Die Beherrschten nutzen das herrschende Recht
Indigenas halten das Gesetz zur indigenen Autonomie für verfassungswidrig und haben das oberste Gericht angerufen
Nach dem beachtlichen Medienerfolg der ZapatistInnen Anfang letzten Jahres war es still geworden um die vermummten FreiheitskämpferInnen aus dem südmexikanischen Urwald. Enttäuschung und Frustration hatten sich in der mexikanischen Gesellschaft breit gemacht.
Zur Erinnerung: Im Februar und März letzen Jahres waren die ZapatistInnen zusammen mit den am Nationalen Indígena-Kongress teilnehmenden Organisationen nach Mexiko-Stadt marschiert, um ein Gesetz zur indigenen Autonomie und Kultur durchzusetzen. Die Verabschiedung eines Gesetzes auf der Basis der Verhandlungsergebnisse zwischen Regierung und EZLN in San Andrés 1996 stellte eine Forderung der Zapatisten für die Rückkehr zum Friedensdialog mit der neuen Regierung dar. Am 28. März 2001 sprachen die ZapatistInnen vor dem nationalen Kongress. Der Präsident Vicente Fox war nicht zugegen, sondern unterwegs in den USA.
Was jedoch schließlich als Gesetz zur indigenen Autonomie und Kultur verabschiedet wurde, war eine herbe Entäuschung und führte zur Aufkündigung der Dialogbereitschaft der EZLN. Der Passus zur regionalen Selbstverwaltung und gemeinschaftlichen Nutzung der natürlichen Ressourcen war ersatzlos gestrichen worden. In dem Gesetzestext wurden die indigenen Völker nicht als Subjekte öffentlichen Rechts, sondern als Subjekte öffentlichen Interesses verankert – um die sich ein paternalistischer Staat zu kümmern habe.
Revision des Gesetzestextes?
Damit jedoch das Gesetz in Kraft treten konnte, musste es die Parlamente der einzelnen Bundesstaaten passieren. Und nun ist das passiert, was noch nie in der mexikanischen Verfassungsgeschichte geschehen ist. Zehn Parlamente haben gegen das Gesetz gestimmt. Zudem sprechen sich immer mehr Abgeordnete des Bundeskongresses gegen das Gesetz aus, das sie selbst vor einem Jahr noch verabschiedet haben. 168 Abgeordnete haben sich für eine Revision des Gesetzes ausgesprochen. Ende Februar reichten mehr als 150 VertreterInnen indigener und sozialer Organisationen beim Obersten Gerichtshof ein Gesuch zur Überarbeitung des Gesetzestext ein. In öffentlichen Anhörungen legten die AnwältInnen der Indígenas Beweise für die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes dar. In der Öffentlichkeit wird dem Thema der indigenen Autonomie nun wieder mehr Interesse entgegengebracht. Nur die ZapatistInnen halten sich mit Stellungnahmen zurück. Seit ihrem Kommunikee in Reaktion auf die Verabschiedung des Gesetztes, das sie als „verfassungsmäßige Anerkennung der Rechte und Kultur von Grossgrundbesitzern und Rassisten“ darstellten, haben sich die ZapatistInnen und ihr „Sub“ Marcos zu diesem Thema nicht mehr in die mediale Öffentlichkeit begeben.
Alte Positionen neu formuliert
Die politische Debatte dreht sich im Kreis. Alte Argumente zu der Frage, wer den ersten Schritt zur Wiederaufnahme des Dialogs machen solle, werden wieder neu aufgelegt. Xóchitl Gálvez, Leiterin des Büros für indigene Angelegenheiten, spricht von der Möglichkeit, sich der historischen Schuld an den Indígenas anzunehmen, und betont, dass die Initiative vom Kongress ausgehen müsse, da das verabschiedete Gesetz eine Verballhornung der Forderungen der Indígenas darstelle. Der Regierungsbeauftragte für den Frieden in Chiapas Luis H. Álvarez sieht die Verantwortung für die Aufnahme des Dialogs dagegen bei den ZapatistInnen. Sie hätten sich aus dem Dialog zurückgezogen. Álvarez forderte deshalb von den ZapatistInnen zuerst Eindeutigkeit in ihren Botschaften. Generell signalisierte er zudem Dialogbereitschaft seitens der Regierung.
Manuel Bartlett, Präsident der Verfassungskommission des Senats und rechter Hardliner, bezeichnete eine neue Gesetzesinitiative als absurd. „Sollen wir etwa in ein paar Monaten für etwas stimmen, gegen das wir uns damals ausgesprochen haben?“ Er erinnerte daran, dass die BefürworterInnen eines neuen Gesetzes über keine Mehrheit im Kongress verfügen. In der Tat sind 168 Abgeordnete noch keine Mehrheit. Aber der Gouverneur von Chiapas Pablo Salazar bezeichnet die bröckelnde Front der GesetztesbefürworterInnen als einen Beweis dafür, dass das Gesetz die Erwartungen, die es erfüllen sollte, enttäusche.
Die Koalition der Autonomen Organisationen aus Chiapas (Coaech) verweist auf den viel beschworenen Geist des Abkommens von San Andrés aus dem Jahr 1996 und ließ verlauten: „Die indigenen Völker warten weiter auf eine Antwort hinsichtlich der Forderungen, die von den Zapatisten vor dem Kongress gestellt wurden. Denn die verabschiedete Reform hat unsere Forderungen nicht erfüllt.“
Ein Erfolg in der Niederlage
Noch nie wurden in Mexiko rechtliche Schritte auf nationaler Ebene eingeleitet, um das Missfallen gegenüber einer Verfassungsreform auszudrücken. Bei der Änderung des Artikels 27, der den Landbesitz regelt, wurden Anfang der neunziger Jahre zwar Demonstrationen und Mahnwachen gegen die Aufhebung der Unverkäuflichkeit von Kommunalland organisiert, aber keine rechtlichen Schritte eingeleitet. Die indigenen Völker zeigen heute, dass das Recht benutzt werden kann, um in den Gesetzgebungsprozess einzugreifen, ein Mechanismus, den die ZapatistInnen zu etablieren versuchen.