Mexiko | Nummer 395 - Mai 2007

Wettlauf um die Bohne

KleinproduzentInnen bleiben vom Kaffeeboom ausgespart

Ernteausfälle infolge des Klimawandels treiben die Kaffeepreise in die Höhe. Doch die KleinproduzentInnen in Mexiko profitieren nicht davon: Weder die Mehrheit der Fairtrade-Organisationen noch Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé zahlen Preise, die ein Überleben ermöglichen.

Jan Braunholz

Auf der Webseite von Nestlé findet man wunderbare Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit. In der Realität sieht die Firmenpolitik jedoch anders aus. So hat Nestlé beispielsweise im Kaffeeland Mexiko Schritte eingeleitet, die für viele KleinproduzentInnen und Kaffeekooperativen verheerende Folgen haben. Der schweizerische Nahrungsmittelgigant hat in Mexiko eine marktbeherrschende Stellung auf dem Kaffeesektor: Achtzig Prozent des landesweiten Konsums besteht aus löslichem Kaffee, wovon Nestlé mit seiner Marke Nescafé einen Marktanteil von achtzig Prozent besitzt. Für seinen Nescafé importiert Nestlé jährlich rund 7.600 Tonnen billigen Rohkaffee der Sorte Robusta aus Brasilien, Vietnam, Indonesien und Ecuador. Diese Billigimporte halten die Preise in Mexiko niedrig. So zahlt Nestlé auch für den in Mexiko angebauten Robusta sehr niedrige Preise, nämlich sechs bis sieben Pesos (circa 50 Eurocent) pro Kilo Rohkaffee. Seit Jahren protestieren die KleinproduzentInnen gegen diese Dumpingpreise. Jedoch erfolglos.
Nestlé lässt sich davon nicht beirren und ist dabei, ein im Jahr 2003 begonnenes Großanbauprojekt in der Region Tezonapa, im Bundesstaat Veracruz, umzusetzen. Auf diese Weise will der Nahrungsmittelkonzern noch preiswerter an den begehrten Robusta kommen. In der Region Tezonapa wurde bisher die Kaffeesorte Arabica angebaut. Diese eignet sich besonders zum Anbau für Regionen ab 800 Meter Höhe, gilt gegenüber Robusta als edler und ist somit auch teurer. Robusta hingegen wächst in tiefer gelegenen Gegenden besonders gut. Nestlé erwartet nun von den Bauern und Bäuerinnen in Tezonapa, dass sie ihre Arabicapflanzen vernichten und neue Robustapflanzen setzen, die aber erst in vier bis fünf Jahren geerntet werden können.

Nestlé-Strategie für Lateinamerika

Das Unternehmen stellte den campesinas bei der Präsentation des Projekts im Jahr 2003 hohe Absatzzahlen in Aussicht und fuhr mit vier großen LKWs vor, um Süßigkeiten an die Kinder zu verteilen. Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe versprach zudem ein neues Schulhaus. Die Robustasetzlinge wurden in einem französischen Kaffeelabor geklont und schliesslich in Tezonapa ausgebracht. Im Jahr 2019 will Nestlé dort jährlich bis zu 69.000 Tonnen Robustakaffee ernten, mehr als die derzeitige gesamte mexikanische Arabicaproduktion. Doch viele KaffeeproduzentInnen wehren sich gegen das Vorhaben, weil Nestlé weder Preis- noch Absatzgarantien anbietet. Die große unabhängige KleinproduzentInnenorganisation CIOAC hat deshalb Delegierte in den Betriebsrat des Unternehmens entsandt, welches auch die Nestlé-Bohnen verarbeitet. Sie wollen gegen das Nestlé-Projekt stimmen. Nestlé hat
seinen lokalen Berater der Kooperative inzwischen wieder abgezogen.
Warum will Nestlé den Anbau von Robusta in Mexiko durchsetzen? Der (bislang gescheiterte) Plan der USA für die Freihandelszone ALCA, die ganz Lateinamerika und die Karibik mit Ausnahme Kubas umfassen soll, lässt Nestlé hoffen, künftig den ganzen lateinamerikanischen Markt mit billig produziertem Nescafé überschwemmen zu können. Um seinen ohnehin schon riesigen Marktanteil noch zu vergrößern, kauft Nestlé zudem in ganz Lateinamerika Kaffeefirmen auf und schließt die Konkurrenzbetriebe. Dies war etwa 2003 in El Salvador der Fall, als Nestlé die alteingesessene Firma Café Listo kaufte, dichtmachte und dabei rund hundert MitarbeiterInnen auf die Straße setzte. Dafür gibt es nun die Marke „Nescafé Listo“ – hergestellt in Brasilien. Selbst eigene Produktionsanlagen werden nicht verschont. So wurden bereits in Argentinien und Chile Nescafé-Fabriken geschlossen. Diese Länder werden nun ebenfalls von Brasilien aus beliefert, wo Nestlé kürzlich 33 Millionen US-Dollar investiert hat.
Die mexikanischen KleinproduzentInnen geraten zunehmend in die Abhängigkeit großer Nahrungsmittelkonzerne. Nachdem 1989 das internationale Kaffeeabkommen, welches bis dahin Angebot und Nachfrage mit einem einigermaßen festen Preisrahmen regelte, durch den Druck der USA zusammenbrach, waren die Kaffeepreise lange Zeit im Keller. Seither herrscht der freie Markt, das heißt, die Kaffeebörsen in New York und London bestimmen den Preis der braunen Bohne. Im Hochland von Chiapas ist dieses Jahr aufgrund von Klimaschwankungen und der Auswirkungen der Hurrikane Wilma und Stan eine schlechtere Ernte zu erwarten. Da die meisten Konzerne die gute Arabicaqualität bevorzugen, versuchen sie, über lokale Aufkäufer an die benötigten Mengen zu kommen. Der Preis schoss deshalb kurzfristig nach oben. Der meiste Profit bleibt jedoch beim Zwischen-und Grosshandel hängen, die KleinproduzentInnen haben wenig davon.

Transfair-Label für Nestlé?

Ausgerechnet Konzerne wie Nestlé und Starbucks engagieren sich nun mit Kleinprojekten im Fairtrade-Bereich. Nestlé beispielsweise hat im Oktober 2005 erstmals ein Fairtrade-Label für die Marke Partner‘s Blend bekommen, die auf dem englischen Markt vertrieben wird. Nestlé reagierte damit auf eine Öffentlichkeitskampagne der internationalen Hilfsorganisation Oxfam, die den Konzern wegen seiner Einkaufspolitik und Preisdrückerei anprangerte. Die Labelverleihung an Nestlé ist auch innerhalb der weltweiten Labelorganisation Fair Label Organisation (FLO), die das Nestlé-Produkt mit ihrem Gütesiegel versehen hat, umstritten. Die FLO-Partnerorganisation Comercio Justo México etwa war gegen den Fairlabel-Vertrag mit Nestlé gewesen, sagt deren Vorsitzender Jerónimo ­Pruijn. Man kenne den Konzern ja eher als Auftraggeber der ZwischenhändlerInnen, die die Kooperativen unter Druck setzen: „Wir nehmen einen Container Fairtrade-Kaffee und die restlichen zehn Container zu Weltmarktbedingungen, sonst gehen wir woanders hin.“ So oder ähnlich erpressten die ZwischenhändlerInnen, so genannte coyotes, die KleinproduzentInnen, berichtet Fernando Celis von der mexikanischen Organisation der KaffeeproduzentInnen CNOC. Mariano Santis von der Kooperative OTPC in Chiapas sagt, dass selbst die derzeitigen Fairtrade-Mindestpreise nicht ausreichen, um eine Familie zu ernähren. Hinzu komme die miserable Ernte, die im Erntezyklus 2006/2007 aus Klimagründen um fünfzig Prozent eingebrochen ist. 1,21 US-Dollar pro Pfund plus 15 Dollarcent Aufschlag für Biokaffee kommen nicht an die derzeit
relativ hohen Weltmarktpreise heran. Der Grund: Die Anpassung der Preise für Fairtrade- oder Biokaffee an die Weltmarktpreise durch die Handelspartner erfolgt immer mit einer zeitlichen Verzögerung.

Zurück zum coyote

Auch in Chiapas regt sich deshalb Widerstand. Nicht gegen die Kaffeekonzerne, sondern gegen die Fair-Label-Organisation und deren internationale Mitgliedsorganisationen. Die niedrigen Abnahmepreise und die hohen Gebühren der FLO sowie der Bio-Zertifizierungsorganisation Certimex machen den Kooperativen zu schaffen. Noch mehr Angst macht den KleinproduzentInnen die Idee der FLO, auch die GroßgrundbesitzerInnen in den fairen Handel einzubeziehen. Dies und der Eindruck, dass die FLO sich zunehmend internationalen Konzernen wie Nestlé annähere, führen zu einem immer stärkeren Vertrauensverlust sowohl bei ProduzentInnen als auch KonsumentInnen. Viele KleinproduzentInnen, die bisher bei Fairtrade mitmachten, verkaufen inzwischen wieder an die coyotes der Kaffeekonzerne. Durch den Ernteeinbruch sind auch diese unter Druck geraten, denn sie brauchen die guten Arabicaqualitäten und die Preise stiegen im Dezember und Januar kräftig an. Für die KleinproduzentInnen, die auch „normale“ Kooperativen beliefern, ist es häufig attraktiver, an coyotes zu verkaufen, denn sie bekommen sofort Geld auf die Hand – noch dazu zum selben Preis wie beim Fairtrade-Partner.
Noch schlechter sieht es für die KleinproduzentInnen aus, wenn sie ihren Kaffee als „nur Bio“ verkaufen. Viele Bioimporteure zahlen keine fairen Preise. Doch der Bioanbau ist nicht nur arbeits-, sondern auch kostenintensiv. Deshalb können viele KleinproduzentInnen in der Erntezeit keine weiteren Hilfskräfte bezahlen. Oft stehen gar keine WanderarbeiterInnen mehr zur Verfügung. Sie sind schon längst in die USA ausgewandert, wo der Stundenlohn fünfmal höher liegt als in Mexiko.

Es geht auch anders

Der alternative Handel hingegen reagierte schnell auf den lokalen Preisanstieg. Er ist nicht mit dem Transfair-Siegel versehen und somit auch nicht an dessen Regeln gebunden, die er als zu marktkonform ablehnt. So zahlen zum Beispiel US-amerikanische und kanadische alternative HändlerInnen wie die Cloud­forest Initiative und Cooperate Coffees den zapatistischen Kaffeekooperativen in Chiapas bis zu 1,70 US-Dollar pro Pfund. Ebenso die Hamburger Kaffee-Libertad-Kooperative und der Schweizer Verein Café Rebeldia. In diesem Preis inbegriffen ist ein fixer Betrag, der in lokale Sozialprojekte fließt.
Angesichts der schlechten Ernte und der Konkurrenz durch die coyotes sind auch die alternativen Händler zu Preisaufschlägen gezwungen. Inzwischen kaufen sogar große Kooperativen in Mexiko von kleineren Kooperativen Kaffee auf, um die eigenen Lieferverträge erfüllen zu können. Im Hochland von Chiapas hat ein Wettrennen um die wertvollen Kaffeebohnen begonnen.

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