mit dem Interamerikanischen

In Peru werden die Rechtsnormen des Interamerikanischen Gerichtshofes nicht anerkannt. Entgegen geltendem Recht setzt die Regierung Fujimori auch für Verfahren gegen die Zivilbevölkerung Militärgerichte ein. Diese zweifelhafte Praxis sicherte sie mit einer Art Ermächtigungsgesetz für die Terrorismusbekämpfung ab. Willkürliche Festnahmen und „kurze Prozesse“ prägen seither die peruanische Rechtslandschaft.

Rolf Schröder

Die peruanische Regierung ist keine Freundin internationaler Rechtsnormen. Im Juni befand der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (Corte Interamericana de Derechos Humanos), die bereits 1993 erfolgte Verurteilung vier chilenischer Aktivisten des Movimiento Revolucionario Tupac Amarú (MRTA) zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe durch ein Miltärgericht sei unrechtmäßig und daher neu zu verhandeln. Doch in Peru sprechen die Militärgerichte bis heute Recht. Mehr als tausend vermeintliche Aktivisten der Guerillaorganisationen Leuchtender Pfad und MRTA wurden von peruanischen Militärgerichten abgeurteilt. Viele von ihnen sind unschuldig. Sie schmoren seitdem zwar nicht in der Hölle, doch sie frieren in Hochlandgefängnissen oder vegetieren in dunklen Löchern dahin.
María Luísa Cuculiza ist eine Frauenministerin, die auf Machos steht. Ihr Chef, der peruanische Präsident Alberto Fujimori, zählt für sie zu den besonders konsequenten Vertretern dieser Kategorie Männer. Dafür applaudiert sie ihm. Denn Frau Cuculiza schreibt es gerade dem Machismo Fujimoris zu, daß er ein Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte energisch zurückgewiesen hat. Der Gerichtshof bestreitet die Rechtmäßigkeit einer bereits 1993 erfolgten Verurteilung vier chilenischer MRTA-Mitglieder durch ein peruanisches Militärgericht und fordert die Wiederholung ihres Prozesses vor einer Zivilkammer. María Luísa Cuculiza empfindet das als Anmaßung. Sie steht mit markigen Worten nicht hinter Fujimori zurück. Die ausländischen Richter sind für sie „Tattergreise“ und nicht genügend mit den peruanischen Verhältnissen vertraut.
Der Interamerikanische Gerichtshof in San José, Costa Rica, arbeitet eng mit der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) zusammen, die in Washington residiert. Im Jahre 1978 verpflichtete sich die damalige peruanische Regierung mit der Ratifizierung des Vertrages von San José, eine festgelegte Menschenrechtscharta zu respektieren. Die Einhaltung des Vertrages wird von der CIDH und dem Gerichtshof überwacht. Alle unterzeichnenden Nationen kamen überein, den Auflagen des Gerichtshofes Folge zu leisten. Doch Peru hält nicht nur bis heute den Rekord bei der Anzahl von Anklagen in San José. Auch in den nächsten Monaten werden VertreterInnen des Andenstaates mehrmals auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Die peruanische Regierung drohte daher Anfang Juli offiziell, Urteile des Interamerikanischen Gerichtshofes künftig nicht mehr anzuerkennen.

Die Terroristenprozesse

Die vier Chilenen aus den Reihen des MRTA waren 1993 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden, obwohl die damalige peruanische Verfassung die Zuständigkeit der Militärgerichte auf Armeeangehörige begrenzte. Das ist auch das tragende Argument in der Urteilsbegründung des Interamerikanischen Gerichtshofes. Doch im gleichen Jahr sicherte die Fujimori-Regierung die Zuständigkeit der Militärjustiz in Fällen von „Terrorismus“ oder „Vaterlandsverrat“ verfassungsmäßig ab. Als Vaterlandsverräter zählen dabei nicht nur Spitzel, die den Erbfeind Ecuador in militärische Geheimnisse einweihen. Gemeint sind vor allem Führungskader des Leuchtenden Pfads und des MRTA. Um welche Tätergruppe es bei den Terroristen geht, zeigte ein Prozeß, in dem sechs Armeeangehörige und ein Zivilist angeklagt waren. Diese hatten zugegeben, 1996 an einem Bombenanschlag gegen einen oppositionellen Fernsehsender in Puno beteiligt gewesen zu sein. Das Gericht wies den Fall zurück und erklärte, aktive Soldaten könnten prinzipiell keine Terroristen sein.
In einer Art Ermächtigungsgesetz stattete der peruanische Kongreß 1993 die Regierung mit allen Vollmachten aus, um ohne parlamentarische Mehrheiten die Strafgesetzgebung in Fällen von Terrorismus ändern zu können. Bis 1997 durften die Militärrichter anonym bleiben. Lautet die Anklage auf Vaterlandsverrat, sind die Verhandlungen entgegen allen gesetzlichen Bestimmungen bis heute geheim. Zackig, wie die Militärs sind, dürfen sie „kurzen Prozeß“ machen. Das Urteil muß binnen zehn Tagen gefällt werden, und das Berufungsverfahren erfordert weitere zehn Tage. Die letzte Instanz, das oberste Milititärgericht, benötigt nur fünf Tage, um den Fall abzuschließen. Die Anwälte der Beschuldigten bekommen nur beschränkten Zugriff auf die Anklageschrift. In vielen Fällen sind die Richter keine ausgebildeten Juristen und verfügen über wenig Gerichtserfahrung. Dafür fallen die Strafen oft deftig aus. Die US-Amerikanerin Lori Berenson wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, obwohl ihr außer einer MRTA-Mitgliedschaft keine weiteren Straftaten nachgewiesen werden konnten.
Sind die Angeklagten selbst Armeeangehörige, urteilen die Offiziere in Robe in der Regel nicht so streng. Die Mörder und Entführer der Studenten von der Universität „La Cantuta“ wurden zu maximal zehn Jahren Gefängnis verurteilt und wegen guter Führung nach zwei Jahren begnadigt. Höhere Offiziere waren in dieses Verbrechen selbstverständlich nicht verwickelt und wurden gar nicht erst angeklagt. Die brutalen Folterer einer ehemaligen Agentin des militärischen Geheimdienstes, die gegenüber der Presse zu viel geplaudert hatte, wurden sogar freigesprochen.

Willkürliche Festnahmen

Seit 1992 konnten über 8000 verurteilte Mitstreiter des Leuchtenden Pfades oder des MRTA, die im Gegenzug Namen ihrer Genossen preisgaben, das Gefängnis verlassen. Als Folge gerieten viele Unbeteiligte in die Mühlen der Justiz. Allein seit 1995 mußten mehr als 1600 wegen Terrorismus oder Vaterlandsverrat verurteilte Gefangene wieder begnadigt werden, da sie mit den ihnen zur Last gelegten Delikten nichts zu tun hatten. Unzählige Unschuldige sitzen nach wie vor ein. Unter anderem wurden neun Anwälte vor einem Militärgericht angeklagt, die zuvor in Terroristenprozessen die Verteidigung übernommen hatten. Die Beweisdecke war so dünn, daß sich inzwischen auch die CIDH mit den Fällen befaßt. Sogar Versicherungsagenten kann es erwischen. Im Jahre 1997 wurde Adolfo Cesti von einem Militärgericht verurteilt. Er hatte zuvor in einem vermeintlichen Versicherungsbetrug bei der Anschaffung von Hubschraubern für die Streitkräfte ermittelt. Die Richter eines Zivilgerichtes, die Cesti anschließend freisprachen, wurden von der wütenden Militärjustiz wegen Anmaßung von Machtbefugnissen ebenfalls auf die Anklagebank verbannt. Auch in diesem Fall ermittelt der Interamerikanische Gerichtshof.
In den sogenannten Notstandszonen, in denen etwa 23 Prozent der peruanischen Bevölkerung leben, sind die verfassungsmäßigen Rechte aufgehoben. Die Gebiete werden vollständig von der Armee kontrolliert. Als Vorwand dienen angebliche Aktivitäten des Leuchtenden Pfades, der allerdings in vielen dieser Zonen schon seit Jahren nicht mehr aufgetaucht ist. Willkürliche Festnahmen ohne Haftbefehle sind an der Tagesordnung. Wer in Terrorismusverdacht gerät, bekommt in den ersten sechs Wochen seiner Untersuchungshaft keinerlei Kontakt zu Angehörigen oder Verwandten. Der Anwalt darf die Verdächtigen nur sehen, wenn sie dem Staatsanwalt gegenübergestellt werden.

Die Gefängnisse

Die Haftbedingungen in den peruanischen Gefängnissen spotten jeder Beschreibung. Korruption, Drogenkonsum, Waffengebrauch, katastrophale hygienische Verhältnisse, Überbelegung, sexueller Mißbrauch, Krankheiten wie Tuberkulose oder Aids auf fast epidemischem Niveau sind keine Besonderheit. Für die tägliche Verpflegung eines Häftlings wird ein Betrag von sage und schreibe 1,- DM veranschlagt. In vielen Gefängnissen des Landes gibt es nicht einmal einen Arzt, Krankenpfleger oder Psychologen. Das Gefängnis Challapalca befindet sich auf einer Höhe von 4700 m. Der nächste größere Ort mit einem Krankenhaus und einer Busstation ist eine Tagesreise entfernt. Die CIDH forderte bei ihrem letzten Besuch in diesem Gefängnis dessen Schließung. Das Hochsicherheitsgefängnis Yanamayo, in dem die vier chilenischen MRTA-Angehörigen sitzen, liegt mit 4400 m nicht viel niedriger. Temperaturen um den Gefrierpunkt lassen die Häftinge besonders leiden.
Für jene Gefangenen, die wegen Terrorismus verurteilt wurden, gelten besondere Bedingungen. Nach der Geiselnahme in der Residenz des japanischen Botschafters im Dezember 1996 durfte ein Jahr lang kein Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes mehr Gefangenenbesuche abstatten. Die Gefangenen der Marinebasis von Callao vegetieren in strenger Einzelhaft in einer dunklen Zelle dahin. Sie bekommen eine Stunde Hofgang pro Tag und haben auch während dieser Zeit keinen Kontakt zu ihren Mitgefangenen. Nur einmal pro Monat dürfen sie für eine Stunde Besuch von ihren Angehörigen hinter einer Glasscheibe empfangen. Sie sind von sämtlichen Kommunikationsmedien abgeschnitten.
Für María Luísa Cuculiza sind die Miltärjustiz und die Isolierung der Gefangenen eine logische Antwort auf den Terror, den vor allem der Leuchtende Pfad in den achtziger und frühen neunziger Jahren säte. Besonders die Zivilbevölkerung hat in diesen Jahren gelitten. Frau Cuculiza bildet da keine Ausnahme, denn auch ihr Mann wurde von der Guerilla ermordet. Die Regierung rechnet es sich als ihr ein Verdienst an, daß die bewaffneten Auseinandersetzungen seitdem stetig zurückgegangen sind. Im letzten Jahr war der Leuchtende Pfad fast nur in der Region des Alto Huallaga aktiv. Der MRTA ist seit der Besetzung der Residenz des japanischen Botschafters kaum noch in Entscheidung getreten und keine relevante Größe mehr. Dennoch hat die Regierung die Notstandszonen im letzten Jahr ausgedehnt und setzt weiterhin unbeirrt auf die Militärjustiz. Und sollte die Regierung gar ihre Drohung wahrmachen und die Kompetenz des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte künftig nicht mehr anerkennen, kann Fujimori auch die weitgehend von ihm kontrollierte Ziviljustiz (vgl. LN 298) einsetzen, wie es ihm beliebt. Die Menschenrechte blieben dann in Peru sogar offiziell auf der Strecke.


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